• In den potenziell heiklen Partien des 22. Spieltags der Fußball-Bundesliga geht es für die Schiedsrichter vergleichsweise ruhig zu.
  • Im Spiel der TSG 1899 Hoffenheim gegen den BVB jedoch kommt es zu einem vieldiskutierten VAR-Eingriff.
  • Was spricht für ihn, was dagegen?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.


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Ziemlich unruhig war es zuletzt um die Unparteiischen der Fußball-Bundesliga geworden, mit manch drastisch ausgedrückter, teilweise unsachlicher Kritik waren sie konfrontiert. Der Stuttgarter Trainer Bruno Labbadia beispielsweise meinte, die Referees würden durch die Video-Assistenten "enteiert", sein Münchner Pendant Julian Nagelsmann bezeichnete die Referees des Spiels seiner Elf in Mönchengladbach gar als "Pack", was eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro zur Folge hatte.

Es war deshalb mit Sicherheit kein Zufall, dass Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich am 22. Spieltag einige seiner erfahrensten Spielleiter zu den potenziell brisantesten Partien entsandte: Felix Brych pfiff die Begegnung der beiden Champions-League-Achtelfinalisten aus Leipzig und Frankfurt (2:1), Deniz Aytekin leitete das Kellerduell FC Schalke 04VfB Stuttgart (2:1), Marco Fritz beaufsichtigte das Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern München und dem 1. FC Union Berlin (3:0), Daniel Siebert amtierte im Match der für das Achtelfinale in der Europa League qualifizierten Teams aus Freiburg und Leverkusen (1:1).

Sie alle lösten ihre Aufgaben geräuschlos, umsichtig und bedächtig, dabei kam ihnen sicherlich entgegen, dass in diesen Partien heikle Szenen mit Diskussionspotenzial ausblieben. Überhaupt verlief das Bundesliga-Wochenende für die Referees relativ ruhig.

Zur regeltechnisch anspruchsvollsten und interessantesten Entscheidung kam es in der Begegnung zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und Borussia Dortmund (0:1) in der 50. Minute, als Schiedsrichter Martin Petersen nach einem Zweikampf zwischen dem Hoffenheimer Kevin Akpoguma und Emre Can an der Strafraumgrenze des BVB zunächst auf Freistoß für die Hausherren entschied.


Erst Freistoß, dann On-Field-Review, am Ende Schiedsrichterball – kann das sein?

Dann aber schaltete sich Video-Assistent Daniel Schlager ein, der dem Unparteiischen zu einem On-Field-Review riet. Als Petersen vom Monitor auf den Rasen zurückkehrte, revidierte er die Freistoßentscheidung und setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort.

Das überraschte viele: Bei einem Freistoß darf der VAR doch eigentlich gar nicht eingreifen – warum tat er es hier dennoch? Und wie war der Schiedsrichterball knapp außerhalb des Strafraums zu erklären? Die Antworten ergeben sich aus dem VAR-Protokoll, wobei der gesamte Vorgang aus mehreren Teilen bestand.

VAR Schlager überprüfte zunächst die Freistoßentscheidung, weil sich der Zweikampf zwischen Can und Akpoguma an der Strafraumgrenze ereignet hatte und es denkbar war, dass der von Martin Petersen geahndete Kontakt innerhalb des Strafraums erfolgt war, was demzufolge einen Strafstoß hätte nach sich ziehen müssen.

Der Referee hatte seinem Video-Assistenten – so erklärte er es in zwei Fernsehinterviews – übermittelt, ein Stoßen von Can wahrgenommen zu haben. Der VAR habe daraufhin festgestellt, dass sich dieser Kontakt innerhalb des Strafraums zugetragen habe und außerdem noch ein Kontakt gegen Akpogumas Fuß auszumachen gewesen sei, ebenfalls im Strafraum der Gäste.

Das hätte folglich bedeutet, dass Hoffenheim ein Strafstoß zuzusprechen gewesen wäre. Doch durch die Feststellung, dass der von Petersen als strafbar bewertete Kontakt im Strafraum stattgefunden hatte, stand Video-Assistent Daniel Schlager nun vor einer weiteren Aufgabe: Er musste beurteilen, ob die jetzt fällige Elfmeterentscheidung unzweifelhaft falsch ist.

