• Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war von einem angeblich geplanten Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wieder ausgeladen worden.
  • Die Ukraine bestreitet, dass Steinmeier überhaupt eingeladen gewesen war.
  • In Deutschland sorgte der Vorfall für Empörung: Wirtschaftsminister Robert Habeck und der ehemalige SPD-Vorsitzende und ex-Außenminister Sigmar Gabriel kritisieren die ukrainische Regierung.
Eine Analyse

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Zusammen mit den Staatschefs von Polen, Lettland, Litauen und Estland wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorige Woche nach Kiew reisen, um die deutsche Solidarität mit der Ukraine zu demonstrieren. Recherchen des “Spiegel“ zufolge war die Reise in Absprache mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und dem ukrainischen Botschafter in Berlin Andrij Melnyk von langer Hand geplant gewesen. Trotzdem kam es kurz vor dem Zusammentreffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Eklat.

Steinmeier sei unerwünscht, so die Rückmeldung der ukrainischen Regierung, kurz vor dessen geplanten Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten. Laut Informationen der “Bild“-Zeitung soll Steinmeiers angebliche russlandfreundliche Politik und seine persönliche Nähe zum russischen Außenminister Sergej Lawrow der Grund für die überraschende Ausladung des Bundespräsidenten sein. Steinmeier hatte insbesondere während seiner Zeit als Außenminister für eine Annäherung zu Russland und eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Wladimir Putin plädiert. Auch den Bau der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 hatte der heutige Bundespräsident immer wieder verteidigt.

Habeck spricht von diplomatischem Fehler

Nicht nur im Umfeld des Bundespräsidenten sorgte der Eklat für einige Irritation, auch im politischen Berlin war die Aufregung groß. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe "Der Bundespräsident ist Deutschland. Und deswegen ist seine Ausladung durch Präsident Selenskyj eine Ausladung Deutschlands" und weiter, "Ich muss es leider so sagen: Die ukrainische Seite hat einen diplomatischen Fehler gemacht." Auch der ehemalige SPD-Chef und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte die Ausladung Steinmeiers scharf. In einem Gastbeitrag für den “Spiegel“ erklärte er: “Die Ausladung des deutschen Staatsoberhauptes Frank-Walter Steinmeier von einem geplanten Besuch in Kiew ist beispiellos und irritiert.“

In Kiew lehnt man dagegen jede Verantwortung für das geplatzte Treffen ab und erklärt, Steinmeier sei nie eingeladen gewesen. Stattdessen wurde nun Bundeskanzler Olaf Scholz vom ukrainischen Präsidenten nach Kiew gebeten. Dass dieser nach der Blamage seines Parteigenossen und obersten Repräsentanten der Bundesrepublik nun dorthin fliegen wird, ist unwahrscheinlich. Die große Frage, die sich nun stellt: Was bedeutet der Eklat für die deutsche Außenpolitik und für die Beziehungen zur Ukraine? Droht ein Zerwürfnis zwischen Berlin und Kiew?

Bundeskanzler Scholz vermeidet Aussage zu schweren Waffen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren, konkrete Aussagen zum Thema schwere Waffen aber vermieden. Das sorgt für Kritik.

“Unverschämtheit von der ukrainischen Seite“

Politikwissenschaftler Christian Hacke hält es für eine “Unverschämtheit von der ukrainischen Seite so mit unserem Bundespräsidenten umzugehen.“ Er könne es in der aktuellen Situation verstehen, dass die Ukrainer nervös reagierten, erklärte Hacke im Gespräch mit unserer Redaktion, “sie befinden sich in einer Notlage und schießen in alle Richtungen, aber sachlich ist es nicht angebracht. Vor allem nicht gegenüber Steinmeier. Kaum einer hat sich so sehr wie der Bundespräsident um eine diplomatische Lösung des Konflikts und die Ukraine bemüht“, so Hacke. Auch die Selbstkritik Steinmeiers hält er für unangebracht: “Die Entspannungspolitik, die SPD-Politiker wie Brandt, Schröder und jetzt auch Steinmeier betrieben haben, war nicht blauäugig. Es war eine kluge Mischung aus militärischer Stärke und diplomatischer Annäherung, die uns große außenpolitische Erfolge beschert hat.“

Deutschland müsse daher selbstbewusst gegenüber der Regierung in Kiew auftreten: “Man muss der Ukraine klarmachen, dass sie auch am Scheitern des Friedensprozesses von Minsk beteiligt ist und Deutschland eine eigenständige Politik vertritt. Die deutsche Außenpolitik sollte versuchen, eine neutrale Ukraine durchzusetzen, die unabhängig von Putin und der Nato existiert. Das wäre auch schon früher der richtige Ansatz gewesen.“ Nach Friedensverhandlungen sieht es derzeit allerdings nicht aus. Am Dienstagmorgen startete die russische Armee ihre neue Offensive im Süden und Osten der Ukraine.

Über den Experten:
Christian Hacke ist Politikwissenschaftler und lehrte als Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg und an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er ist Mitglied im Beirat des Bundesministeriums für Verteidigung für das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzung/Einschätzungen des Autors bzw. der Autorin bzw. der/des zu Wort kommenden Experten bzw. Expertin/nen einfließt/einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Christian Hacke
  • Zeit.de: Ukraine dementiert Ausladung von Frank-Walter Steinmeier
  • Spiegel.de: Wie Steinmeiers Kiewreise plötzlich scheiterte
  • Bild.de: Steinmeier: “Ich war dazu bereit, aber …“
  • Spiegel.de: Wir brauchen zumindest einen kalten Frieden
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