Die neue Partei "Volt Europa" gibt eine Antwort auf den Rechtspopulismus in Europa. Als erste gesamteuropäische Partei will sie 2019 bei den Europawahlen antreten. Überzeugen wollen die jungen Europa-Fans mit positiven Botschaften. Ein Politikexperte rechnet Volt dabei durchaus Chancen aus.

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Sie ist neu, sie ist jung und sie will einen ganzen Kontinent retten. Ein Jahr vor den Europawahlen im Mai 2019 will die Partei "Volt Europa" all jene erreichen, die dem Rechtspopulismus etwas entgegensetzen wollen, aber sich von den bestehenden Parteien nicht angesprochen fühlen. Wer sind die Leute bei Volt und welches Potenzial hat die Partei?

Ein Anruf bei Robert Heldner, der die Pressearbeit des deutschen Ablegers von Volt betreut. Er ist erst seit März dieses Jahres bei der frisch gegründeten Partei, doch von ihren Ideen war er schnell überzeugt.

Wichtigster Beweggrund sei die Erstarkung des Rechtspopulismus gewesen, sagt Heldner: "Viele von uns hatten das Gefühl: Es reicht nicht aus, nur demokratische Parteien zu wählen. Wir müssen aktiv etwas tun."

Volt Europa sei eine direkte Antwort auf das Brexit-Referendum: Der Italiener Andrea Venzon wollte nach England ziehen und war somit selbst von den Folgen des geplanten EU-Austritts der Briten betroffen. Im Gespräch mit Freunden entstand die Idee, eine proeuropäische Bewegung und schließlich eine Partei zu gründen.

Volt Europa will die erste gesamteuropäische Partei werden

Die Partei sollte so international sein wie ihre Gründer, der Italiener Andrea Venzon, die Französin Colombe Cahen-Salvador und der Deutsche Damian Boeselager. Ein proeuropäisches Symbol ist auch das Gründungsdatum, der 29. März 2017: Am selben Tag beantragte das Vereinigte Königreich offiziell den Austritt aus der EU.

Über ihre Facebook-Seite erreichten die Volt-Gründer immer mehr Menschen. Fast 16 Monate später hat die Partei nach eigenen Angaben europaweit 10.000 Mitglieder und Unterstützer. Verbände finden sich in allen EU-Staaten, in sieben Ländern wurde bereits eine Partei gegründet, darunter Volt Deutschland.

Bisher gab es keine Partei, die in jedem Land der Europäischen Union gewählt werden kann. Doch genau dieses Ziel strebt Volt Europa an: Mit 25 Sitzen können sie eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament bilden. Dafür reichen die Stimmen aus nur einem Land aber kaum aus.

Der Name "Volt" soll eine Anspielung auf die Maßeinheit für elektrische Spannung sein. "Wir wollen Spannung und Energie nach Europa bringen", so Heldner. Außerdem sei die Bezeichnung international und bedeute über Ländergrenzen hinweg dasselbe.

EU-Reform und "Smart State" als Ziele

Welche Ziele verfolgt Volt Europa konkret? "Am Anfang stand die grundsätzliche Überlegung: Was sind die großen Herausforderungen für Europa?", berichtet Heldner.

Heraus kamen die "5+1 Challenges": Zu den fünf größten Zielen gehören der Aufbau eines "Smart State", der die staatliche Bürokratie durch Digitalisierung effizienter machen soll, ökonomische Reformen und soziale Gerechtigkeit: Diskriminierungen wie der "gender pay gap" sollen abgebaut werden. Das "+1" steht für die Reform der Institution EU selbst.

Das seien die übergeordneten Ziele, das "Gerüst" von Volt, doch jedes Land könne nach Bedarf eigene Schwerpunkte setzen, erklärt das Parteimitglied. So gebe es zum Beispiel beim Thema Migration in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Bedürfnisse.

Das Wertekonstrukt bleibe jedoch überall gleich: "Wenn man bei Volt mitmacht, ist einem auch klar, was das bedeutet." Auch wenn einzelne Punkte heiß diskutiert worden seien: Die Zustimmung zum 181 Seiten dicken Programm habe bei über 83 Prozent gelegen.

Für Heldner ist die Beteiligung der Bürger für den Erfolg von Politik ausschlaggebend. Er verweist auf die niedrige Wahlbeteiligung bei den vergangenen Europawahlen: "Da gibt es einen wahnsinnig großen Prozentsatz an Menschen, die wir erreichen wollen."

Positive Botschaften gegen den Hass

Viele Mitglieder und Unterstützer von Volt hätten selbst zuvor keine politische Heimat gehabt oder sich kaum für Politik interessiert. Dem Rechtspopulismus möchten sie jetzt aber etwas entgegensetzen.

