• Der Schalker Mark Uth bleibt in Augsburg mit einer Gehirnerschütterung regungslos liegen, Mitspieler wie Gegner sind schockiert.
  • Doch der Schiedsrichter reagiert mit großer Empathie.
  • Wie es aussieht, gibt es bald eine sinnvolle Regeländerung bei Kopfverletzungen, die noch immer zu oft unterschätzt werden.
Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Nicht nur der FC Schalke 04 war angesichts dieser Nachricht erleichtert: Mark Uth, Stürmer des von Sorgen geplagten Ruhrgebietsklubs, ist ansprechbar und sein Zustand stabil. Die Ärzte haben "nur" eine Gehirnerschütterung festgestellt, der 29-Jährige musste zur Beobachtung die Nacht im Krankenhaus verbringen.

Bei einem Luftzweikampf in der zehnten Minute des Spiels beim FC Augsburg (2:2) waren Uth und sein Gegenspieler Felix Uduokhai mit den Köpfen zusammengeprallt. Der Schalker hatte sofort das Bewusstsein verloren und war mit dem Gesicht ungebremst auf dem Rasen aufgeschlagen. Dort blieb er regungslos liegen.

Allen war der Ernst der Situation sofort klar, das medizinische Personal lief rasch auf den Platz und versorgte Uth. Tatkräftig unterstützt wurde es vom Vierten Offiziellen Matthias Jöllenbeck, einem angehenden Facharzt im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie.

"Das waren dramatische Momente", sagte der Schalker Teammanager Sascha Riether dem Sender Sky, "wir wussten erst mal nicht, was mit Mark ist". Man sei froh, "dass er wieder ansprechbar ist". Die Gedanken seien in dieser Situation "nicht beim Fußball" gewesen.

Was die Regeln sagen

Auf beiden Seiten waren die Spieler erkennbar schockiert. Einige beteten, Felix Uduokhai kämpfte mit den Tränen, obwohl ihm nichts vorzuwerfen war.

Nach zehn Minuten wurde Uth schließlich vom Feld getragen, und so mancher dürfte sich angesichts dieser Bilder gefragt haben: Muss man dieses Spiel unbedingt weiterführen? Sollte es der Schiedsrichter nicht besser abbrechen? Oder würde er damit seine Kompetenzen überschreiten?

Tatsächlich führt der DFB die besonders schwere Verletzung eines Spielers als möglichen Grund für einen Spielabbruch auf. Präzisiert wird das in einem Lehrbrief des Verbandes für die Schiedsrichter-Fortbildung aus dem Jahr 2015, der wiederum aus einer Ausgabe der offiziellen Schiedsrichter-Zeitung aus dem Jahr 2002 zitiert.

Dort heißt es: "Kommt es während eines Spiels zu einem Todesfall unter den Spielern oder Zuschauern oder einer gravierenden Verletzung eines Spielers, sollte der Schiedsrichter das Spiel abbrechen, wenn ihn die Spielführer beider Mannschaften darum bitten." Die "Spielführer" sind die Kapitäne.

Schiedsrichter Gräfe beweist Einfühlungsvermögen

Zum Glück hatte das Spiel mit Manuel Gräfe einen so erfahrenen wie empathischen Unparteiischen. Dieser ging während der Unterbrechung von sich aus auf die Teams zu, wie beide Klubs sagten.

Die Schalker mochten dabei nicht um einen Abbruch bitten, so Teammanager Riether: "Die Mannschaft wollte weiterspielen und dies für Mark tun. Er hätte das so gewollt."

Auf Augsburger Seite bestätigte Trainer Heiko Herrlich, dass der Referee auch ihn gefragt habe, ob seine Elf das Spiel fortsetzen wolle. Man habe geantwortet, sich an der Schalker Entscheidung zu orientieren.

Was, wenn Schalke einen Abbruch verlangt hätte?

So wurde die Partie einvernehmlich fortgeführt. Was aber wäre passiert, wenn die Schalker einen Abbruch befürwortet hätten, die Augsburger jedoch hätten weiterspielen wollen?

Schiedsrichter Gräfe hätte dann mit Sicherheit versucht zu vermitteln, bei ausbleibendem Erfolg aber wohl die Fortsetzung angeordnet.

Wenn Schalke daraufhin den Rasen verlassen und damit einen Abbruch erzwungen hätte, wäre es am DFB-Sportgericht gewesen zu entscheiden, ob das Spiel für Augsburg gewertet oder neu ausgetragen wird.

Boujellab spielt trotz Kopfverletzung weiter

Zehn Minuten nach der Wiederaufnahme der Begegnung krachte erneut ein Schalker mit Uduokhais Kopf zusammen. Diesmal war es Nassim Boujellab, und auch hier war dem Augsburger nicht der geringste Vorwurf zu machen. Nach minutenlanger Behandlung spielte Boujellab mit einem Kopfverband weiter.

In der jüngeren Vergangenheit ist die Kritik am oftmals risikoreichen Umgang der Klubs mit Kopfverletzungen im Fußball lauter geworden. Ärzte warnen vor den potenziell tödlichen Spätfolgen, wenn ein Spieler trotz einer Gehirnerschütterung auf dem Feld bleibt und einen weiteren Schlag an den Kopf bekommt.

Die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) diskutieren deshalb schon seit einer Weile darüber, wie der mäßigen Bereitschaft, Spieler mit möglicher Gehirnerschütterung auszuwechseln, regeltechnisch beizukommen ist.

Der Sportschau zufolge wird das Ifab am kommenden Mittwoch wahrscheinlich eine Testphase beschließen, die im Januar des nächsten Jahres beginnen soll. Bei Verdacht auf eine Kopfverletzung bekäme das betreffende Team dann eine zusätzliche Auswechslung, die das reguläre Wechselkontingent nicht berührt.

Kommt der zusätzliche Wechsel bei Gehirnerschütterungen?

Denkbar ist, dass für jede potenzielle Kopfverletzung auf Wunsch des Trainers jeweils ein zusätzlicher Wechsel vom Schiedsrichter genehmigt wird, unabhängig davon, ob das Auswechselkontingent bereits erschöpft ist oder nicht.

Als Ausgleich darf das gegnerische Team dann voraussichtlich ebenfalls entsprechend häufiger wechseln. So könnte einem möglichen Schinden von Auswechslungen begegnet werden.

Sollte die Testphase beschlossen werden, könnte auch die Bundesliga an ihr teilnehmen, wenn die Vereine sich dafür aussprechen.

Der englische Fußballverband, die FA, hat bereits bekannt gegeben, die betreffenden Regularien ab der dritten Runde im FA-Cup zu verankern, die am zweiten Januar-Wochenende ausgetragen wird.

Eine feste Implementierung der Änderung im Regelwerk könnte das Ifab jedoch erst auf der Generalversammlung im Frühjahr 2022 beschließen. Bis dahin sollen Erfahrungen und Informationen gesammelt werden. Das Problem des oft zu nachlässigen und verharmlosenden Umgangs mit Kopfverletzungen wird jedenfalls angegangen. Endlich.

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