Bastian Schweinsteiger hat auf dem Papier einen lauen Start bei Manchester United hingelegt. Aber hinter den schnöden Zahlen schlummert eine andere Wahrheit: Mit dem Deutschen als Leitfigur will United zurück auf Europas Thron.

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Es gibt da diesen Spitznamen. Und es gibt die Diskussionen um ihn. Bastian Schweinsteiger wird bei Manchester United als "Mister Calm" bezeichnet, der Ruhige. Jetzt gibt es die einen, die behaupten, die Presse hätte ihm diesen wenig schmückenden Decknamen verpasst, wenig freundlich und sogar ein bisschen hämisch. Schweinsteigers Passspiel und seine Bewegungen auf dem Feld würden die Kombinationen der Red Devils langsamer machen. Deshalb wohl auch der Vorstoß der Boulevardzeitung "The Sun" aus Schweinsteiger einfach mal "Mister Valium" zu machen.

Und es gibt die anderen, die deutliche Mehrheit, die genau diese typischen Schweinsteiger-Momente zu schätzen wissen. Auf und außerhalb des Platzes. In einer verrückt gewordenen Fußballwelt, in der Glamour und Extravaganzen ebenso wichtig erscheinen wie ein Vollspannstoß oder ein geglücktes Tackling, lebt der Deutsche in Manchester eine ziemlich unbekannte Bescheidenheit vor.

Unaufgeregt, authentisch, Schweinsteiger

Manchester United hat am Wochenende den FC Sunderland mit 3:0 geschlagen und damit erstmals nach unglaublichen 110 Wochen wieder die Tabellenspitze der Premier League erobert. Memphis Depay hat einen Treffer beigesteuert. Der Niederländer ist so etwas wie der Hotspot im Old Trafford. Immer schnell, immer trickreich, immer torgefährlich, ein super Einkauf.

Wenige Stunden nach der Partie hat sich Depay, 21 Jahre jung, zunächst auf große Shoppingtour begeben. In seinem Schlepptau: Karrueche Tran, Model und Ex-Freundin von Hip-Hop-Sänger Chris Brown. Abends gingen beide dann in den Nachtklub "Suburbia" und man darf getrost behaupten, dass Depay ein bisschen Wert auf sein Äußeres gelegt hatte.

Mit Lederjacke, einem schwarzen Hemd mit Totenköpfen, einer Steve-Urkel-Brille und einer goldenen Zahnleistenblende auf dem Unterkiefer schafften es die Schnappschüsse flugs in die sozialen Netzwerke und auf die Cover der Yellow Press. Zur gleichen Zeit, irgendwo in Manchester, stellte Bastian Schweinsteiger eine elfsekündige Videobotschaft ins Netz.

Im Schlabberpulli des Ausrüsters wünscht er den Anhängern ein schönes Blutmondfest. Das war's. Kein Glitzer, kein Bling-Bling. Nur die Nachricht, sachlich, nüchtern, unaufgeregt, authentisch. Das ist es, warum sie den Weltmeister zu Manchester United geholt haben. Schweinsteiger soll das Vorbild sein für die vielen jungen Wilden im Team der Roten Teufel.

Vorbild für die Jugend

Luke Shaw, Anthony Martial oder eben Depay - sie alle müssen angewiesen werden von der älteren Generation, von einem erfahrenen Alphatier. Einem Weltmeister. "Ich glaube an einen guten Mix aus Alt und Jung, um erfolgreich zu sein", sagt United-Trainer Louis van Gaal. "Schauen Sie sich unser Spiel an: Wir agieren ausgewogener als in der vergangenen Saison, die Balance stimmt."

Die Premier League ist immer noch die rasanteste Liga der Welt. Das Ballbesitzspiel fristet in Englands Eliteklasse immer noch ein vergleichsweise kümmerliches Dasein. Van Gaal implementiert diesen Spielstil nun seit mehr als einem Jahr, die großen Fortschritte sind aber erst jetzt zu erkennen. Der Zusammenhang mit der Verpflichtung von Schweinsteiger ist nicht zu übersehen - auch wenn der Einfluss des Deutschen in den 90 Minuten auf dem Platz noch ausbaufähig erscheint.

Erst zweimal durfte Schweinsteiger in der Liga über die vollen 90 Minuten gehen, zumeist kam er von der Bank. Eine Torbeteiligung oder gar einen eigenen Treffer kann er auch noch nicht aufweisen. Es sind nicht die Werte eines Spielers, der recht schnell unverzichtbar werden soll. Aber Schweinsteigers Wert für das Team darf eben nicht nur an den Spieltagen bemessen werden. Besonders die vielen Momente dazwischen sind wichtig.

Die jungen Spieler schauen zu ihm auf, sie fragen ihn nach Rat, wollen von seinen Erfahrungen profitieren. Die Fans haben ein ziemlich gutes Gespür dafür, wer da seit ein paar Wochen im roten Jersey aufläuft.

Wie einst Cantona

"Deutscher Fußball-Meister, deutscher Fußball-Meister, deutscher Fußball-Meister… Bastiaaaaan!", singen sie dann im OT. 15 nationale Trophäen, die Champions League, die Klub-WM, der Weltmeistertitel: Schweinsteiger hat als einzelner Spieler fast mehr gewonnen als der restliche Kader zusammen. Wayne Rooney und Michael Carrick mal ausgenommen, die die glorreichen Zeiten unter Sir Alex noch mitgestalten durften.

Dort will ManUnited wieder hin, "top of the league, top of Europe". Als der Wahnsinn in Manchester begann, das war Anfang der 90er Jahre, hatte Alex Ferguson auch so eine blitzgescheite Idee. Damals holte Fergie mit Eric Cantona einen ebenfalls erfahrenen Spieler von Leeds United rüber zu den Red Devils. Cantona schaffte es auf Anhieb zum Publikumsliebling, er schoss wichtige Tore, aber vor allen Dingen war er väterlicher Freund und Ratgeber für die Horde der "young guns".

David Beckham, Ryan Giggs, Paul Scholes, Gary und Phil Neville und Nicky Butt, die "Class of 92", reiften an seiner Seite. Sie läuteten die erfolgreichste Episode der Vereinsgeschichte ein. United will so etwas wieder haben. Bastian Schweinsteiger soll dabei der heimliche Architekt sein. Seine Arbeit hat gerade erst begonnen.

Er wird noch ein wichtiger Bestandteil auch auf dem Platz werden. Vielleicht schon am Abend gegen den VfL Wolfsburg. United hat die erste Partie in Eindhoven verloren und dazu noch Luke Shaw mit einer schlimmen Verletzung. Das Überwintern in der Champions League ist Pflicht, der junge Kader steht unter Druck. Die ordnenden Pässe von "Mister Calm" könnten jetzt doch ganz nützlich sein.

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