Er sitzt wahrscheinlich gerade zu Hause und überlegt, was er sich da angetan hat. Und wie er die aus den Fugen geratenen Bayern als Vorstand wieder in die Spur bringen kann: Oliver Kahn übernimmt im Januar ein Chaos an der Säbener Straße, das haben die vergangenen Tage beim Bundesliga-Vierten sehr deutlich gezeigt, und daran wird auch die Verpflichtung eines neuen Trainers nichts ändern.

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Das Problem des FC Bayern ist aber nicht die Mannschaft und auch nicht der (fehlende) Trainer, es ist vor allem eine nicht mehr funktionierende Hierarchie im Klub – das Triumvirat Alternde Doppelspitze plus Hinkender Sportdirektor.

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Ist Salihamidzic Oliver Kahns erstes Opfer?

Oliver Kahns erste Amtshandlung sollte deshalb der Versuch sein, das System Bayern zu glätten: Gut möglich, dass Hasan Salihamidzic sein erstes Opfer wird.

Schon länger fragen sich ja selbst Experten: Wer hat eigentlich was zu melden beim FC Bayern? Welche Rolle spielt dabei Salihamidzic? Und ist es wirklich Zufall, dass im einst für seine Politik der ruhigen Hand geschätzten Klub zuletzt so häufig Panik ausgebrochen ist?

Dazu eine Statistik: Der Rekordmeister hat erst viermal in seiner ganzen Bundesliga-Geschichte schon im Herbst den Trainer gefeuert. Dettmar Cramer am 1. Dezember 1977, Jupp Heynckes am 8. Oktober 1991, das ist ewig her. Doch die beiden anderen Trainer-Entlassungen ereigneten sich zuletzt innerhalb von nur 26 Monaten: Carlo Ancelotti packte am 28. September 2017 seine Sachen, Niko Kovac diesen Sonntag.

Der Fehler steckt bei Bayern im System. Vorstand Karl-Heinz Rummenigge und (der am Freitag scheidende) Präsident Uli Hoeneß halten zwar die Zügel, sie haben aber vor zwei Jahren einen Zipfel davon an Sportdirektor Salihamidzic abgegeben, und das war eine Fehlentscheidung. Seither ist keine klare Linie mehr erkennbar.

Der Bosnier hat keine Machtbefugnisse, keine Ausstrahlung, kein Gespür für den Moment, und er ist damit das instabile Element des FC Bayern. Über zwei Jahre nach seiner Installation entgehen uns immer noch die Vorzüge, die diese Personalie mit sich bringen sollte.

Oliver Kahn muss beim FC Bayern aufräumen

"Brazzo" (Bürschchen), wie er genannt wird, wirkt als Mitläufer und Befehlsempfänger wie der zuvor gescheiterte Christian Nerlinger.

So einer soll den großen FC Bayern künftig zusammen mit Oliver Kahn führen, an so einem sollen sich eine Spitzenmannschaft und ihr Trainer aufrichten können? Kann sich das wirklich jemand ernsthaft vorstellen?

Machen wir uns nichts vor: Wenn ein Kahn nur hustet, strahlt er schon mehr Autorität aus Salihamidzic. Insofern muss man den Bayern-Bossen zugute halten, dass sie zumindest hier mal eine gute Entscheidung getroffen haben.

Nun betritt der einstige Welttorwart aber gleich am ersten Arbeitag im Januar eine Riesenbaustelle, das wird nicht leicht. Diesmal muss er nicht den Kasten sauber halten, er muss ihn sauber machen. Eine Herkules-Aufgabe, wie der heute 50-Jährige als Spieler des FC Bayern so gern formulierte.

Kahn muss Rummenigge überzeugen

Und Vorstand Kahn muss nicht nur in einem Klub aufräumen, der durcheinandergeraten ist, er hat noch ein zweites Problem: Er arbeitet zunächst nur als Assistent Karl-Heinz Rummenigges, ehe er am 1. Januar 2022 den Laden ganz übernimmt. Dabei bleibt nicht viel Zeit, der FC Bayern hat Schlagseite.

Kahn wird schnell Duftmarken setzen und sich nicht als Marionette missbrauchen lassen wollen. Sein erstes Projekt sollte sein, Rummenigge davon zu überzeugen, dass Bayern eine Spielphilosophie und ein Gerüst braucht, das sich von der Jugend bis in die erste Mannschaft erstreckt, und das von einer starken Persönlichkeit überwacht wird: dem Sportdirektor – so wie es eben in allen großen europäischen Klubs läuft.

Entweder Kahn installiert dafür einen neuen Mann, oder er übernimmt den Posten erstmal selber.

Die Zeit dafür hätte er ja, solange Rummenigge noch da ist.

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