• Annalena Baerbock geht für die Grünen als Kanzlerkandidatin ins Rennen.
  • Das hat das Führungsduo der Partei am Montag bekanntgegeben. Robert Habeck zieht damit den Kürzeren.
  • Warum haben die Grünen sich für die 40-Jährige ohne Regierungserfahrung entschieden? Politikwissenschaftler Lothar Probst sieht vor allem einen Grund.
Eine Analyse

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Bei den Grünen sind die Würfel gefallen: Parteivorsitzende Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin. Das haben die beiden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck auf einer Pressekonferenz am Montag (19. April) bekannt gegeben. "Heute beginnt ein neues Kapitel für unsere Partei", sagte die 40-Jährige Baerbock. Sie wolle mit ihrer Kandidatur ein Angebot machen: "Für die gesamte Gesellschaft. Als Einladung, unser vielfältiges, starkes, reiches Land in eine gute Zukunft zu führen."

Die Entscheidung ist in der Tat historisch: Baerbock ist nicht nur die erste grüne Kanzlerkandidatin, sondern auch jüngste Kanzlerkandidatin überhaupt. Die Völkerrechtlerin, die dem "Realo"-Flügel der Partei zugerechnet wird, wurde 1980 in Hannover geboren und sitzt seit 2013 im Bundestag. Regierungserfahrung fehlt ihr allerdings: Zwar saß Baerbock bereits dem Landesverband in Brandenburg vor, politische Ämter außerhalb der Partei hat sie aber bislang nicht übernommen.

Annalena Baerbock: Keine Regierungserfahrung

Anders als ihr Mitbewerber um die Kanzlerkandidatur Robert Habeck, der beispielsweise Erfahrung als stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein vorzuweisen hat. Warum machte dennoch Baerbock das Rennen? "Die Entscheidung für Annalena Baerbock war keine Entscheidung gegen Robert Habeck", ist sich Politikwissenschaftler Lothar Probst, emeritierter Professor der Universität Bremen, sicher. "Die Wahl von Baerbock beruht auf der Gewissheit, dass beide weiterhin als Tandem funktionieren", sagt der Experte.

Dennoch schätzt er, fiel die Wahl auf Baerbock vor allem aus einem Grund: "Die Grünen haben eine starke Tradition als feministische Partei, die Frauen eine starke Rolle einräumt und regelmäßig die ersten Listenplätze mit weiblichen Kandidatinnen besetzt", sagt Probst. Es sei deshalb nicht zwangsläufig auf Baerbock hinausgelaufen, als junge Frau sei sie aber gewissermaßen die ideale Gegenspielerin von Alphatieren, die seit langem in der Politik tätig sind. "Sei es nun Olaf Scholz, Armin Laschet oder Markus Söder", kommentiert Probst.

"Frage der Emanzipation"

Auch Baerbock gab auf Nachfrage in der Pressekonferenz zu, die "Frage der Emanzipation" habe eine Rolle gespielt. Die Entscheidung sei als "Prozess" in den letzten Wochen und Monaten gefallen – noch vor Ostern. Habeck kündigte aber an, er werde seine Regierungserfahrung und die Erfahrung von mehrfach erfolgreich abgeschlossenen Regierungsverhandlungen einbringen. Er wird gemeinsam mit Baerbock Spitzenkandidat im Wahlkampf sein.

"Nur die Tatsache, dass die beiden so gut als Tandem funktioniert haben, hat ihnen gestattet, die Frage nach der Kanzlerkandidatur untereinander zu klären, sonst hätte sicherlich eine Urwahl oder andere Form der Basisentscheidung angestanden", sagt Probst. Es habe in der Geschichte der Grünen selten eine Zeit gegeben, wo ein Führungsduo so unbestritten das strategische Zentrum der Partei bilden konnte.

Symbol der Veränderung?

"Die Partei ist mit den beiden so einverstanden, wie selten zuvor mit einer Parteiführung", meint Probst. Die Auswirkungen auf das interne Machtgefüge der Grünen durch die Wahl von Baerbock hält er deshalb für gering. "Dass jetzt einer der beiden in die zweite Reihe rückt, ist eher für die Medien und die politischen Gegner interessant. Die Medien werden sich jetzt stärker auf Baerbock konzentrieren, die politischen Mitbewerber werden nach Lücken und Fehlern suchen und sie unter Druck setzen", so der Experte.

