Maybrit Illner diskutierte am Donnerstagabend (16. März) mit ihren Studiogästen über die Situation der Flüchtlinge in Deutschland. Während über eine Million Ukrainer nach Deutschland gekommen sind, steigen auch die Zahlen Asylsuchender aus anderen Teilen der Welt wieder an. Ein Landrat im Studio sah sich maßlos überfordert, eine Kinderärztin von der deutschen Bürokratie ausgebremst und Oberbürgermeister Palmer legte den Finger mitten in die Wunde.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Über eine Million Menschen sind seit dem russischen Überfall im Februar 2022 auf die Ukraine nach Deutschland gekommen, außerdem 240.000 aus aller Welt. Das sind größere Zahlen als im Jahr 2015, das als Jahr der Flüchtlingskrise in die Geschichte einging. Dabei hat Deutschland mehr Ukrainer aufgenommen als beispielsweise Polen. Hierzulande bekommen die Ukrainer Schutz ohne Asylantrag und dürfen sofort arbeiten. Probleme gibt es aber an mehreren Stellen: Es mangelt an Wohnraum, Schul- und Kitaplätzen und geeigneten Jobs.

Mehr aktuelle News

Das ist das Thema bei "Illner"

Illner überschrieb ihre Sendung am Donnerstagabend (16. März) mit der Frage: "Ihr schafft das schon! Viele Flüchtlinge und kein Plan?". Im Studio blickte sie auf den Notstand in Kommunen und Städten. Denn die Flüchtlingshilfe stößt vielerorts an ihre Grenzen. Gleichzeitig fehlen Wohnungen, Kitaplätze und Arbeitschancen. In der Runde ging es dann um die Fragen: "Stehen wir vor einem größeren Problem als 2015?", "Welche Regelungen gibt es für die Ukrainer und warum funktioniert ihre Integration trotzdem nicht besser? " und "Was machen wir mit den Menschen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei?"

Das sind die Gäste

  • Malu Dreyer (SPD): "Wir kämpfen mit einem Fachkräftemangel", erinnerte die Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz. Man sei verrückt, wenn man vor diesem Hintergrund die Verfahren zur Berufsanerkennung von Menschen aus der Ukraine nicht erleichtere. "Den Anspruch, den Deutschland daran hatte, ukrainische Flüchtlinge menschengerecht aufzunehmen, hat Deutschland auch erfüllt", befand sie.
  • Hendrik Wüst (CDU): "Wir haben ein hohes Anforderungsniveau, was unseren Arbeitsmarkt angeht." Monatelang auf einen Sprachkurs zu warten, zeige, dass Deutschland Kapazitätsprobleme habe. "Es war natürlich richtig, die Türen zu öffnen. Wer vor Putins Krieg flieht, war bei uns herzlich willkommen und ist es auch heute." Man müsse aber schauen, "wer da kommt". Es handele sich zu großen Teilen um Mütter mit Kindern. Sie wollten die Kinder angesichts traumatischer Erlebnisse nicht sofort in eine Kita geben, könnten wegen der Betreuung dann aber auch nicht sofort arbeiten.
  • Boris Palmer (Grüne, ruht): "Wir müssen von den deutschen bürokratischen Standards runter", sagte der Oberbürgermeister von Tübingen. Anders sei der große Zustrom nicht mehr zu bewältigen. Es sei entwürdigend, dass Studiogast Stoiak nicht von der eigenen Arbeit leben könnte. Später sagte er: "Zur Wahrheit gehört auch: Dass Deutschland zehnmal mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat als Frankreich, liegt im Wesentlich daran, dass man in Frankreich drastisch weniger Geld bekommt, wenn man versucht, dort Fuß zu fassen." Dem wolle man sich nicht stellen. "Die ist nicht schön die Diskussion", so Palmer.
  • Hanna Stoiak: Die ukrainische Ärztin arbeitet trotz zehn Jahren Berufserfahrung als Praktikantin bei einem Hausarzt und lebt von Sozialhilfe. Sie sagte: "Das ist etwas Neues für mich. In der Ukraine habe ich die ganze Zeit gearbeitet". Auch jetzt wolle sie so schnell wie möglich arbeiten. Die Bürokratie mache ihr oft das Leben schwer. "Manchmal sind die Öffnungszeiten bei Ämtern nur 8 bis 12 Uhr – da habe ich meinen Sprachkurs", berichtete sie.
  • Tino Schomann (CDU): Der Landrat aus Nordwestmecklenburg sagte: "Ich habe keine Kapazitäten mehr, null, in meinem Landkreis für weitere Aufnahmen von Menschen. Ich habe einen Leerstand von unter zwei Prozent in meinem Landkreis." Ein großes Container-Dorf für 400 Flüchtlinge in Upahl, das selbst nur 500 Einwohner zählt, hatte zuvor für massive Kritik gesorgt. "Ich hätte mir auch kleinere Unterkünfte gewünscht, ganz klar. Aber wir brauchen hier die Ressourcen, um die Menschen zu betreuen", argumentierte er. Man müsse schauen, dass es mit dem sozialen Wohnungsbau vorangehe.
  • Helene Bubrowski: Die Journalistin der "FAZ" beobachtete, dass sich die Situation gerade verlagert. "Viele wollen raus aus privaten Unterkünften und suchen eine Wohnung", sagte sie. Hinzukomme eine steigende Zahl von Asylsuchenden, die nicht aus der Ukraine kämen. Es gäbe Kommunen in Bayern, in denen Leerstand herrsche, während andere Kommunen überlaufen seien mit Flüchtlingen. "Vielleicht könnte man Anreize setzen, um eine bessere Verteilung hinzubekommen", sagte sie.

