Ukraine, Iran, Fußball - die Themen, über die die Welt 2022 sprach, hat Markus Lanz am Donnerstagabend bei seinem Jahresrückblick im ZDF abgehakt. Ein Gespräch mit Markus Söder und Friedrich Merz leider auch. Hängen bleiben wird von diesem Abend aber vor allem die Aktion einer jungen Iranerin, in der sie dem Regime in Teheran dessen Ende prophezeit.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Natürlich sind Jahresrückblicke immer von der Perspektive geprägt, aus der man auf ein Jahr zurückblickt. Welche Schwerpunkte setzt man thematisch, welche Ereignisse hält man für relevant und mit welcher Gewichtung geht man vor? Jahresrückblicke im Fernsehen haben dabei die Besonderheit, dass man auch die Möglichkeiten berücksichtigen muss. Wem man hier eine Stimme verleiht, hängt nicht nur davon ab, wem man sie verleihen möchte, sondern auch, wer verfügbar ist - auch wenn die Möglichkeiten hier technisch gewachsen sind.

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Und so schwingt auch beim Jahresrückblick von Markus Lanz am Donnerstagabend von Haus aus ein gewisses Maß an Subjektivität bei der Auswahl der Themen und Gäste mit, zumal ja auch noch die Frage hinzukommt: Für wen ist dieser Jahresrückblick denn überhaupt? Die wenig überraschende Antwort: Für den typischen "Lanz"-Zuschauer, der an Politik interessiert ist, ein bisschen an Sport und die Art schätzt, wie und wem Markus Lanz Fragen stellt. Kurzum, der Lanz'sche Jahresrückblick am Donnerstagabend waren eigentlich mehrere Folgen "Markus Lanz" in einer.

Denn nicht nur die Art und Weise, wie Lanz auf das Jahr zurückblickt, sondern auch mit wem und zu welchen Themen ist so ziemlich deckungsgleich mit dem, was der Moderator das ganze Jahr über an Themen anbietet – sieht man einmal davon ab, dass die kleineren persönlichen Themen diesmal keine Rolle spielten. Und so steigt Lanz mit einem der großen Themen des Jahres ein und da wird es gleich besonders emotional.

"Aus unserer Sicht ist das das Ende der Islamischen Republik!"

Zu Gast sind die Fernsehjournalistin und Iran-Expertin Natalie Amiri und eine junge Frau, die Lanz nur als Banoo vorstellt - aus Sicherheitsgründen. Die Frau, die seit zwei Wochen in Deutschland lebt, erzählt nämlich von ihrem Schicksal, als sie im Iran, weil ein Knopf ihres Mantels fehlte, von "Sittenwächtern" in ein Auto gezerrt und verhört wird. Bei einer späteren Demonstration wird Banoo verhaftet und "seelisch und körperlich" gefoltert. Das sind beklemmende Schilderungen, die wohl die derzeit noch über 18.000 Inhaftierten im Iran auch erleiden müssen. Umso mutiger ist daher der Widerstandswille Banoos, die auch nach ihrer Verhaftung wieder Flugblätter verteilt.

Was diesmal anders sei, will Lanz von Natalie Amiri wissen und die berichtet, dass es diesmal ums Ganze gehe. Nicht um kleine Reformen, mit denen man die Leute wieder täuschen wolle, sondern um einen Umsturz des Systems: "Was jetzt passiert, sind keine Proteste mehr, es ist eine Revolution. Es ist eine Absage an das politische System", so Amiri. Genau so sieht es auch Banoo, die die Einladung bei Lanz kurz darauf nutzt, um eindrücklich zu demonstrieren, worum es bei den Aufständen im Iran geht.

Als Lanz sie nach ihrer Hoffnung fragt, in einen freien Iran zurückkehren zu können, will Banoo zunächst eine Botschaft an den Westen senden. "Ich möchte die Stimme meines Volkes sein", beginnt Banoo. Dann holt die junge Frau ihren iranischen Pass heraus, zerreißt ihn vor der Kamera und erklärt: "Ich möchte der Welt zeigen, dass wir die Islamische Republik nicht mehr anerkennen. Aus unserer Sicht ist das das Ende der Islamischen Republik!"

"Ukraine ist nur ein kleiner Bestandteil eines viel, viel größeren Krieges"

Das geht auch Markus Lanz sichtlich nahe, der erst einmal mit einem "Puuhh" reagiert und dann überleitet: "Vielleicht ganz gut, dass wir jetzt über Sport sprechen. Einmal durchatmen." Das macht er dann auch und geht mit Martina Voss-Tecklenburg und Katrin Müller-Hohenstein die EM der Frauen in England und die WM der Männer in Katar durch. Inhaltlich gelingt hier kein großer Wurf, aber gerade zur WM in Katar wurde ja auch schon wirklich fast alles von fast jedem bereits gesagt.