Das bejahte Petersen zufolge der VAR, für den Cans Armeinsatz zu Recht kein Foulspiel war. Da es aber auch einen Fußkontakt gab, den der Schiedsrichter nicht erkannt hatte, "habe ich in der Summe entschieden, mir die Szene noch einmal anzusehen", so der Referee.

Schwierige Gemengelage

Der VAR überprüfte also erst den vermeintlichen Tatort und dann die Tat selbst – und kam zu dem Schluss, dass es statt des Freistoßes eigentlich einen Strafstoß geben müsste, der allerdings unberechtigt wäre. Es sei denn, sein Kollege auf dem Feld würde jenen Kontakt als strafbar bewerten, den er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte.

Eine schwierige Gemengelage, die der Unparteiische dahingehend auflöste, dass er nach dem Gang in die Review Area entschied: Weder der Arm- noch der Fußeinsatz von Can war regelwidrig, deshalb gibt es keinen Strafstoß.

Sondern vielmehr einen Schiedsrichterball – denn das ist die vorgesehene Spielfortsetzung, wenn der Referee zu der Erkenntnis gelangt, das Spiel irrtümlich unterbrochen zu haben. Dieser Schiedsrichterball wird innerhalb des Strafraums mit dem jeweiligen Torwart ausgeführt und außerhalb des Strafraums mit einem Spieler jener Mannschaft, die zuletzt den Ball berührt hat, und zwar am Ort dieser Berührung. Das war in diesem Fall die TSG 1899 Hoffenheim, denn Akpoguma hatte den Ball außerhalb des Strafraums am Fuß, als Petersen pfiff.

Rein regeltechnisch ist der Vorgang korrekt abgelaufen: Cans Armeinsatz war eindeutig kein Stoßen, deshalb durfte es hierfür auch keinen Strafstoß geben. Bei Cans Fußeinsatz hingegen sprach einiges für die Bewertung als Foulspiel: Der Impuls gegen die Sohle von Akpoguma führte dazu, dass der Hoffenheimer sich selbst gegen den anderen Fuß trat und daraufhin zu Boden ging.

Martin Petersen hatte diesen Impuls allerdings nicht wahrgenommen. Verständlich deshalb, dass er ihn sich am Monitor anschauen wollte. Und nachvollziehbar, dass er – auch mit Verweis auf seine generell großzügige Linie bei der Zweikampfbewertung in diesem Spiel – diesen Kontakt nicht als strafwürdig bewertete.


Nach VAR-Protokoll korrekt, trotzdem problematisch

Abseits des VAR-Protokolls und von außen betrachtet ist der Entscheidungsprozess jedoch problematisch. Wenn man den Körpereinsatz von Can gegen Akpoguma in seiner Gesamtheit betrachtet, ist es zumindest nicht klar und offensichtlich falsch, ihn als Foulspiel zu bewerten.

Hätte der VAR dem Schiedsrichter deshalb nur mitgeteilt, dass der Pfiff kein eindeutiger Fehler war, der Tatort aber im Strafraum lag – diese Feststellung ist eine faktische, die laut Protokoll keines On-Field-Reviews bedarf – und es deshalb einen Strafstoß geben muss, wäre das akzeptabel gewesen.

Allerdings wäre Martin Petersen mit dieser Entscheidung, wie er sagte, "unglücklich gewesen", weil sie nicht zu seiner Linie gepasst hätte. Das bedeutet: Der VAR hat hier dazu beigetragen, dass die aus Sicht des Referees bessere Entscheidung getroffen wurde.

Dem Protokoll hat er dabei entsprochen, dennoch ist der Sinn und Zweck des VAR – der Eingriff bei glasklaren Fehlern und schwerwiegenden übersehenen Vorfällen – hier grenzwertig interpretiert worden.

Nicht unterschlagen werden soll jedoch, dass Referee Petersen insgesamt eine wirklich gute Spielleitung gezeigt hat – und dass ein weiterer VAR-Eingriff unstrittig war: Nico Schlotterbecks Tritt auf die Ferse von Ihlas Bebou nach 56 Minuten war ein klares Foulspiel.

Dass der kurz darauf erzielte zweite Dortmunder Treffer nach der Intervention von Video-Assistent Schlager annulliert wurde, war somit korrekt. Denn erst durch das Foul eroberte der BVB den Ball und begann jene Angriffsphase, an deren Ende Marius Wolf ins Hoffenheimer Tor traf. Hier war an der Kooperation zwischen Schiedsrichter und VAR nichts auszusetzen.

Alex Feuerherdt lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Außerdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach.


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