"Ich habe großes Verständnis für Leute, die sagen: Die EU ist ein riesiger, undurchdringlicher Bürokratieapparat", meint Heldner. Eine Rückkehr in den Nationalstaat könne aber nach seiner Überzeugung nicht die Lösung sein.

"Die Europäische Union ist ein einzigartiges Projekt. Wir haben durch die Geschichte dieses Kontinents eine Verpflichtung, dieses Projekt zu retten."

Werben möchte Volt vor allem mit positiven Botschaften. Bekommen sie damit überhaupt Aufmerksamkeit, wenn der Rechtspopulismus doch mit Provokationen, Beschimpfungen und Drohungen die Schlagzeilen beherrscht?

Heldner glaubt: ja. "Die Menschen hungern danach, nicht nur von negativen Schlagzeilen überflutet zu werden", meint der 35-Jährige. Volt müsse die richtigen Botschaften setzen, um die Menschen zu erreichen.

Im Fokus sollte zum einen der Fortschritt stehen, den die EU Europa gebracht hat. Die Abschaffung der Roaming-Gebühren sei ein konkretes Beispiel.

Für Heldner das Wichtigste: "Wenn die EU zusammenhält, ist sie ein Big Player in der Welt." Gerade in der Wirtschaft besitzt die Union große Macht. Ein Freihandelsabkommen könne die EU viel besser verhandeln als ein einzelner Staat.

Experte: Volt stößt in eine politische Lücke

Der Berliner Politikwissenschaftler Edgar Grande findet Volt ein "spannendes politisches Projekt". Die proeuropäische Partei stoße in eine politische Lücke: Bisher sei das Thema Europa vor allem von EU-Skeptikern thematisiert worden.

Die AfD beispielsweise wurde ursprünglich als "Anti-Euro-Partei" gegründet. Die Europa-Befürworter in den bestehenden Parteien haben das Thema in den vergangenen Jahren dagegen wenig besetzt.

Das Programm von Volt sei kein "Sammelsurium", sondern der "sehr ernstzunehmende Versuch, einen Wertekatalog für eine progressive Bewegung des 21. Jahrhunderts zu erstellen". Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit, Nachhaltigkeit und Solidarität hätten zwar auch die Liberalen, Sozialdemokraten oder Grünen.

Volt habe diese aber aufgefrischt, indem sie beispielsweise neue Technologien einbeziehen. Etwas verschmitzt fügt Grande im Gespräch mit unserer Redaktion hinzu: "Dass es Volt gibt, hat damit zu tun, dass die Grünen alt geworden sind."

Die Volt-Mitglieder sind meist jung, gebildet und mobil: Die Europäische Union ermöglicht ihnen, ihren Studien- und Wohnort selbst zu wählen. Viele haben durch Praktika, Erasmus oder einen Job im EU-Ausland gelebt, sich dabei verliebt, neue Freunde getroffen, ein europäisches Netzwerk geschaffen. Von der "BILD" wurden sie als "EU-Hipster" belächelt.

"Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Europa wichtig ist und dass es sich lohnt, für Europa zu kämpfen", meint dagegen Grande. Der Politikwissenschaftler hält Volt aber auch für ältere Generationen attraktiv: "Europa ist insgesamt ein wichtiges Thema geworden, doch es gibt dazu kein wirklich attraktives Angebot der etablierten Parteien".

Volt könnte das Gesicht für die Europa-Befürworter werden

Die seien bei diesem Thema gespalten, wie zuletzt auch der Streit um nationale und europäische Lösungen in der deutschen Asylpolitik zeigte. Auch in der britischen Brexit-Debatte zieht sich der Riss quer durch die beiden großen Parteien, die konservativen Tories und die Arbeiterpartei Labour.

Dabei seien Phänomene wie der Brexit Ausdruck eines tiefergehenden Konflikts. "Wir beobachten seit den 1990er-Jahren in den westlichen Ländern stärkere Konfliktlinien um Themen wie Integration und Abgrenzung, Offenheit und Abschottung", erklärt der Politikexperte. Bisher habe der progressiven Bewegung, anders als den Europa-Kritikern, aber ein Gesicht gefehlt.

Grande sieht daher durchaus Chancen für Volt. "Die spektakulärsten politischen Kampagnen der letzten Jahre gingen von Außenseitern und neuen Parteien aus", erinnert er und verweist auf Donald Trump, die Rechtspopulisten in Deutschland, Österreich und Italien, aber auch Emmanuel Macron.

Den schnellen Aufstieg machten die Sozialen Medien möglich. "Die Parteienlandschaft ist nicht nur inhaltlich in Bewegung geraten, sondern auch organisatorisch", fasst der Politikwissenschaftler zusammen.

Robert Heldner arbeitet ehrenamtlich im Team Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Volt Deutschland. Hauptberuflich ist er bei einem Unternehmen für erneuerbare Energien beschäftigt.

Edgar Grande ist Gründungsdirektor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WBZ). Zuvor war er Professor für vergleichende Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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