Wenige Tage vor der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus trafen am Dienstag (7. Februar) die aussichtsreichsten Spitzenkandidaten aufeinander. Sie stellten sich einem Ritt durch Themen von E-Scooter bis Lehrermangel. Zündstoff hatten vor allem zwei Themen: die Silvester-Krawalle und der Wohnungsbau.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Ereignis ist historisch: Erstmals in der Geschichte der Hauptstadt Berlin muss eine Wahl komplett wiederholt werden. Das hatte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin im November 2022 entschieden. Bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen war es zu zahlreichen Fehlern gekommen.

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Es fehlten beispielsweise Wahlzettel und Wahllokale blieben zu lange geöffnet. Thema war das beim Kandidatencheck am Dienstagabend (7. Februar) nicht mehr. Worum es stattdessen ging.

Das waren die Themen beim Kandidaten-Check

Das war ein ganz schöner Rundumschlag! Themen, bei denen wohl nur Berliner mitreden können ("Soll das Tempelhofer Feld bebaut werden?" oder "Sollen Kleingärten zugunsten von Wohnungsbau weichen?") gab es ebenso, wie Themen, die durchaus bundespolitische Reichweite haben ("Wie umgehen mit den Silvester-Krawallen?", "Was tun gegen den Lehrermangel?", "Wie bezahlbaren Wohnraum schaffen?").

Mehrmals wurden den Kandidaten kurze Videos von Berlinerinnen und Berlinern eingespielt, deren Fragen sie am Ende beantworten sollten. Ebenso gab es Schnell-Frage-Runden, auf die mit "Daumen hoch" und "Daumen runter" reagiert werden sollte. Raum für ausführliche Debatten gab es zum Beispiel beim Thema Silvester-Krawalle und Ausstattung der Polizei.

So hat sich das Moderations-Duo geschlagen

Durch den Abend führten Sascha Hingst und Franziska Hoppen. Hingst schien zu Beginn etwas aufgeregt, beide fanden dann aber schnell in ihre Rolle. Der Tonfall war locker, aber die Stimmung spürbar angespannt: Man merkte, dass den Moderatoren die Zeit im Nacken saß. Mehrmals betonten sie das auch: "Wir haben nur 90 Minuten."

Gepaart mit den schnellen Formaten, brachte das Unruhe in die Sendung. So bestand der Job von Hingst und Hoppen auch größtenteils darin, die Kandidaten "abzufragen", anstatt in tiefergehenden Diskussionen einen roten Faden zu spinnen.

Das waren die Kandidaten im Kandidaten-Check

Kristin Brinker (AfD): Beim Thema Silvester-Krawalle plädierte die AfD-Politikerin dafür, die Täterherkunft bei solchen Vorfällen genauestens zu eruieren. "Erst, wenn ich das weiß, kann ich tätig und aktiv werden", meinte sie. Die Präventionsarbeit scheine aktuell eine bestimmte Gruppe nicht zu erreichen, in Berlin hätten sich Parallelgesellschaften gebildet.

"Da wird man mit Präventivarbeit sicher nicht weiterkommen", so Brinker. Beim Thema Fachkräftemangel forderte sie: "Wir müssen die gesetzlichen Regelungen schaffen für Ein-Fach-Lehrer" und in Sachen Klimapolitik meinte Brinker: "Wir dürfen uns nicht zum Knecht des CO2 machen." Man könne das Klimaproblem nicht in Berlin lösen, es müsse auf internationaler Ebene passieren.

So hat sich Brinker geschlagen: An diesem Abend wenig auf Krawall gebürstet, aber einsam in manchen Ansichten. Sie stimmte zum Beispiel als Einzige den Aussagen zu, man müsse Obdachlose aus der Innenstadt verbannen und eine Deutsch-Pflicht auf Schulhöfen einführen.

Sebastian Czaja (FDP): "Berlin braucht ein Baulücken-Kataster. Solange Berlin so viele Baulücken hat, müssen wir keinen Kleingarten zur Disposition stellen", war sich Czaja sicher. Berlin brauche eine "echte Verwaltungsreform" und eine "mietsenkende Neubaureform".

In Sachen Bauen müsse man "Subjekte statt Objekte" fördern und dürfe das Geld nicht in Beton binden. Als es um die Silvester-Ausschreitungen ging, lenkte Czaja die Aufmerksamkeit auf die Bildungspolitik. "Die Postleitzahl entscheidet noch immer oft, welche Chancen man in dieser Stadt hat", ärgerte er sich.

So hat sich Czaja geschlagen: Czaja war merklich um Sachlichkeit bemüht, wurde das Image als Verteidiger der Vermieter und Autofahrer aber auch in dieser Sendung nicht los.

Franziska Giffey (SPD): "Wir haben im letzten Jahr etwa 16.500 Wohnungen fertiggestellt", erinnerte Giffey. Das sei mehr als der Bundesdurchschnitt, aber noch nicht ausreichend für den Bedarf. Man müsse weiter investieren und Genehmigungen beschleunigen. Bei der Präventionsarbeit mit Jugendlichen machte sie sich für Orte stark, an denen sich Jugendliche treffen können. Sie forderte eine "ausgestreckte Hand" parallel zu einem "Stoppschild".

So hat sich Giffey geschlagen: Giffey stach als Politikerin mit der meisten Medienerfahrung hervor und konnte immer wieder mit Insider-Wissen aus dem politischen Berlin trumpfen. Insgesamt erschien sie ziemlich selbstbewusst und siegessicher.

