Loughgall hat gerade einmal 282 Einwohner, steht aber in Nordirland seit dem Aufstieg in die Premiership im Fokus. Denn der Loughgall FC ist dadurch der kleinste Erstligist in Europa. Im Mittelpunkt steht dabei der deutsche Torhüter Berraat Türker.

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Dieser Ort ist ein Traum für Fußball-Romantiker. Eine Steilvorlage, um zurück zu den Wurzeln des Spiels zu gelangen, wenn man so will. Denn in Loughgall ist alles klein, vertraut und persönlich. Komplett anders und weit weg vom milliardenschweren Business. In gut zehn Sekunden ist man durch das Dorf gefahren. Ganze 282 Einwohner leben in dem Ort, wo es auf der Main Street den "Village Store" gibt, eine Post und natürlich die größte Attraktion: den Loughgall FC. Seit dieser Saison in der Premiership Nordirlands unterwegs und damit der kleinste Erstligist Europas.

Der Klub elektrisiert seit dem Aufstieg im vergangenen Jahr das ganze Land. Bei dem Verein, 1967 gegründet, wird gemeinsam angepackt, viele Ehrenamtliche und Fans helfen mit, um den Laden rund um den Lakeview Park am Laufen zu halten. Das Stadion bietet 3.000 Plätze, also zehnmal so viel wie das Dorf Einwohner hat. Es ist ein ganz spezieller Spirit, der Geschichten wie die der "Villagers" überhaupt erst ermöglicht. Nordirlands Fußball ist sowieso eher beschaulich, hat mit dem Starkult der englischen Premier League nicht viel zu tun. In Loughgall ist es noch ein gutes Stück beschaulicher.

Eine Statue für Türker?

Genau das genießt der Deutsche Berraat Türker. Er ist Torhüter, 32 Jahre alt. Und schon so etwas wie eine Klub-Ikone. "Die Leute hier sind alle ehrlich, nehmen kein Blatt vor dem Mund. Manchmal sagen mir Leute, mir sollte eine Statue gebaut werden, für meine Leistungen hier. Da bekomme ich Gänsehaut", sagte Türker der Frankfurter Rundschau: "Man spielt hier nicht für den Verein, sondern für alle Menschen in der Gemeinde. Alle lieben den Fußball und ihren Verein." Ihm hat Loughgall "die Freude am Fußball wiedergegeben. Alles, was man erreicht, bedeutet hier etwas mehr", sagte er in einer Doku, die das ZDF dem ungewöhnlichen Klub gewidmet hat.

Ungewöhnlich ist auch Hilbert Willis. Er ist dem Klub sein ganzes Leben lang treu geblieben. Er war 30 Jahre lang Platzwart und fast ein Jahrzehnt lang Vorsitzender, zuletzt feierte er seinen 100. Geburtstag, der vom Verein mit einer Reihe von Feierlichkeiten begangen wurde. Eine Tribüne wurde schon vorher nach ihm benannt. "Ich bin jetzt seit 20 Jahren Ehrenmitglied und habe das Recht, zu jedem Spiel zu gehen, ohne zu bezahlen, aber ich bezahle am Drehkreuz. Und wenn ich zum Drehkreuz komme und niemand da ist, warte ich, bis sie zurückkommen, und bezahle trotzdem", sagte er Belfast Live. In Loughgall ist er längst eine Legende.

Anschlag durch die IRA

Loughgall? War da nicht etwas? Ja, 1987 schrieb das Dorf weltweit Negativ-Schlagzeilen, als während des Nordirlandkonflikts bei einem von einer Spezialeinheit der British Army vereitelten Anschlag der IRA auf eine Polizeistation acht Mitglieder der Terrororganisation und ein Zivilist ums Leben kamen. Das wirkt fast schon unwirklich, wenn man den Ort heutzutage sieht. Auch Türker kann es kaum glauben, wenn er in der Doku auf dem Platz steht, auf die Tribüne verweist und sagt: "Das Dorf hat sehr viel Geschichte, leider nicht alles positiv. Ich glaube, der Klub und das Dorf haben nur positive Erlebnisse, außer diesem Anschlag, der hinter dieser Tribüne war", so Türker. Das mache den Charakter der Menschen aus, sagte er, "und deshalb macht es den Platz so besonders".

