• Mit Umfragerückenwind stellt sich der Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, im ARD-Sommerinterview den Fragen von Tina Hassel.
  • Dabei äußert er sich zur Lage in Afghanistan und übt beim Ausbau des Stromnetzes deutliche Kritik an der Union.
  • Beim Klimaschutz sieht Scholz, dass "sehr weitreichende Entscheidungen" getroffen werden müssen.
Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Dass Olaf Scholz knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl mit Rückenwind in ein Sommerinterview gehen würde, hätte vor ein paar Wochen sicher niemand gedacht. Auch wenn Umfrageergebnisse immer nur Momentaufnahmen sind, so geht es für die SPD dieser Tage doch in die richtige Richtung: Bei rund 20 Prozent stehen die Sozialdemokraten derzeit. Für Olaf Scholz eigentlich ein angenehmes Einstiegsthema, hätte Hassel hier nicht ein Haar in der Suppe gefunden.

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"Viele sagen: Den Scholz, den finden wir ja gut, wenn da nicht die SPD wäre. Sind Sie da in der falschen Partei?", steigt Tina Hassel in das Gespräch ein. Die Antwort ist natürlich wenig überraschend, gibt Scholz aber die Gelegenheit, die SPD als Partei der Gerechtigkeit darzustellen: "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der die einen auf die anderen herabblicken", erklärt Scholz und blickt mit der gleichen Zuversicht, die er auch bei mauen Umfragewerten hatte, auf die Wahl, nun eben mit Wind im Rücken: "Ich traue uns ein Ergebnis ordentlich über 20 Prozent zu."

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Das war’s dann auch erst einmal mit Zahlenspielereien, denn mit einem "Dann schauen wir auf Inhalte, das ist viel spannender" kommt Tina Hassel schnell zu dem, was Zuschauer am meisten interessieren dürfte: Wie wollen die SPD und Scholz mit den aktuellen und daueraktuellen Krisen umgehen? In beide Kategorien fällt die Lage in Afghanistan, wo die Taliban gerade unaufhaltsam die Macht zurückerobern. Dementsprechend fragt Hassel hier nach, welche Evakuierungsmaßnahmen die Bundesregierung hier für Deutsche und Ortskräfte unternimmt und noch unternehmen wird.

Olaf Scholz zur Lage in Afghanistan

Mit dem Verweis, nicht zu viele Details sagen zu wollen, erklärt Scholz: "Wir werden jetzt ganz viele, sehr unterschiedliche Dinge unternehmen, um die Deutschen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Botschaft, aber auch die Ortskräfte rauszukriegen. Es läuft an und ist mit aller Kraft unterwegs, was wir da tun können." Hassel bohrt an dieser Stelle nach, fragt, ob für diejenigen Ortskräfte, die dann nicht am Flugfeld stünden, alles verloren sei: "Das sind möglicherweise noch tausende Ortskräfte", so Hassel.

Scholz erklärt, dass von den etwa 2.500 Ortskräften, die man in den betreffenden Ministerien identifiziert und denen man die Möglichkeit geschaffen habe, nach Deutschland zu kommen, "die allermeisten schon hier" seien. "Wir bemühen uns, diesen Prozess jetzt noch einmal zu beschleunigen", erklärt Scholz, anderen dieser 2.500 Ortskräfte werde man auch später noch die Möglichkeit geben. Das genügt Hassel nicht: "Die, die jetzt nicht in Kabul sind und wenn die Botschaft zu ist, dann kommt doch keiner mehr raus. (…) Wieso hat das so lange gedauert? Gestern Abend hat Armin Laschet gesagt, das SPD-geführte Außenministerium, das habe hin und her geprüft, hätte Bedenken gehabt. Also lag die Verantwortung beim Auswärtigen Amt?"

Hier gibt Scholz die ihm scheinbar ständig eigene Zurückhaltung auf: "Ich sage mal ganz klar: Hier handelt die Regierung gemeinsam und ich finde bei einer so ernsten Angelegenheit sollte man nicht mit sehr wenig fundierten Behauptungen durch die Gegend laufen (…)." Die beteiligten Ministerien hätten hier eng zusammengearbeitet und weitere Erleichterungen auf den Weg gebracht. Man müsse zwar schnell handeln, werde aber natürlich das Parlament beteiligen. Zum Umgang mit den "Zigtausenden" die nun auf der Flucht seien, erklärt Scholz etwas verklausuliert, dass die Geflüchteten, die in den Nachbarländern Schutz gefunden haben, dort "Integrationsperspektiven entwickeln". "Wir müssen möglich machen, dass vor Ort Schutz gefunden werden kann", erklärt Scholz.

