Rund zehn Jahre nach dem tragischen Skiunfall des siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher zeichnet die ARD-Doku "Being Michael Schumacher" den sportlichen Weg des Kerpeners nach, blickt dabei aber auch auf den Menschen Schumacher. Die fünfteilige Doku punktet vor allem mit vielen Blickwinkeln. Ein wichtiger Faktor fehlt allerdings.

Eine Kritik
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David Coulthard nahm kein Blatt vor den Mund. Es sind harte, aber ehrliche Worte. Und sie bringen die Faszination Michael Schumacher auf den Punkt. "Er konnte sehr rücksichtslos, unnahbar, eiskalt sein. Wahrscheinlich muss man auf diesem Level so sein, wenn man diesen Erfolg haben möchte", sagte der Ex-Rivale in der ARD-Dokumentation "Being Michael Schumacher".

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Und legte nochmal nach. "Ich wäre nicht ehrlich, wenn ich nicht sagen würde, dass er auch negative Seiten hatte. Vor allem, wenn es um den Erfolg auf der Rennstrecke ging. Es war ihm doch egal, zu welchen Kosten." Das saß. Doch ja, so war Schumacher. Sonst wäre er wohl nicht der siebenmalige Formel-1-Weltmeister.

Doch es gab auch die andere Seite. "Außerhalb des Fahrerlagers war er ein lustiger Mensch, der sehr gerne Spaß hatte", betonte Coulthard. "Ich bin wirklich froh, diese Seite von Michael kennengelernt zu habe. Denn sonst bleibt nur der Seriensieger, der manchmal auch sehr kontrovers war." Schumachers Managerin Sabine Kehm verrät: "Man kann sagen, dass er das Visier nie ganz geöffnet hat, und den Leuten außerhalb seines privaten Bereichs nie den ganzen Michael Schumacher gezeigt hat."

Die Stärke der Doku

In diesen Momenten ist die Doku von Andreas Troll, die ohne Erzähler auskommt, am stärksten. Denn sie kann durch eine extreme Bandbreite an Wegbegleitern punkten, die immer wieder zu Wort kommen. Und damit auch mit einer variantenreichen Palette an Meinungen, Emotionen, Eindrücken und Hintergründen, um diese beiden unterschiedlichen Schumacher-Charaktere näher zu beleuchten.

So kommt zum Beispiel Gerd Noack ("Für mich war er ein Sohn-Ersatz. Ich habe mit ihm quasi gelebt") zu Wort, der hinter den Anfängen der Karriere Schumachers steht. Oder Jochen Neerpasch, der als Talente-Förderer bei Mercedes ebenfalls ein wichtiger Wegbereiter war. Oder Ex-Renningenieur Pat Symonds, der erklärt, wie Schumacher das Team auf seine Seite zog, dass alle alles für ihn gaben. Ex-Rennfahrer Bertrand Gachot wiederum erzählt die kuriose Geschichte, wie er Schumacher mit seiner Verhaftung den Weg in die Formel 1 ebnete. Bruder Ralf Schumacher verrät, warum man Papa Schumacher mit Motorsport eigentlich jagen konnte. Und Bastian Schweinsteiger, was er durch Schumi erst "richtig kennengelernt" hat.

So bekommt der Zuschauer mehrere Blickwinkel auf eine einzigartige Karriere, auf den Rennfahrer und Menschen Schumacher aufgezeigt, garniert mit unterhaltsamen Anekdoten. Dinge, die einer breiten Öffentlichkeit wahrscheinlich noch nicht bekannt sind. Zum Beispiel, dass Schumacher bei seinem ersten Besuch bei Ferrari in Maranello geschockt war angesichts der Zustände bei den Roten und den Drang hatte, in der Fabrik in Maranello aufzuräumen.

Dass er bei Mama Rossella im Restaurant "Montana" nicht nur gegessen, sondern mit ihr Italienisch gelernt hatte. Oder dass er bei Pretty Woman weinte. Dass er bei der Marmelade sparte und für die Tsunami-Opfer 2004 zehn Millionen Dollar spendete – auch das war Schumacher.

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Sentimentale Erinnerungen

Eingefleischte Fans werden vieles schon wissen, auch wenn die fünf jeweils rund 30 Minuten langen Episoden Schumachers Weg weitgehend chronologisch nachzeichnen – vom Kinderzimmer Kartbahn über das Wohnzimmer Spa zur Ferrari-Mania bis hin zum Mercedes-Comeback – und dabei mit Tiefe punkten können.

Bilder von einem Kerpener Autokorso oder frustrierten oder lautstark jubelnden Fans transportieren den damals rasant wachsenden Schumacher-Hype in Deutschland, der auch aus medialer Sicht betrachtet wird. Was allerdings nur oberflächlich analysiert wird, sind die Kontroversen, für die Schumacher im Laufe seiner Karriere gesorgt hat. Klar ist aber, dass man sich der Wucht einer solchen Karriere immer nur punktuell näher kann. Vor allem weil der Mensch Schumacher sein Privatleben immer geschützt hat.

Der Doku gelingt der Spagat auch durch Archiv-Aufnahmen und durch immer wieder eingespielte Sequenzen Schumachers aus früheren Interviews, was für sentimentale Erinnerungen sorgt. Teilweise sind die Aufnahmen noch versehen mit einem unüberhörbaren rheinischen Akzent des blutjungen Schumachers. Als er in einem dieser Interviews erklärt, dass er an das Schicksal glaube, muss man angesichts des tragischen Skiunfalls am 29. Dezember 2013 schlucken.

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Keine neuen Erkenntnisse

Doch wer sich tatsächlich neue Erkenntnisse zu Schumachers Gesundheitszustand erhofft hat, wird wenig überraschend enttäuscht. "Ich frage gar nicht nach bei der Familie, weil ich absolut respektiere, dass sie die Informationen nur sehr spärlich geben. Das halte ich auch für richtig", sagt RTL-Moderator Florian König, der aber merke, "dass die Menschen nach wie vor an seinem Schicksal teilhaben". Doch natürlich bleibt sich die Familie Schumacher in der Hinsicht treu.

Hier wird aber gleichzeitig auch eine Schwäche deutlich: Die Familie kommt nicht zu Wort, weil sie für sich entschieden hatte, nicht dabei sein zu wollen. Die Netflix-Doku "Schumacher" hatte mit emotionalen Einblicken von Corinna, Gina-Maria und Mick Schumacher zum Ehemann und Vater die Messlatte sehr hochgelegt. Die ARD-Doku kommt - mit Ausnahme eines Statements von Mick zum Einsatz in Michael Schumachers Mercedes beim Goodwood-Festival - ohne Einspieler der Drei aus. Was trotzdem den Eindruck hinterlässt, dass etwas fehlt, was das insgesamt rund zweieinhalbstündige Werk kompletter gemacht hätte.

Zur Doku:

  • Alle fünf Folgen von "Being Michael Schumacher" sind ab 14. Dezember in der ARD Mediathek abrufbar. Das Erste zeigt alle Folgen am 28. Dezember ab 23:25 Uhr.
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