Bewegung "Union der Mitte" will dem Rechtsruck in CDU und CSU die Stirn bieten und die Lager vereinen. Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer aber meint: Dem "Zusammenschluss von Merkel-Anhängern" fehlt etwas, um zur Massenbewegung zu werden.

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Irgendwann war für Stephan Bloch das Fass übergelaufen: Der 29-jährige Unternehmer aus München konnte Begriffe wie "Asyltourismus" oder "Flüchtlingsgehalt" nicht mehr hören.

Der Unmut war seit Wochen gewachsen, da rief das CSU-Mitglied die Mitgliederinitiative "Union der Mitte" ins Leben.

Weil man die "christlich-sozialen Werte einer Union nicht für das blinde Schließen einer rechten Flanke vernachlässigen" dürfe, heißt es auf der Website der Initiative.

Und: "Populistische Parolen und die ewige Suche nach Schuldigen sind mir peinlich", sagte der Gründer gegenüber der "FAZ" in Bezug auf Seehofers, Söders und Dobrindts Äußerungen zur Asylpolitik.

Masterplan für die Zukunft

Der lockere Zusammenschluss aus CDU- und CSU-Mitgliedern will einen anderen Stil pflegen: Es gehe darum zu Vereinen, anstatt zu Spalten. "Was wir brauchen, sind sachliche Debatten und fairer Dialog", so Bloch zur "FAZ".

Die "Union der Mitte" wolle sich einem Masterplan für die Zukunft widmen und sich nicht auf vermeintliche Probleme fokussieren, welche den Menschen eingeredet würden. Stattdessen soll es etwa um Digitalisierung, Infrastruktur, Wohnungsbau, bezahlbare Mieten, Breitband, Verkehr gehen.

Im Gespräch mit der "FAZ" äußerte Bloch: "Wir an der Basis, unsere Bürgermeister und Lokalpolitiker, die ganz nah an den Menschen sind, wissen, dass die Bürger ganz andere Fragen bewegen."

Rascher Zulauf auf allen Ebenen

Die Initiative des bis dahin weitgehend unbekannten Jungpolitikers nimmt rasch an Fahrt auf: Weit mehr als 2.000 Nutzer haben allein bei Facebook ihre Anhängerschaft bekundet, auch bei Twitter ist der Zulauf rege.

Die Anhänger sind auf allen politischen Ebenen zu finden, kommen aus CDU wie CSU. Angefangen bei Basismitgliedern und Kommunalpolitikern über Bürgermeister wie Richard Reischl (Landkreis Dachau) gehören auch Landtags-, Bundestags- und Europa-Abgeordnete dazu.

Unter ihnen beispielsweise der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, der Europa-Abgeordnete Dennis Radtke und die schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerin Karin Prien.

Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat zumindest öffentlich Sympathie bekundet.

Wo ist überhaupt "die Mitte"?

Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin hält die Euphorie nur teilweise für berechtigt. Schon bei dem Namen der Initiative fangen die Probleme an: Denn über den Begriff "Mitte" herrscht jede Menge Uneinigkeit.

"Aus politik- oder sozialwissenschaftlicher Perspektive ist es extrem schwierig 'die Mitte' zu beschreiben. Eine allgemein anerkannte inhaltliche Definition gibt es nicht", so der Experte.

Deswegen präsentierten sich sehr unterschiedliche Leute als Vertreter der Mitte. "Man kann also darüber streiten, ob die Union der Mitte überhaupt in der Mitte angesiedelt ist“, so Niedermayer weiter.

"Zusammenschluss von Merkel-Anhängern"

Auf der Homepage der Union der Mitte heißt es: "Es gibt ein Vakuum in der Mitte der Gesellschaft. Wir als 'Union der Mitte' wollen nicht spalten, wir wollen uns in der Mitte treffen!"

Niedermayer aber meint: "Meiner Ansicht nach gibt es dieses Vakuum nicht. Die großen Parteien Union und SPD müssen sich in der Mitte der Gesellschaft aufhalten, um groß zu bleiben oder es wieder zu werden. Sie dürfen dafür nicht an die Ränder gehen, sondern kämpfen seit jeher um die Gunst der Wähler der Mitte."