Olaf Scholz zum Strombedarf: "CDU/CSU haben verweigert, zuzugeben, dass das so ist"

Von der aktuellen Krise in Afghanistan kommt Hassel zur daueraktuellen Klimakrise. Nach einer jüngsten Prognose würden die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Vorjahr um rund 47 Millionen Tonnen CO2 ansteigen. "Das wäre der größte Anstieg seit 1990. Es ist also eher fünf nach zwölf beim Klimaschutz. Was muss dagegen getan werden, möglicherweise noch vor der Wahl?", fragt Hassel. "Es müssen sehr weitreichende Entscheidungen getroffen werden, vor denen wir uns nicht drücken dürfen", erklärt Scholz und gibt eine kurzen Einblick, welche Entscheidungen das sind.

Der Industrie, die milliardenschwere Investitionen vorhabe, "das geben, was sie von uns fordern, nämlich ausreichende, große,riesige Mengen zusätzlichen Strom (…) und ein leistungsfähiges Stromnetz, das diese Strommengen auch transportieren kann", fordert Scholz, um dann mit Blick auf den "hängenden" Ausbau der Netze "die Größe des Problems zu erläutern": "Es sind viel mehr Strommengen und CDU/CSU haben verweigert, zuzugeben, dass das so ist." Noch in den letzten Wochen habe die Union einen "Vorschlag zur Anhebung der Ausbauziele für Windkraft auf hoher See, an Land, für Solarenergie verweigert worden und ein Vorschlag, die Gesetze so zu ändern, dass es schneller geht."

Über ein Vorziehen des Kohleausstiegs antwortet Scholz ausweichend, deklariert ein höheres Ausbauziel der Stromproduktion und einen schnelleren Ausbau des Stromnetzes mit gleichzeitigen Gesetzen, "die dazu führen, dass wir rechtzeitig fertig werden". Man werde nicht einmal mit den geplanten Netzen fertig. "Wenn man das einer Partei, die das alles geleugnet hat, anvertraut, dann kostet das Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze", teilt Scholz bei seiner Antwort gegen den Regierungspartner aus. Einem Verbot von Inlandsflügen erteilte Scholz zudem eine Absage.

Sommerinterview von Tina Hassel und Olaf Scholz: gut, mit Punktabzug

Mit Afghanistan und der Klimakrise hat Hassel das derzeit aktuellste und das daueraktuelle Thema abgearbeitet. Die verbleibenden gut neun Minuten muss sich Scholz noch zu seinem persönlichen Fahrzeug, E-Mobilität, möglichen Regierungskoalitionen, Angela Merkel und zu seiner Rolle im Wirecard-Skandal erklären. Besonders im Fall von Wirecard äußert sich Scholz ausweichend und vage. "Warum hat die Bafin, (…) die Augen zugemacht und nichts unternommen? Warum haben Sie als Finanzminister uns nicht geschützt", will beispielsweise eine Wirecard-Geschädigte via Einspieler von Scholz wissen.

Der sieht seine Verantwortung darin, im Anschluss an den Skandal eine Reform in Angriff genommen zu haben, "die sehr, sehr weit reicht" "Das hilft jetzt der Dame nichts", geht Tina Hassel dazwischen und fragt, ob er sich bei der Betroffenen entschuldigen würde. Das möchte Scholz zumindest in dieser Klarheit nicht, verweist lieber auf die "gesetzgeberischen und organisatorischen Konsequenzen", die er gezogen habe. Auf nochmalige Nachfrage nach einer Entschuldigung erklärt Scholz, dass man seine Verantwortung "präzise beschreiben" und Konsequenzen ziehen müsse und das habe er getan.

Trotz dieser sehr vagen Definition einer Entschuldigung war es insgesamt ein gutes Interview, das Tina Hassel im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten geführt hat. Sie ließ Scholz wenig unwidersprochen durchgehen und hakte an den Stellen nach, in denen der SPD-Kanzlerkandidat zu ungefähr blieb. Nur bei seinen Aussagen zum Klimaschutz durfte Scholz zu sehr ins Theoretische abgleiten. Wenn ein Kanzlerkandidat nämlich Aussagen trifft wie "Es müssen sehr weitreichende Entscheidungen getroffen werden" und damit den Ausbau und die Bereitstellung von Strom für die Industrie meint, dann muss man nachhaken, wer denn am Ende hier den Vorrang haben wird, wenn’s eng wird: die Industrie oder der Klima-, also Menschenschutz.

Wenn man den jüngsten Bericht des Weltklimarates als das nimmt, was er ist, nämlich ein lautes Alarmsignal, dann muss sich ein Kanzlerkandidat zum Klimaschutz mit mehr als nur den Ausbauzielen des Stromnetzes und dem Energiebedarf der Industrie äußern. Er muss klipp und klar erklären, was ein Versagen hier für die Menschen bedeutet und mit welcher Konsequenz er das verhindern will.

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