Thomas Kemmerich geht wohl als kurzlebigster Ministerpräsident in die Geschichte ein. Der Thüringer FDP-Landeschef will nur einen Tag nach seiner Wahl zurücktreten und den Landtag auflösen. Wie geht es nun in dem ostdeutschen Bundesland weiter?

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Die Lage ist schier ausweglos gewesen. Thomas Kemmerich war ein Ministerpräsident ohne Minister. Ohne Mehrheiten. Ohne Koalitionspartner. Der Thüringer FDP-Chef erklärte am Donnerstag, als Regierungschef zurückzutreten. Die FDP-Fraktion will zugleich einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen, um so Neuwahlen herbeizuführen. Am zweiten Tag als Ministerpräsident gibt Kemmerich auf.

"Der Rücktritt ist unumgänglich", sagte der FDP-Politiker in Erfurt. "Wir möchten Neuwahlen herbeiführen, um den Makel der Unterstützung der AfD vom Amt des Ministerpräsidenten zu nehmen." Und weiter: "Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten. Die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen."

Kemmerich war erst am Mittwoch im dritten Wahlgang und mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD mit nur einer Stimme Vorsprung zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt worden. Die Beteiligung der AfD gerade unter dem extrem rechten Landeschef Björn Höcke hat für einen bundesweiten Eklat gesorgt.

Sowohl die Thüringer SPD, die Landes-Grünen als auch die dortige Linkspartei hatten eine Zusammenarbeit mit Kemmerich strikt abgelehnt. Er selbst schloss eine Regierungsbeteiligung der AfD kategorisch aus. Faktisch gibt es im Erfurter Landtag keine Mehrheiten.

Wie läuft eine Neuwahl in Thüringen ab?

Nun also die Selbstauflösung des Thüringer Landtags, diese ist in Artikel 50 der Landesverfassung geregelt. Demnach bedarf es ein Drittel der Abgeordneten zur Beantragung einer Neuwahl, die lediglich fünf FDP-Abgeordneten reichen dazu nicht aus. Allerdings dürfte es viele Unterstützer aus Reihen von Rot-Rot-Grün geben, die den Antrag über diese erste Hürde von 30 Stimmen hieven. Alle vier Parteien haben zusammen 47 Sitze.

Zwischen Antrag und der tatsächlichen Abstimmung über die Entscheidung müssen mindestens zehn und dürfen maximal 29 Tage liegen. Anders als die Wahl zum Ministerpräsidenten wird über eine Neuwahl offen abgestimmt. Dem finalen Beschluss müssen wiederum zwei Drittel des Landtages zustimmen, also 60 Abgeordnete.

Doch wie schon der Eklat zur Wahl von Kemmerich zeigt: Die Mehrheitsverhältnisse in Thüringen sind vertrackt. Eine Zweidrittelmehrheit für Neuwahlen ohne die AfD gibt es nur, wenn CDU und Linkspartei zusammen den Schritt beschließen – dafür müssten die Christdemokraten zumindest informell mit der Linken kooperieren. Bisher lehnt die Partei eine solche Zusammenarbeit strikt ab. Strittig ist auch, ob sich die Christdemokraten dabei über einen Parteitagsbeschluss hinwegsetzen müssten.

Allerdings ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass die AfD selbst für Neuwahlen votiert. Ist die Höcke-Partei wohl der größte Gewinner der gegenwärtigen Situation und könnte mit mehr Sitzen im Erfurter Landtag rechnen.

Klar ist hingegen: Eine vorzeitige Neuwahl nach einer erfolgreichen Abstimmung muss innerhalb von 70 Tagen stattfinden. Im Fall der Fälle werden die Thüringer also einen neuen Landtag frühestens Mitte April wählen können.

Welche Alternative zu Neuwahlen gibt es?

Falls keine Zweidrittelmehrheit für Neuwahlen zusammenkommen sollte, könnte der Landtag Kemmerich – der bis auf Weiteres noch Thüringens Ministerpräsident ist – das Misstrauen aussprechen. Einen solchen Antrag könnte die FDP alleine einbringen, die Formalien sind in Artikel 73 und 74 der Landesverfassung geregelt. Eine Mehrheit des Landtages, also 46 Abgeordnete, müssten anschließend dafür votieren.

Allerdings ist eine erfolgreiche Abwahl des Ministerpräsidenten unmittelbar verbunden mit der Wahl eines Nachfolgers. Der bei der Wahl gescheiterte Bodo Ramelow steht zwar weiter als Kandidat zur Verfügung, wie der Vize-Chef der Thüringer Linken, Steffen Dittes, am Donnerstag bestätigte. Doch die Abgeordneten aller Parteien wären wieder am gleichen Punkt wie am Mittwochmittag: Ramelow hat keine Mehrheit.

Thüringen wird also kaum um Neuwahlen drumherum kommen.

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