Serhou Guirassy wird im Moment als Erstes genannt, wenn es um die Gründe für den Höhenflug des VfB Stuttgart geht. Der 27-Jährige steht nach sieben Spieltagen bei 13 Toren, was zuvor noch niemandem gelang. Doch was macht den Guineer so stark, dass er sogar 100-Millionen-Mann Harry Kane die Schlagzeilen klaut?

Ein Porträt
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Manchmal ist Fußball sehr simpel. Vor allem dann, wenn es läuft. Wie bei Serhou Guirassy, dem Stürmer des VfB Stuttgart, der im Moment gar nicht mehr zu stoppen ist. Er legt eine Leichtigkeit an den Tag, die ebenso beeindruckend wie effizient ist. "Die Mannschaft hat Selbstvertrauen, ich habe Selbstvertrauen. Vor dem Tor bleibe ich ruhig, speziell in Eins-gegen-eins-Situationen. Dann gehen die Bälle manchmal einfach rein", sagte er der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten.

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Ganz so simpel ist es dann aber auch wieder nicht. Guirassy ist kein Torjäger der alten Schule, nicht der typische Knipser, der den richtigen Riecher hat und im entscheidenden Moment einfach richtig steht. Er besticht mit seinen 1,87 Metern durch eine starke Physis, aber auch mit souveräner Handlungsschnelligkeit, einer ausgeprägten Spielintelligenz und einem großen Einsatz-Radius. Guirassy schaltet sich auch in den Spielaufbau mit ein, ist technisch versierte Anspielstation mit einem guten Auge für den Nebenmann.

Unberechenbar in seiner Art, Tore zu schießen

Der 27-Jährige hat dazu eine fast schon unheimliche Varianz in seiner Art, Tore zu schießen, die es dem Gegner immens erschwert, auf die Topform des Guineers adäquat reagieren zu können. Mal macht er es brachial in den Winkel, mal gefühlvoll per Lupfer. Gerne schließt er auch mit rechts flach ins linke Eck ab, mit links ist er ebenfalls gefährlich. Abstauber aus kurzer Distanz gehen aber natürlich auch, ebenso wie Elfmeter. "Er hat eine gute Technik, ist stark im Kopfballspiel und spielt super mit der Mannschaft. Vor allem aber hat er die richtige Einstellung: Er will immer mehr und ist nicht zufrieden mit dem, was er erreicht hat", sagte Ex-VfB-Star Giovane Elber der Schwäbischen Zeitung.

Diese Variabilität, kombiniert mit Kaltschnäuzigkeit, Treffsicherheit und Selbstvertrauen, sorgt dafür, dass Guirassy der Top-Torjäger der Bundesliga ist – mit 13 Treffern in nur sieben Spielen. Das sind fünf Tore mehr als bei 100-Millionen-Mann Harry Kane vom FC Bayern. Noch nie in der Geschichte der Liga hat ein Spieler so früh so viele Tore erzielt. Guirassy ist ein wichtiges Puzzlestück beim VfB und ein Garant für den Höhenflug, der die Schwaben zu sechs Siegen und bis auf Platz zwei getragen hat.

"Es ist der absolute Wahnsinn, wie der Junge trifft. Er hat einen unfassbaren Lauf", sagte Elber. "Wenn das so weitergeht, ist der Torrekord von Lewandowski nach nur zwei Jahren wieder Geschichte." Robert Lewandowski kam für die Bayern in der Saison 2020/21 auf 41 Tore. Die Marke aus dem vergangenen Jahr hat Guirassy bereits jetzt im Blick: Niclas Füllkrug (Werder Bremen) und Christopher Nkunku (RB Leipzig) wurden mit jeweils 16 Treffern Torschützenkönige.