Ähnlich verhält es sich eigentlich auch mit dem Krieg in der Ukraine, doch waren hier die Gespräche mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Butscha-Überlebenden Hanna Polonska und Kriegsreporterin Katrin Eigendorf und später mit Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial, dem FDP-Politiker Gerhart Baum und Herbert Grönemeyer deutlich inhaltsreicher.

So versuchen Strack-Zimmermann und Eigendorf ein Bewusstsein zu schaffen, dass es beim Krieg in der Ukraine um mehr geht: "Die Perspektive ist meiner Meinung nach immer noch viel zu sehr, dass wir an der Seite der Ukraine für die Ukraine eintreten. Aber Putin hat seinen Krieg dem Westen erklärt und die Ukraine ist nur ein kleiner Bestandteil eines viel, viel größeren Krieges, der seit vielen, vielen Jahren von Russland geführt wird. Und nicht nur mit Waffen, sondern auch durch Destabilisierung, durch Kommunikation, durch die Unterstützung radikaler Gruppen", erklärt Eigendorf. Das erlebe man in den USA, aber auch in Deutschland.

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Friedrich Merz und Markus Söder in eigener Mission bei Markus Lanz

Polonska erzählt von ihrer Flucht, davon, wie sie dabei durch russischen Beschuss erst ihren Mann und später ihr ungeborenes Kind verloren hat und wie sie sich wieder ins Leben zurück kämpft. Nach Butscha möchte sie nicht mehr, aber nicht wegen der Gräueltaten der Russen, sondern "weil ich dort die besten Momente meines Lebens hatte". Denn früher, erzählt Polonska, "war das die schönste Stadt der Ukraine". Es sind Schilderungen wie diese, die den Krieg greifbar und, flankiert durch die Einschätzungen der anderen Gäste, leichter einzuordnen machen.

Bis hierhin also ein Abend, der die Handschrift Lanz' trägt, aber auch als emotionaler wie informativer Jahresrückblick funktioniert. Umso auffälliger ist daher der Ausreißer, den sich Lanz durch den Auftritt zweier anderer Gäste diesbezüglich leistet. Per Video sind Friedrich Merz und Markus Söder zugeschaltet. Rechtfertigt sich Merz' Erscheinen in einem Jahresrückblick noch durch die Wahl zum CDU-Vorsitzenden in diesem Jahr, ist der Auftritt von Markus Söder weniger einleuchtend und nur dadurch zu erklären, dass Lanz die beiden mit der Kanzlerkandidatenfrage für 2025 konfrontiert.

Die beiden umschiffen die Frage wenig überraschend und wenig überraschend ist auch der übrige Verlauf des Gesprächs. Zwar versucht Lanz durchaus, ernsthafte Themen mit den beiden Politikern zu besprechen, doch Merz und Söder nutzen diese Bühne eher für Polemik und Selbstinszenierung. So schafft es der bayerische Ministerpräsident Söder tatsächlich, in nur fünf Wortbeiträgen sieben Mal das Wort "Bayern" unterzubringen. Und Friedrich Merz verteidigt seinen CSU-Kollegen Alexander Dobrinth, der vor Kurzem die Aktivisten der Letzten Generation mit der Warnung vor dem Entstehen einer "Klima-RAF" diffamierte.

Und was ist mit Afrika, Kunst oder Wissenschaft?

Zum Glück gab es aber auch inhaltlich wertvollere Gespräche als das zwischen Lanz, Söder und Merz. Zum Beispiel mit Carla Reemtsma, die mit Fridays for Future für mehr Schutz der Menschen vor der Klimakrise kämpft, und mit Mojib Latif, der das, was da an Katastrophe auf die Menschheit zukommt, wissenschaftlich einordnet. Auch das vermutlich tausendste Gespräch mit Karl Lauterbach zum Schluss des Rückblicks war immer noch erhellender als der Söder-Merz-Talk, als der Gesundheitsminister Fragen zum Ende des Pandemie-Status und zu seinen Plänen, die aktuelle Situation auf den Kinderstationen zu verbessern, beantwortet.

Am Ende bleibt das Gefühl, dass Lanz mit seinem Jahresrückblick die wichtigsten Ereignisse des Jahres abgedeckt hat - zumindest aus einer eher engen Perspektive. Zwar waren mit Iran und Klimakrise auch globale Themen abgedeckt, aber was 2022 etwa in Afrika oder Südamerika, von China ganz zu schweigen, oder in Kunst, Wissenschaft oder Kultur passiert ist, fand am Donnerstagabend nicht statt. Platz dafür wäre aber gewesen.

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