Er selbst hat eine regelrechte Odyssee hinter sich gebracht, um sein Glück in Loughgall zu finden. In der Jugend spielte er bei Arminia Bielefeld und Hannover 96, ehe er nach Irland ging. "Mein Vater arbeitete dort und fragte mich, ob ich mitkommen wolle, weil das Schulsystem viel einfacher sei als in Deutschland. Da ich ein Vatersöhnchen bin, beschloss ich zu gehen", sagte er dem Belfast Telegraph.

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Odyssee auf dem Weg nach Loughgall

In Irland fing er als Zwölfjähriger mit Gaelic Football an, wodurch er vom Stürmer zum Torhüter umfunktioniert wurde. Er empfand von Anfang an "eine natürliche Liebe" für die Position. Da er weiterhin Fußball spielen wollte, schloss sich Türker Monaghan United an, wechselte zu Dundalk und den Dungannon Swifts. "Mein Vater wollte, dass ich bei jedem Verein anklopfe, um zu versuchen, in der ersten Mannschaft zu spielen, also habe ich mein eigenes Trainingsvideo gemacht", sagte er.

Er wagte auch einen Ausflug in die Türkei, der Heimat seiner Mutter, versuchte sich dort allerdings erfolglos. "Ich bin rumgejettet wie ein Zirkusclown, überall gab es nur leere Versprechen. Die Türkei war eine Lebenserfahrung, die einen entweder komplett vom Fußball wegbringt oder einen stärker macht", sagte Türker. Zwischenzeitlich arbeitete er sogar als Model. "Mein Vater hat zu mir gesagt, ich solle alles ausprobieren", so Türker: "Ich habe in Dublin als Teilzeit-Model gearbeitet und dann Vollzeit, als ich bei Dundalk war, und mein Terminkalender war ziemlich voll, sodass ich mich entscheiden musste: Vollzeit-Model oder Vollzeit-Fußballer?" Fußball natürlich. 2020 schloss er sich schließlich Loughgall an – für beide Seiten ein Volltreffer.

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Spieler des Jahres

Als der Klub im vergangenen Jahr aufstieg, wurde er als Spieler des Jahres in der zweiten Liga ausgezeichnet, immerhin 19 Mal hielt er seinen Kasten komplett sauber – Rekord in der Championship. "Er hat uns sehr, sehr gutgetan in den letzten zweieinhalb Jahren, und ganz besonders beim Aufstieg", sagte Torwarttrainer Luke Bush. Und jetzt auch in Liga eins. Als Team mit dem kleinsten Budget steht der Loughgall FC aktuell auf Rang acht bei zwölf Klubs. "Es gibt fünf Vollzeit-Teams in der Liga", sagt Türker, der neben seinem Job auf dem Platz als Analyst arbeitet: "Aber für die ist der Ball auch rund. Die haben mehr zu verlieren. Wenn die gegen Loughgall verlieren, trifft die das härter als alles andere. Wir haben vor keinem Gegner Angst, wir sind unangenehm."

Das liegt auch daran, dass der Verein bei allem Kult nicht untätig ist und sich nicht nur auf seine Eigenheiten und den Zusammenhalt des Dorfes verlässt. "Der Verein ist in den letzten Jahren hinter den Kulissen professioneller geworden", sagt Kyle Ferguson, Dozent für Sportmanagement an der Ulster University: "Sie benutzen GPS, Performanceanalyse. Einige unserer Studenten sind als Praktikanten dort und jetzt sehen wir erste Erfolge. Es ist also keine Überraschung, dass Loughgall so erfolgreich ist."

Trotzdem ist es keine Selbstverständlichkeit, wenn der kleinste Klub Europas die Klasse halten sollte. Die Chancen dafür stehen tatsächlich gut – auch das ist ein Traum für Fußball-Romantiker.

Verwendete Quellen:

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