• Bisher hat die Bundespolizei rund 5.300 Menschen registriert, die aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind.
  • Die Hilfsbereitschaft in Politik, Wirtschaft und Bevölkerung ist groß.
  • Für die Menschen aus der Ukraine will die EU erstmals eine besondere Richtlinie umsetzen: Sie bekommen ohne Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu drei Jahre.

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Manche haben einen Koffer dabei, viele aber nur einen Rucksack und ein paar Plastiktüten. Am Berliner Hauptbahnhof weisen Freiwillige in neongelben Westen den Ankommenden die ersten Wege: Wo gibt es Zugtickets? Braucht man überhaupt welche? Wo fahren die Züge weiter Richtung Westen? Und wo finden Menschen ein Bett, die niemanden haben, bei dem sie unterkommen können?

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht davon aus, dass bis jetzt 677.000 Personen das Land verlassen haben. Die meisten sind in den direkten Nachbarstaaten angekommen: in Moldau, der Slowakei, Ungarn oder Polen. Manche reisen auch weiter nach Deutschland.

Bundespolizei registriert bisher 5.309 Einreisen

Die Bundespolizei hat bis Mittwochmittag 5.309 Menschen registriert, die seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind. Das sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. Natürlich könne die tatsächliche Zahl von Geflüchteten höher sein. Es handelt sich dem Sprecher zufolge überwiegend um Frauen und Kinder. Männer zwischen 18 und 60 dürfen die Ukraine derzeit nicht verlassen.

Kommt auf Deutschland jetzt eine große Fluchtbewegung zu - so wie 2015 und 2016 nach dem Bürgerkrieg in Syrien? "Die dramatischen Kriegsereignisse haben direkte Auswirkungen auf die Binnenmigration in der Ukraine, aber auch auf die Migration in die östlichen Mitgliedsstaaten der EU", sagt der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Die Situation sei mit der im Jahr 2015 aber nur schwer zu vergleichen. "Wir sehen jetzt eine enorme Hilfsbereitschaft der europäischen Staaten, aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern in ganz Europa", sagt Hartmann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Große Hilfsbereitschaft auch in Polen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet nicht mit ähnlich hohen Zahlen wie 2015/2016. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer werden wohl versuchen, zum Beispiel in Polen zu bleiben, wo sie Bekannte oder Verwandte haben. Dort leben bereits rund 1,5 Millionen Landsleute, nicht zuletzt als Folge des russischen Einmarsches auf der Halbinsel Krim 2014.

Bisher zeigen sich die polnische Regierung und Zivilgesellschaft überwiegend offen, möglichst viele Menschen aufzunehmen. "Es gibt zu den Nachbarländern eine größere Verbundenheit, als das 2015 zu einem Großteil der damals Geflüchteten der Fall war", sagte Wiebke Judith von der Geflüchtetenorganisation Pro Asyl gegenüber tagesschau.de.

Die Hilfsbereitschaft ist aber auch in Deutschland groß. In allen Teilen des Landes berichten Behörden und Organisationen davon. "Es steht für mich außer Frage, dass Deutschland den Nachbarstaaten der Ukraine bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation hilft. Ebenso selbstverständlich ist in der aktuellen Lage auch die Aufnahme von europäischen Binnenflüchtlingen bei uns in Deutschland", erklärt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, gegenüber unserer Redaktion.

"Den Menschen muss jetzt unkompliziert geholfen werden. Bund und Länder stehen hierzu in einem engen Austausch", sagt Throm. In Nordrhein-Westfalen hat Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwoch zu einem Flüchtlingsgipfel eingeladen. In Sachsen prüft die Landesregierung, ob sie die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausbauen muss. Überall in den Ländern und Kommunen sei das derzeit der Fall, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums am Mittwoch.

Unbürokratische Aufnahme: EU will Regel erstmals anwenden

Ein Unterschied zu der Fluchtbewegung 2015/16 ist die weitgehende Einigkeit zwischen den Regierungen der EU-Staaten. "In der Europäischen Union gibt es eine starke Geschlossenheit und Koordination, schnelle und unkomplizierte Maßnahmen zu schaffen", sagt SPD-Politiker Sebastian Hartmann.

Zentraler Baustein ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie. Diese Rechtsgrundlage hat die EU unter dem Eindruck der Bürgerkriege auf dem Balkan in den 90er Jahren geschaffen, hat sie bisher aber noch nie angewandt. Das soll jetzt geschehen: für Menschen aus der Ukraine. Sie erhalten dem Bundesinnenministerium zufolge vorläufigen Schutz und damit eine Aufenthaltserlaubnis, müssen aber kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen. Sie können zunächst ein Jahr, insgesamt aber bis zu drei Jahre in einem EU-Staat bleiben, können arbeiten und haben Zugang zu medizinsicher Versorgung.

Die europäischen Innenministerinnen und -minister haben sich am vergangenen Sonntag darauf geeinigt, diese Regel anzuwenden. Die EU-Kommission bereitet gerade einen Vorschlag vor, mit dem sich die Innenminister am Donnerstag befassen. Die Richtlinie könne jetzt sehr schnell in Kraft treten, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums. "Wir sind optimistisch, dass das morgen oder in den kommenden Tagen passiert."

"Krieg unterscheidet nicht nach Staatsangehörigkeit"

Das alles bedeutet nicht, dass alle Menschen problemlos reisen können. Offenbar haben Menschen mit einer nicht-ukrainischen Staatsangehörigkeit immer wieder Probleme, die Außengrenze der EU zu passieren. In der Ukraine leben zum Beispiel viele Studierende aus afrikanischen Ländern, die ebenfalls fliehen mussten.

Diese Meldungen gebe es, sagt SPD-Politiker Sebastian Hartmann. "Allerdings kann bisher nicht davon gesprochen werden, dass sie systematisch zurückgehalten werden." Wichtig sei jedoch: "Der Krieg unterscheidet nicht nach Staatsangehörigkeit. Allen Menschen aus der Ukraine muss unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit Schutz und an den Grenzen Durchlass gewährt werden."

Am Berliner Hauptbahnhof seien viele der Ankommenden keine ukrainischen Staatsbürger, erzählt eine freiwillige Helferin. "Viele wollen weiter, nach Paris, London oder Brüssel." Doch viele sind von der erzwungenen Flucht auch dem bisherigen Leben auch völlig überfordert. Ein junges internationales Studentenpaar steht etwas ratlos vor dem Reisezentrum der Deutschen Bahn. Wie soll es jetzt weitergehen? Der junge Mann schüttelt den Kopf. "Wir haben keine Ahnung."

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz der Bundesregierung in der Bundespressekonferenz
  • Gespräch mit Sebastian Hartmann, SPD
  • Büro von Alexander Throm, CDU
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • UNRIC.org: UNHCR: 677.000 Menschen aus der Ukraine geflüchtet
  • BMI.bund.de: EU will Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen vereinfachen
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