Dass Baerbock, Mutter von zwei kleinen Kindern, die Regierungserfahrung fehlt, dürfte dabei für die anderen Parteien ein gefundenes Fressen sein. "Ja, ich war noch nie Kanzlerin und auch noch nie Ministerin", sagte Baerbock bei ihrem Pressestatement. "Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere", so Baerbock. Auch Politikwissenschaftler Probst sagt: "Sie repräsentiert etwas Neues. Der Wunsch nach Veränderung in der Bundesrepublik ist relativ groß, das könnte eine Chance zu punkten sein."

Langer Weg ins Kanzleramt

Dennoch sei der Weg ins Kanzleramt für die Grünen immer noch sehr weit. Die Umfrageinstitute sehen die Union und die Grünen zwischen vier (Forsa vom 14. April) und zehn Prozentpunkten (Forschungsgruppe Wahlen vom 16. April) auseinander. "Man muss abwarten, wie sich das verändert. Es wird auch davon abhängen, wen die Union letztendlich nominiert", so Probst. Solange die Grünen aber auf Schlagdistanz zur Union blieben, hätten sie durchaus eine Chance, als Sieger durchs Ziel zu gehen.

"Das Land braucht einen Neuanfang", sagte Kanzlerkandidatin Baerbock. Sie wolle eine Politik anbieten, die vorausschaut, etwas Neues wagt, den Menschen zuhört, und ihnen etwas zutraut. Sie kämpfe für eine Gesellschaft, "in der Schulen und Kitas die schönsten Orte sind und Pflegekräfte Ressourcen haben, um sich zu kümmern".

Grüne wollen 50 Milliarden Euro investieren

Klimaschutz müsse dabei für alle Bereiche der Maßstab sein. "Es gilt jetzt neue Regeln zu schaffen, damit das Fortschrittliche der zukünftige Standard ist", sagte Baerbock und kündigte massive Investitionen unter ihrer Führung an.

Das 136 Seiten starke Wahlprogramm der Grünen gilt als relativ linksgerichtet. Die Grünen planen jährliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro – offen bleibt jedoch, wie die Investitionen finanziert werden sollen. Nach der Bundestagswahl könnten sich für die Grünen unterschiedliche Konstellationen für mögliche Koalitionen ergeben. Die Grünen könnten in einer Koalition mit SPD und Linken, aber auch mit SPD und FDP die Kanzlerin stellen.

Durchsetzungsstarke Teamplayerin

"Derzeit regieren die Grünen bereits in mehr als zehn Koalitionen, von Kenia- über Ampel- bis hin zur Jamaika-Regierung", erinnert Probst. Solche Bündnisse zu schmieden traut er auch Baerbock zu. "Sie ist durchsetzungsfähig, aber trotzdem eine Teamplayerin. Baerbock ist innerhalb der Partei gut vernetzt und versteht es die Leute aus der Parteizentrale mitnehmen".Sie könne nach innen führen, aber auch nach außen. "Dabei hat sie ein Führungsverständnis, das nicht auf klassische Machtpolitik setzt, sondern auf Konsens und Moderation", sagt Probst. Er meint: "Merkel ist als Kohls Mädchen gestartet und hat sich zu einer Führungsfigur in Europa und zu einer Krisenmanagerin entwickelt. Man muss den Leuten die Möglichkeit geben sich zu entfalten und sich zu entwickeln."

Wie das im Falle von Baerbock aussehen würde – nur der Praxistest könnte es zeigen.

Über den Experten: Politikwissenschaftler Prof. Dr. Lothar Probst ist Mitglied des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bremen und war bis 2016 Leiter des Arbeitsbereichs Wahl-, Parteien- und Partizipationsforschung und Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien. Von 2009 bis 2019 war er Mitglied im Beirat der Grünen Akademie der Heinrich Böll Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Lothar Probst
  • "Wahlrecht.de": Sonntagsfrage Bundestagswahl.

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