Thomas Tuchel steht nach 22 Spieltagen besser da als sein Vorgänger Julian Nagelsmann. Trotzdem ist der Trainer des FC Bayern angesichts der historischen Pleitenserie kaum zu halten. Ein bayerischer Erfolgstrainer wird bereits als Nachfolger gehandelt. Tuchels Ratlosigkeit hat längst auf dessen Personal abgefärbt.

Eine Kolumne
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Eigentlich müsste man schreiben: Bayern hat keine Wahl – Trainerwechsel! Der Blick auf drei Pleiten in einer Woche reicht, um Argumente gegen Trainer Thomas Tuchel zu sammeln. 2:3 beim Abstiegskandidaten VfL Bochum: Da klingt seine Schönrederei wie Verzweiflung. Doch Nachtreten ist nicht angebracht.

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Die Nerven liegen blank: Joshua Kimmich lieferte sich eine Auseinandersetzung mit seinem Co-Trainer. Was für eine fatale Situation: Thomas Tuchel darf seinem Assistenten nicht in den Rücken fallen, muss aber gleichzeitig seinen Spieler bei Laune halten. Man muss keinen Trainerwechsel herbeischreiben.

Jeder spürt es: Das kann nicht gutgehen.

Thomas Tuchel sticht Julian Nagelsmann statistisch aus

Bevor wir ans Eingemachte gehen, kurz die Fakten. Trainer Thomas Tuchel hat in der aktuellen Bayern-Saison nach 22 Spieltagen so viele Punkte geholt wie kein anderer Tabellenzweiter in den vergangenen acht Jahren. Nämlich: 50 Stück. Oder auch: 2,27 Punkte pro Spiel. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Julian Nagelsmann hatte vier Punkte weniger zu diesem Zeitpunkt.

Glücklicherweise reichten damals 46 Punkte, um Bundesliga-Spitzenreiter zu sein, weil keine andere Mannschaft weit und breit punktete, wie es Bayer Leverkusen diese Saison tut. Nach der Niederlage in Bochum (2:3), der dritten Bundesliga-Pleite in vier Wochen, liegt Bayern München acht Punkte zurück. Der Rückstand ist an den restlichen zwölf Spieltagen schwerlich aufzuholen.

Dem FC Bayern droht der GAU

Fügen wir den Fakten also das Resultat hinzu: Diese Bayern-Saison ist verkorkst – abgehängt in der Bundesliga ("Nur Zweiter!"), rausgeflogen im DFB-Pokal ("In Saarbrücken!"), gedemütigt im DFL-Supercup ("0:3 gegen Leipzig!") und zuletzt abgeschmiert in der Champions League ("0:1 bei Lazio Rom!"). Nach dem bajuwarischen Leistungsprinzip übersteht eine derartige Talfahrt kein Bayern-Trainer.

Noch eklatanter sind die Wahrnehmungsstörungen. Tuchel will einen Aufwärtstrend gegenüber den Niederlagen im Verlauf dieser Woche festgestellt haben, er sagte nach dem Spiel in Bochum bei Dazn wörtlich: "Ich finde die heutige Niederlage nicht gerecht, es ist enorm viel gegen uns gelaufen. Wir hatten einen xG-Wert von 3,4, haben fünf, sechs hochkarätige Chancen und komplett dominiert. Wir sind aus dem Nichts in Rückstand geraten und haben nie aufgehört, Aufwand zu betreiben."

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Man möchte ihm zurufen: Immer Pech ist Unvermögen. Der VfL Bochum hat den Marktwert eines halben Harry Kane (57,5 Mio. Euro). Der FC Bayern München (Marktwert: 976,45 Mio. Euro) sollte in der Lage sein, einen Abstiegskandidaten zu besiegen. Stattdessen erlebte der Rekordmeister unter Tuchel seine vierte Saisonniederlage in der Bundesliga. Auch das: rekordverdächtig.

"Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm."

Leon Goretzka

Die Ratlosigkeit, warum die Klasse der Mannschaft zwar im Training, nicht aber im Stadion zu sehen ist, kommt inzwischen in den Stellungnahmen zum Ausdruck. Mittelfeldspieler Leon Goretzka: "Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, der einfach nicht aufhört. Es läuft alles gegen uns. Wir können uns hinstellen und erzählen, dass wir gut ins Spiel gekommen sind – sind wir auch, aber dabei kommt man sich bescheuert vor."

So rutscht Bayern München langsam an den Punkt, wo tatsächlich die Frage auf die Tagesordnung kommen muss: Ist die Wende nur mit einem Trainerwechsel zu erreichen? Der Name Hansi Flick steht unwidersprochen im Raum. Allein das Gerücht, dass es Nachfolger-Kandidaten gibt, schwächt einen Trainer und lässt alle seine Maßnahmen nach Verzweiflung riechen.

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Pleite in Bochum: Bayern verliert drittes Spiel in Serie

Blamage im Ruhrgebiet: Bayern München verliert beim Außenseiter VfL Bochum mit 2:3. Erneut war Dayot Upamecano der Pechvogel. Der Druck auf Trainer Thomas Tuchel wird nach der dritten Niederlage in Serie immer größer.

Thomas Tuchel war schon in Dortmund bester Zweiter

Tuchel kennt die Situation. Bei Borussia Dortmund ging er 2015/16 als bester Zweiter in die Bundesliga-Geschichte ein und genügte damit den Ansprüchen beim BVB. Da sind die Bayern anders. Niederlage bleibt Niederlage: Man wird sich mit dem Hinweis auf eine spielerische Verbesserung nicht zufriedengeben, weil die Ergebnisse ausbleiben. Er wird es noch erleben.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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