• Während viele Wirtschaftszweige in Deutschland unter steigenden Energiepreisen ächzen, kann sich eine Branche auf riesige Profite einstellen: die deutsche Rüstungsindustrie.
  • 100 Milliarden mehr für die deutsche Bundeswehr und eine angespannte Sicherheitslage in ganz Europa geben den Waffenherstellern Aussicht auf dicke Gewinne.
  • Rüstungsexperte Michael Brzoska erklärt, was das bedeutet.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfließt. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Die Sicherheitslage in Europa hat sich drastisch verändert: Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den wiederkehrenden Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin Richtung Nato, wähnt sich das Bündnis in akuter Gefahr - auch Deutschland.

Die Nato hat bereits Truppen in den Osten verlegt, die deutsche Regierung Waffenlieferungen in die Ukraine auf den Weg gebracht und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Plus an 100 Milliarden Euro für die deutsche Bundeswehr angekündigt. Eine Jahrhundertentscheidung, sagen Experten. "Sinkende Verteidigungsausgaben, die passen nicht mehr in die Zeit", gab jüngst auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu.

Volle Auftragsbücher erwartet

Mehr Geld für Rüstung und Waffen in ganz Europa – das dürfte die deutsche Rüstungsindustrie gerne hören. Rheinmetall, Heckler & Koch, Airbus, Kraus-Maffei, Thyssen Krupp und Co. können sich auf volle Auftragsbücher freuen. "Die Lage bedeutet für die deutsche Rüstungsindustrie eine deutliche Ausweitung ihrer Geschäftsmöglichkeiten. Es ist ein ziemlicher Auftragsschub zu erwarten", sagt auch Rüstungsexperte Michael Brzoska.

Er schätzt, dass zehntausende neue Beschäftigte benötigt werden. "Die 100 Milliarden für die Bundeswehr, werden zwar wohl kaum komplett in Deutschland ausgegeben, aber zum gesteigerten Auftragsvolumen durch die eigene Landesverteidigung kommen auch neue Aufträge aus dem Ausland hinzu", sagt der Experte. Außerdem sei die deutsche Rüstungsindustrie bereits in der Vergangenheit sehr effizient darin gewesen, einen Großteil der Rüstungsausgaben hierzulande zu belassen.

Aktienkurse von Rüstungsfirmen legen zu

2021 lag der deutsche Verteidigungsetat bei knapp 47 Milliarden Euro. 10,3 Milliarden standen der Bundeswehr davon für Forschung, Entwicklung, Erprobung und militärische Beschaffungen zur Verfügung. "Bislang lag das Auftragsvolumen der deutschen Rüstungsindustrie bei etwa 20 Milliarden Euro. Das dürfte sich nun deutlich vergrößern", sagt Brzoska.

Das sehen scheinbar auch die Anleger so: Im letzten Monat legte der Börsenkurs von "Rheinmetall" um knapp 65 Prozent zu, auch die Aktie von "Heckler und Koch" gewann an Wert. Experte Brzoska schätzt, dass es nun vor allem um Luftverteidigungssysteme, Kampfpanzer und Hubschrauber gehen dürfte.

Panzer bis Luftabwehrsysteme

"Hier hat die Bundeswehr akuten Bedarf", meint er. Alfons Mais, Inspekteur des deutschen Heeres, klagte noch am Tag der russischen Invasion, die Bundeswehr stehe "mehr oder weniger blank" da. Gleichzeitig dürfte sich die Rüstungsindustrie aus Brzoskas Sicht aber auch mit Zukunftsmusik befassen: Moderne Kampfjets, neuartige Raketentechnologie und Systemen aus den Bereichen der elektronischen Kampfführung.

"Rote Tücher werden für die deutsche Waffenindustrie solche Systeme bleiben, die völkerrechtlich geächtet werden oder moralisch verwerflich sind – dazu zählen Cluster-Munition, Landminen oder Flächenwaffen für den Angriff auf zivile Ziele", erinnert Brzoska.

Neue Kunden in Europa

Deutschland sei technologisch bei Panzern, Haubitzen und Kanonenwaffen international vorne mit dabei. Auch in Sachen Schiffsbau sei Deutschland international gut aufgestellt. "Hier wird man in Europa sicherlich neue Kunden finden", sagt der Experte.

Ungarn ist für Deutschland bereits ein bedeutender Abnehmer, 2019 lagen die deutschen Rüstungsexporte in das ukrainische Nachbarland bei knapp 1,8 Milliarden Euro. Nun ist vor allem die Slowakei als neuer Partner im Gespräch. Aber auch andere europäische Länder dürften nach Waffenlieferungen an die Ukraine ihre Bestände wieder aufstocken und ihre eigene Verteidigungsfähigkeit ausbauen.

Europäisierung vorantreiben

"Es wird ausschlaggebend sein, wie stark ein nationaler Imperativ, möglichst viele Waren in Deutschland zu kaufen, durchschlägt", meint Brzoska. Sollte die aktuelle Sicherheitslage eine Europäisierung der Rüstungsindustrie vorantreiben, müsste es mehr Kooperation und weniger Doppelplanungen geben.

"In der Vergangenheit hat Deutschland zu viel Geld an Stellen ausgegeben, an denen man günstiger im Ausland hätte kaufen oder gemeinsam mit anderen Nationen in Europa Systeme hätte entwickeln können", erinnert Brzoska. Die deutsche Rüstungsindustrie könne schließlich nicht in allen Bereichen gleich gut aufgestellt sein. "Bei größeren Hubschraubern und modernen Kampfflugzeugen profitieren andere Länder, vor allem die USA", weiß der Experte.

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Rüstungsexporte begrenzen

Er glaubt jedoch, dass der Auftragsschub der Bundesregierung noch bei einem ganz anderen Ziel nutzen könnte. "Die Regierung will Rüstungsexporte begrenzen. Wenn es mehr Aufträge aus dem Inland gibt, sinkt der Druck für Exporte – zum Beispiel in arabische Länder", sagt Brzoska.

Im vergangenen Jahr hatte Deutschland so viele Rüstungsexporte wie noch nie genehmigt. Die neue Ampel-Regierung hatte sich mit diesen Entscheidungen der Vorgängerregierung nicht einverstanden gezeigt und sich im Koalitionsvertrag auf einen restriktiveren Umgang mit Rüstungsexporten verständigt. Zumindest mit Blick auf das europäische Ausland wird das wohl noch einmal neu verhandelt werden müssen.

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Über den Experten:
Prof. Dr. Michael Brzoska ist Senior Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), bis 2016 war er dessen Direktor. Er studierte Volkswirtschaftslehre und politische Wissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen europäische Außen- und Sicherheitspolitik, internationale Waffenembargos, konventionelle Rüstungskontrolle sowie Rüstungsproduktion und -handel.
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