Für Niedermayer ist die "Union der Mitte" schlicht und einfach ein "Zusammenschluss von Merkel-Anhängern in der Union".

Es gehe den Mitgliedern darum, die Positionen von Angela Merkel zu stützen und aus ihrer Sicht einen Rechtsschwenk zu verhindern.

WerteUnion spricht von "Union der Linken"

Aber auch an dieser Stelle warnt Niedermeyer vor der Mehrdeutigkeit von Begrifflichkeiten. Was aus der Sicht der einen ein "Rechtsruck" sei, legten die anderen als "Korrektur eines linken Merkel-Kurses" aus, erläutert er.

Das passt zur Aussage von Alexander Mitsch, Vorsitzendem der "WerteUnion", einem Dachverband von Mitgliederinitiativen innerhalb der CDU und CSU, der die konservativen und wirtschaftsliberalen Kräfte innerhalb der Union stärker vernetzen will.

Gegenüber der "Rheinischen Post" sagte er: "Die Union der Mitte müsste sich die Union der Linken nennen. Die WerteUnion ist der liberal-konservative Flügel von CDU und CSU - in der Tradition von Ludwig Erhard – und das ist die eigentliche Mitte der Union."

Gefahr eines Flügelkampfes

Das klingt mehr nach Streit und Uneinigkeit, denn nach "U" in CDU und CSU. "Der Graben zwischen diesen beiden Auffassungen, der in den letzten Jahren besonders um die Flüchtlingsfrage herum entstanden ist, ist relativ groß. Das zeichnet sich auch in der Gesamtgesellschaft ab", lautet Niedermayers Einschätzung.

Die Angst vor ideologisch verfestigten Flügelkämpfen in der Union, die man bislang eher von Grünen oder SPD kennt, sind laut Niedermayer einer der Gründe, warum die "Union der Mitte" nicht das Zeug zur Massenbewegung hat.

"Die CDU- und CSU-Führung fürchten einem solchen innerparteilichen Flügelkampf Vorschub zu leisten, wenn sie die "Union der Mitte" aktiv unterstützen", glaubt Niedermayer. Auch die WerteUnion verzeichne einen Zulauf. "Ein solcher Flügelkampf schadet der gesamten Partei", mahnt der Politikwissenschaftler.

Aber es gibt noch weitere Gründe, warum er nicht an den weitreichenden Erfolg der Initiative glaubt: "Ihr fehlt ein bekanntes Gesicht, das nach außen medienwirksam repräsentiert werden kann", so der Experte.

Die bekannten Unterstützer hätten ihre Karriere entweder schon hinter sich, oder stammten aus der zweiten oder dritten Reihe der Partei.

"Zwar hat Armin Laschet kurz Sympathie bekundet, aber er stellt sich nicht an die Spitze der Initiative", so Niedermayer.

Heterogene Inhalte

Der Anlass der Gründung der "Union der Mitte" war vor allem der Asylstreit, eine eindeutige Position wird aber von der "Union der Mitte" nicht vertreten. "Die Inhalte sind sehr heterogen", sagt auch Experte Niedermayer.

Parteimitglieder, die ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv sind und Seehofers Politik gänzlich ablehnen, würden sich mit jenen mischen, die nur mit dem Stil, nicht aber den Positionen von Seehofer Probleme hätten.

Hinzukommt: Die Landtagswahl in Bayern rückt immer näher. Noch bis zum 14. Oktober kämpfen die Christsozialen dafür, nicht nur stärkste Kraft zu werden, sondern auch die absolute Mehrheit zu holen.

"Ich vermute, dass es sich gerade die CSU-Mitglieder in der "Union der Mitte" daher noch einmal gut überlegen werden, ob sie öffentlich ihre Parteispitze kritisieren", sagt Niedermayer.

Prof. Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler an der FU Berlin. Dort leitet er das Otto-Stammer-Zentrum, einer Arbeitsstelle für politische Soziologie. Niedermayers Forschungsschwerpunkte liegen auf politischen Einstellungen und Verhaltensweisen, Parteienforschung und Wahlforschung.
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