Das ist der Moment des Abends bei "Illner"

Ein Beispiel aus dem politischen Alltag von Palmer stand stellvertretend für die bürokratischen Hürden in Deutschland und wie sie pragmatische Lösungen verhindern. Es ging um den eklatanten Mangel an Kitaplätzen. Er habe zwei Möglichkeiten, sagte Palmer: "Entweder ich nehme denen, die schon da waren, weitere Betreuungszeiten weg, oder ich finde eine Möglichkeit, die Neuangekommenen in ihr eigenes System zu bringen", und weiter: "Ich würde das machen, wenn ich dürfte."

Sobald eine Spielgruppe mehr als zehn Stunden Betreuungszeit habe, würden die vollen Kita-Standards von Baden-Württemberg gelten. Fachkräfte müssten angestellt werden. Häuser und Spielzeug seien kein Problem. "Wenn es erlaubt wäre, dass die ukrainischen Flüchtlinge Spielgruppen aufbauen, wo die Kinder auf Ukrainisch betreut wären, könnten die Mütter arbeiten und die Kinder wären betreut", sagte Palmer.

Lesen Sie auch: Wo "Wir schaffen das" noch gilt

Das ist das Rede-Duell des Abends

Zu technische Fragen, zu wenig streitbare Gäste, Wüst nur zugeschaltet ins Studio: Die Gründe mögen vielfältig gewesen sein, aber zu einem Rede-Duell kam es am Donnerstagabend nicht. Für eine Debatte über Flüchtlinge war das schon mehr als ungewöhnlich. Dreyer zeterte kurz in Richtung Palmer, warum es ihm nicht gelingen würde, in seinem Bundesland ausreichend Kitaplätze zu schaffen – Potenzial für ein Rede-Duell hatte das aber nicht.

Dafür gab's noch einen weiteren erwähnenswerten Moment der Sendung: Als die ukrainische Kinderärztin Hanna Stoiak sagte, wie lange sie auf einen Sprachkurs hatte warten müssen (fünf Monate) und wie lange es noch bis zu ihrer Berufsanerkennung dauern könnte (zwei Jahre), wurde es ziemlich still im Studio.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Man kann nicht Illner allein zuschreiben, dass der Zündstoff in der Runde fehlte. Ihre Fragen hätten durchaus dazu führen können, dass mehr Kontroverse herrscht. So wollte sie beispielsweise wissen: "Hat die Politik die Zahl unterschätzt oder gehofft, dass sie alle privat unterkommen?", oder "Warum hat Deutschland so ein Problem, Ukrainer zu beschäftigen?". Vielleicht war es auch eine bewusste Entscheidung, auf Kontroverse zu verzichten und stattdessen mehr auf nüchterne Aspekte zu setzen. Für den Zuschauer hat dann aber mindestens die Frage gefehlt, wie Fachkräfte-, Wohnungs- und Kitaplatzmangel mit der Fluchtpolitik zielführend verknüpft werden kann.

Das ist das Ergebnis bei "Illner"

Die Fehler von 2015 nicht zu wiederholen, darin war sich die Runde einig. Ganz vorne auf der Liste stand dabei die Entlastung der Kommunen. Auch die Unterbringung in Sporthallen und großen Anlagen gelte es, wo möglich, zu vermeiden. Als wichtigen Aspekt in der Debatte identifizierte die Runde zum einen die gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Bundesländer und die Debatte über die Finanzierung der Sozialleistungen. Dabei wird auch die Angleichung der Sozialleistungen innerhalb der EU eine Rolle spielen.

Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.