Bettina Jarasch (Grüne): "Wir haben zu wenig Lehrer, deshalb fällt auch zu viel Unterricht aus", gab Jarasch zu. Kurzfristig könne man diese Lücken aber nicht schließen. "Wir brauchen anderes Personal an den Schulen, um Lehrer zu entlasten: IT-Kräfte, Sachbearbeiter, Sozialarbeiter, Schulpsychologen", schlug sie vor.

Als es um den überlasteten Berliner Verkehr ging, sagte sie: "Verkehrssicherheit sollte uns allen etwas wert sein. Dann wird es nur gehen, wenn die Autos ein Stück weit Platz machen für den anderen Verkehr." Berlin habe jahrelang vernachlässigt, dass es nicht nur Autos gibt.

So hat sich Jarasch geschlagen: Jarasch übte sich in Realitätspolitik und argumentierte wenig ideologisch. Teilweise verzettelte sie sich etwas, machte aber insgesamt eine solide Figur.

Klaus Lederer (Die Linke): "Wer sie falsch abstellt, muss dafür zahlen - und zwar heftig", forderte der Linkspolitiker in Bezug auf E-Scooter. Außerdem appellierte er: "Wir müssen den Polizeibeamtinnen und -beamten den Rücken stärken, sie anständig für ihre Arbeit bezahlen, Wachen weiter sanieren und natürlich müssen wir auch über die Ausstattung reden." Die entscheidende Frage sei aber, welches konkrete Einsatzinstrument sich für welchen Zweck eigne.

So hat sich Lederer geschlagen: Lederer war derjenige in der Runde, der am meisten zum Streiten aufgelegt war. Dabei griff er aber mit Argumenten an und ging nicht selten als Sieger aus kleinen Duellen hervor.

Kai Wegner (CDU): "Wir müssen endlich dafür sorgen, dass Mieterschutz wirkt", meinte Wegner. Der Senat reiße seine Ziele immer wieder, man müsse mindestens 20.000 Wohnungen im Jahr bauen. "Man muss die Mietpreisbremse durchsetzen", forderte der CDU-Mann auch.

Außerdem brauche man ein Mieten-Kataster, um Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen. Zu den Silvesterkrawallen sagte er: "Wir haben ein Jugend-Gewalt-Problem 365 Tage im Jahr, von rechts, von links, aber auch von jungen Männern mit Migrationshintergrund." Es brauche gute Präventionsarbeit

So hat sich Wegner geschlagen: Am häufigsten eckte er mit Linkspolitiker Lederer an. Wegner wusste, sich gut zu verkaufen, hätte sich an der ein oder anderen Stelle aber das typische Regierungs-Bashing sparen können.

Das war der Moment der Sendung

Die Diskussion lief gerade über bezahlbaren Wohnraum als Jarrasch meinte, Eigentum verpflichte und alle Vermieter - öffentliche wie private - müssten bezahlbaren Wohnraum schaffen. "Das erreichen wir, indem wir ganz konsequent nur noch Steuervorteile an die geben, die sich im Gegenzug verpflichten, dauerhaft für Leute mit niedrigem und mittlerem Einkommen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen", meinte sie. Sie schlug einen "Fairer-Vermieter-Führerschein" vor und bemängelte: "Es gibt hier zu viele Geschäftsmodelle, die nur durch Spekulation Geld verdienen. "

Das rief FDP-Politiker Czaja auf den Plan: "Hören Sie auf, diese Stadt auseinander zu dividieren, Frau Jarasch", beschwerte er sich. Mieter würden gegen Vermieter ausgespielt. Einige Minuten und Stirnrunzeln später, führte er fort, wo das Problem aus seiner Sicht liegt: "Die Baugenehmigungen dauern länger als das eigentliche Bauvorhaben." Deutlich wurde, dass in diesem Thema ziemlich Zündstoff steckt.

Das war das Rede-Duell des Abends

"Ich verstehe nicht, warum Sie immer noch Modellversuche starten müssen. Body-Cams werden in anderen Bundesländern längst erfolgreich angewendet, die Bundespolizei nutzt Body-Cams", kritisierte Wegner in Richtung Lederer. Der Berliner Senat zeige ein gestörtes Verhältnis zur Polizei. Mit einer besseren Ausstattung werde man es auch schaffen, "dass sich wieder Frauen und Männer bei der Berliner Polizei oder Feuerwehr bewerben", so Wegner.

Lederer hielt dagegen: "Das Fachkräfte-Problem haben wir bundesweit, das ist kein spezifisches Berliner Problem. Polizeiwachen seien unter der Großen Koalition verrottet. Wegner giftete zurück: "Wollen wir nicht über die vergangenen sechs Jahre reden? Das ist doch viel näher dran." Lederer wollte sich aber nicht aufs Glatteis führen lassen: "Ich stehe hinter der Polizei. Da können Sie sich hundertmal hinstellen und versuchen, an meinem Image zu kratzen, das wird Ihnen nicht gelingen", stellte er klar.

Das war das Ergebnis beim Kandidatencheck

An den entscheidenden Stellen wurde in der Sendung gebremst: Die wirklich kontroversen Themen "Deutsch-Pflicht für Schulhof", "Obdachlose aus der City verbannen", "Klimakleber härter bestrafen" und "Clan-Kriminelle abschieben" handelten die Moderatoren nur mit Daumen hoch oder runter ab.

Das war verschenkte Debatte. Da hätte man sich lieber Fragen wie "Tatort oder Traumschiff?" und "Eis oder Schokolade" sparen können. Teilweise schlug auch das Phrasenschwein zu: Sätze wie "Da wo Probleme sind, müssen sie benannt werden" hätten zu jedem Thema gepasst.

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