• Viel Klimaschutz, ein "drastischer Ausbau" der Windenergie wohl auch zulasten des Naturschutzes und einige wichtige Naturschutzinitiativen: Die Ampel-Regierung hat ihren Koalitionsvertrag vorgestellt.
  • Dieser bietet zur Umweltpolitik Licht, Schatten und vor allem viel Spielraum für die konkrete Umsetzung in den kommenden vier Jahren.
  • Fridays for Future kritisiert die Pläne allerdings und spricht von einer weiteren "Eskalation der Klimakrise".
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Krumenacker (RiffReporter) sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Bekämpfung der Klimakrise wird bereits im zweiten Satz der Präambel des Koalitionsvertrags als zentrale Herausforderung benannt. "Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität", heißt es darin. In den kommenden vier Jahren solle Deutschland auf den Pfad einer maximalen Temperaturerhöhung von 1,5 Grad gebracht werden, die vom Weltklimarat als gerade noch verkraftbar angesehen wird.

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Nicht durchgesetzt haben sich die Grünen mit ihrer Forderung, den Kohleausstieg schon bis zum Jahr 2030 festzuschreiben. Stattdessen streben die Koalitionäre an, das Ende der Kohlenutzung "idealerweise" auf diesen Zeitpunkt vorzuziehen. Der künftige Vizekanzler Robert Habeck verteidigte bei der Vorstellung des Vertrags die Kohlebeschlüsse mit dem Hinweis, im Koalitionsvertrag würden ausreichend viele konkrete Maßnahmen festgeschrieben, die eine wirtschaftliche Nutzung von Kohle nach 2030 nicht mehr interessant machten.

Der FDP-Chef und künftige Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht Deutschland beim Klimaschutz sogar an der Weltspitze. Kein führendes Land unternehme größere Anstrengungen als Deutschland, sagte er. "Wir legen das ambitionierteste Klimaschutzprogramm einer Industrienation vor."

Mit den Vereinbarungen könne man guten Gewissens "vor die jungen Leute treten", sagte Lindner mit Blick auf die Klimaprotestbewegung. Fridays for Future warfen der neuen Koalition hingegen in einer ersten Reaktion vor, noch vor ihrem Amtsantritt das eigene 1,5-Grad-Versprechen zu brechen. "Mit ihren vorgelegten Maßnahmen entscheiden sich die drei Parteien bewusst für eine weitere Eskalation der Klimakrise", erklärte die Organisation.

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Die Ampel stärkt die Windkraft bei Prozessen gegen den Naturschutz

Die Klimaziele will die neue Regierung vor allem durch einen von ihr selbst als drastisch beschriebenen Ausbau der Erneuerbaren Energien erreichen – allen voran der Windkraft. "Wir bringen neues Tempo in die Energiewende, indem wir Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg räumen", versprechen die Koalitionäre.

Das darf wörtlich genommen werden, denn die Koalitionsvereinbarung erfüllt viele Punkte, die seit langem weit oben auf der Wunschliste der Windbranche stehen. Allen voran wird die Rechtsposition von Windkraftbetreibern deutlich gestärkt, indem der Errichtung von Windkraftanlagen und Stromtrassen der Status zugebilligt wird, "im öffentlichen Interesse" zu liegen und der "öffentlichen Sicherheit" zu dienen.

Mit diesen Privilegierungen gewinnen die Belange der Betreiber in juristischen Auseinandersetzungen ein sehr viel höheres Gewicht, auch und gerade in der Abwägung gegen die Interessen des Artenschutzes. Gleichzeitig versichern die Koalitionäre jedoch: "Die Energiewende werden wir ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards forcieren."

Windausbau im Eiltempo

Schon im ersten Regierungsjahr will die Ampel die Weichen für eine Beschleunigung der Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren stellen. Ziel ist eine Halbierung der bisherigen Verfahrensdauer. Auch dazu wollen die Ampel-Parteien rechtliche Spielräume zugunsten des Ausbaus nutzen.

Damit ist ein massiver Konflikt mit den Interessen von Natur- und Artenschutz programmiert. Zwar versprechen die Koalitionäre, im Artenschutzrecht bundeseinheitliche Standards durchzusetzen und "das Schutzniveau insgesamt" nicht abzusenken. Die angestrebte Standardisierung läuft aber auf eine Schwächung bisheriger Standards hinaus, etwa wenn es darum geht festzulegen, ab welcher Schwelle Windkraftanlagen ein "signifikantes Tötungsrisiko" für Vögel oder Fledermäuse darstellen.

Das Gleiche gilt für die Ankündigung, die Nutzung von Ausnahmeregelungen im Bundesnaturschutzgesetz zu erleichtern. Wenn es darum geht, die Gefährdung von Vogel- und anderen Tierarten zu bewerten, soll künftig "eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz" vorgenommen werden. Das würde eine Abkehr vom bisher geltenden Prinzip bedeuten, wonach die Entscheidung für oder gegen den Bau einer Anlage davon abhängt, wie stark jeweils das einzelne Vogelindividuum einer Art gefährdet ist.

Der Wechsel hin zu einem populationsorientierten Artenschutz soll durch ein nationales Artenhilfsprogramm abgefedert werden. Dies soll insbesondere den Schutz jener Arten verbessern, bei denen es Konflikte mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt. Einen Finanzrahmen dazu lassen die Regierungsparteien offen. Im Umweltministerium waren dazu bisher jährlich 100 Millionen Euro als Minimum als notwendig angesehen worden.