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Eine Flaute wird auch bei Guirrasy kommen

Elber weiß, wie es ist, wenn man als Stürmer einen Lauf hat. Der frühere Top-Angreifer hat aber auch erlebt, dass es die andere Seite gibt. Die Phase der Ladehemmung. Spiele, in denen man nicht trifft, womöglich auch in mehreren Partien hintereinander. Dann ist es wichtig, Geduld zu bewahren, um aus dem Tal wieder herauszukommen. Auch das zeichnet die Großen der Branche aus.

"Es wird auch wieder Phasen geben, in denen nicht mehr jeder Schuss reingeht", betonte Elber. Guirassy sollte "vor allem weiter Spaß haben und am besten noch eine Weile beim VfB bleiben, wo er eine gute Mannschaft hat, die zu ihm passt und er sich offensichtlich wohlfühlt", sagte Elber.

Das ist nämlich die Kehrseite der Leistungsexplosion: Guirassy hat sich in die Notizbücher der Top-Klubs geschossen. Im Sommer noch zog der VfB für den damals von Stade Rennes ausgeliehenen Stürmer die Kaufoption, für bereits heute vergleichsweise bescheidene neun Millionen Euro. Was gerne übersehen wird: Schon damals war er mit 13 Toren der Top-Torjäger der Stuttgarter.

Was vor allem den 1. FC Köln ärgern wird, denn der hatte Guirassy bereits 2016 entdeckt und verpflichtet. Doch den Durchbruch schaffte er bis 2019 nicht. "Ich war jung, oft verletzt. Außerdem hatte ich große Konkurrenz: Jhon Cordoba, Simon Terodde, Simon Zoller, Anthony Modeste", sagte Guirassy. Nach Umwegen über Amiens und Rennes in Frankreich startet er nun in Stuttgart durch.

Guirassys Erfolg weckt Begehrlichkeiten

Doch in seinem bis 2026 laufenden VfB-Kontrakt soll eine Ausstiegsklausel für den Sommer in Höhe von 20 Millionen Euro verankert sein. Für heutige Verhältnisse ein Schnäppchen, was die Gefahr deutlich erhöht, dass die Stuttgarter nur noch in dieser Saison, womöglich sogar nur bis zum Winter, die Tore des Nationalspielers Guineas genießen können. Wie die "Sportbild" berichtet, soll das Preisschild für den Winter 35 Millionen Euro betragen, für den Sommer wollen die Verantwortlichen Guirassy die Klausel entweder abkaufen oder sie erhöhen, ebenso wie das Gehalt des Stürmers.

"Wir sind mit seinem Berater im regelmäßigen Austausch – unabhängig von den Toren. Wenn es Dinge gibt, die wir wissen müssen, dann informieren wir uns gegenseitig", sagte Stuttgarts Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. Denn Guirassy sorgt schon mal verbal vor. "Im Fußball ist es schwierig, etwas zu versprechen. Mein Ziel ist es derzeit, die Saison mit dem VfB zu beenden", sagte Guirassy der "Bild"-Zeitung.

Laut seinem Trainer Sebastian Hoeneß ist er "ein hochanständiger, normaler Kerl, der die Dinge richtig einordnet. Er ist der große Kopf des Erfolgs. Es gibt aber keinerlei Gefahr oder Sorge, dass er abhebt oder Allüren bekommt."

Erfolg des VfB Stuttgart im Fokus

Denn im Fokus steht der Erfolg des Vereins, für den die 18 Punkte in erster Linie essenziell im Kampf gegen den Abstieg sind, so verrückt sich das angesichts des zweiten Platzes anhören mag. Wichtig ist die richtige Balance zwischen Euphorie und Realismus. Die an den Tag gelegte Demut soll das schwäbische Stilmittel sein, nachdem der Klub in den letzten beiden Jahren den Abstieg knapp vermeiden konnte.

Was im weiteren Verlauf möglich sein wird, muss sich zeigen. Was nicht nur an Guirassy liegt. "Wir müssen so weitermachen wie bisher, so bescheiden bleiben, wie wir jetzt sind und hart arbeiten", sagte er. Denn manchmal ist Fußball sehr simpel.

Verwendete Quellen:

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