Aus Sicht des Artenschutzes klingt der zentrale Satz des Koalitionsvertrages zum Thema Ausbau der Erneuerbaren eher wie eine Drohung als eine Verheißung: "Für unsere gemeinsame Mission, die Planung von Infrastrukturprojekten, insbesondere den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen, wollen wir das Verhältnis von Klimaschutz und Artenschutz klären."

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Rückenwind für Kunming-Abkommen

In anderen Bereichen des Natur- und Umweltschutzes schlagen die Koalitionäre hingegen einen naturfreundlicheren Kurs ein. So kündigen sie an, verstärkt auf sogenannte naturbasierte Lösungen beim Klimaschutz zu setzen. Durch den besseren Schutz von Ökosystemen, die einerseits artenreiche Refugien für Tiere und Pflanzen sind und zugleich große Mengen Treibhausgase speichern, sollen Klima- und Naturschutz gleichzeitig vorangebracht werden. Konkret werden Programme für Moore, Wälder, Auen und Grünland sowie Meeres- und Küstenökosysteme genannt. Die Koalition kündigt an, eine verbindliche Meeresstrategie zu erarbeiten und einen Meeresbeauftragten dafür zu ernennen.

Auch wenn der Zug für grundlegende Änderungen an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union für die nächsten Jahre gerade dieser Tage abgefahren ist, bleibt doch noch etwas Spielraum, der offenbar auch genutzt werden soll. "Wir sorgen unverzüglich dafür, dass die Begleitverordnungen zum nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Einkommenssicherung angepasst werden", heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Zudem ist eine Überprüfung zur Mitte der Legislaturperiode vorgesehen, was zu einem Nachschärfen führen könnte. Für die Zeit nach dem Auslaufen der nächsten Förderperiode soll dann ein Konzept vorgelegt werden, um die Direktzahlungen durch die Honorierung von Klima- und Umweltleistungen zu ersetzen. Kommt es dazu, wäre ein wichtiger Schritt gegen das Sterben auf dem Lande getan.

International versprechen die Koalitionäre, die Forderungen nach einem ambitionierten Weltbiodiversitätsabkommen zu unterstützen, und sie deuten auch an, dass dazu deutlich mehr Geld fließen soll als bisher. Höhere Finanzzusagen der reichen Länder gelten in der gerade angebrochenen heißen Verhandlungsphase für das Abkommen als entscheidend, um Blockaden durch viele Länder des globalen Südens, allen voran Brasiliens, aufzubrechen. "Wir werden unser finanzielles Engagement zur Umsetzung des globalen Rahmens erheblich erhöhen", heißt es mit Blick auf das geplante Rahmenabkommen. Auch bekennen sich die Koalitionäre zum Ziel, bei der Konferenz im chinesischen Kunming jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche unter wirksamen Schutz zu stellen. Das ist allerdings wenig überraschend, denn auch die EU als Ganzes hat sich darauf bereits verpflichtet.

Mit Blick auf die nationale Umsetzung des neuen Weltnaturschutzabkommens sichern die Koalitionäre zu, die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) "mit Aktionsplänen, konkreten Zielen und Maßnahmen weiterentwickeln, verbindlich verankern und das wissenschaftliche Monitoring stärken" zu wollen. Bei bisherigen Überprüfungen der Umsetzung internationaler Naturschutzverpflichtungen war Deutschland durchgefallen.

"Wir setzen europäisches Naturschutzrecht um", versprechen die Koalitionäre

Im Naturschutz versprechen die Koalitionäre: "Das "europäische Naturschutzrecht setzen wir eins zu eins um." Was selbstverständlich scheint, bietet jedoch viel Raum für Verbesserung. Denn gegen Deutschland laufen mehrere Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen EU-Vorgaben; der Zustand vieler Schutzgebiete ist nach den Kriterien der europäischen FFH- und Natura-2000-Richtlinien schlecht bis äußerst schlecht. Wohl auch, um hier Abhilfe zu schaffen, sichern die Koalitionäre zu, den Vertragsnaturschutz zu stärken, also mehr Geld für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Den Konflikt um angemessenen Umgang mit dem Wolf wollen die Regierungspartner durch die Einrichtung eines institutionalisierten Dialogs "Weidetierhaltung und Wolf" entschärfen. "Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Mensch und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten." Das Thema Abschuss von Wölfen soll an die Länder weitergereicht werden. "Wir werden durch eine Überarbeitung der Monitoringstandards die Anzahl der in Deutschland lebenden Wölfe realitätsgetreu abbilden und wollen den Ländern europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement ermöglichen."

Ein sicherer Gewinner der Koalitionsverhandlungen steht zumindest fest: Es ist das Nandu. Der nach Mecklenburg-Vorpommern eingeschleppte straußenähnliche Laufvogel aus Südamerika wird verschont. Er wird nicht, wie zwischenzeitlich aus der FDP vehement gefordert, in das Jagdrecht aufgenommen.

Verwendete Quellen:

  • Koalitionsvertrag 2021 - 2025
  • Spektrum.de: Weltklimarat verschärft Warnung vor Klimakatastrophe
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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