Claus Kleber warnte nach der Staudammsprengung in der Ukraine vor vorschnellen Schlüssen, was den Urheber angeht. Ein anderer Experte konnte die Kritik an Angriffen auf russisches Territorium überhaupt nicht nachvollziehen und sorgte mit einer Prognose über den weiteren Kriegsverlauf für einen Realitätscheck. Sogar ein Bürgerkrieg in Russland wurde beim Donnerstagstalk nicht ausgeschlossen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Durch die mutmaßliche Sprengung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine ist eine neue Stufe der Eskalation im Krieg erreicht. Wer ist dafür verantwortlich? Welche Folgen hat diese Zerstörung für die Menschen und wie beeinflusst sie die ukrainische Gegenoffensive?

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Neben diesen Fragen sprach die Runde bei Maybrit Illner über die kommende Kriegsstrategie der Ukraine. Wie wird sich der Konflikt weiter entwickeln? Und welche Folgen hat die Besetzung von russischen Gebieten in der Region Belgorod? Das Thema bei Maybrit Illner: "Mit allen Mitteln – neue Dimension im Ukraine-Krieg?"

Das waren die Gäste bei Maybrit Illner

Omid Nouripour: Der Parteivorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen ist wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Meinung, dass Russland für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich ist. "Da geht es um unsere Öffentlichkeit", vermutet Nouripour. "Damit wir ins Grübeln kommen und uns fragen: Was machen die denn als Nächstes?"

Soll heißen: Ist Russland auch willens, atomare Waffen einzusetzen? Nouripour macht sich diesbezüglich offenbar grundsätzlich keine Sorgen. Die Ukraine habe wie in Belgorod das Recht auf russisches Territorium zu gehen zur Selbstverteidigung, stellte er klar. Etwas, das vor einem Jahr noch einen Aufschrei ausgelöst hätte, ist heute ziemlich selbstverständlich.

Claus Kleber: Der ehemalige ZDF-Fernsehmoderator nannte es nach der Dammzerstörung ungeheuerlich, die Umwelt als Waffe zu benutzen. Atommächte wie Russland könnten konventionelle Kriege so brutal führen wie sie wollen, weil sich niemand mit ihnen anlegen will, so Klebers These.

Wobei er sich wenig später ein wenig widersprach. Der Westen reize die Grenze in der Unterstützung der Ukraine immer weiter aus. Kleber beobachtet gerade in den USA "eine Art Euphorie", dass man so weit gehen könne gegen Putin. Dennoch sieht er "beschränkte Möglichkeiten", eine weitere Eskalation Russlands zu verhindern. Er selbst sei erschrocken, "wie wenig die Sanktionen ausgerichtet haben."

Liana Fix: Die Russland- und Osteuropaexpertin vom "Council on Foreign Relations" in Washington ist überzeugt, dass Putin seine Karten zu früh verspielt hat. Er habe zu Beginn des Krieges zu oft implizit oder explizit mit Atomwaffen gedroht.

Die Sorge in den USA sei daher zurückgegangen, wie weit man die Ukraine militärisch unterstützen könne. Eine entscheidende Rolle hat in ihren Augen auch China gespielt, das die russischen Nukleardrohungen entschieden zurückgewiesen hat.

Christian Mölling: Der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vermutet, dass die Sprengung des Staudamms in der Ukraine aus dem Ruder gelaufen ist. Die Russen hätten wohl zu einem späteren Zeitpunkt sprengen wollen. Anders kann er sich nicht erklären, dass eigenes Militärmaterial und eigene Menschen nicht in Sicherheit gebracht wurden.

Für ihn ist der Dammbruch ein Zeichen, dass Russland militärisch nicht viele Optionen hat. Putin müsse eher auf sein inneres Machtgefüge schauen. Kritik am Einrücken von der Ukraine unterstützter Militärs in der Region um Belgorod kann Mölling nicht nachvollziehen: "Wenn das eine rote Linie wäre, würde das bedeuten, dass man sich eine Hand auf den Rücken bindet." Nachschubwege seien legitime Ziele. Und "keiner will bis Moskau gehen. Das ist völlig absurd als Kriegsziel."

Sabine Adler: Die Russlandexpertin und Autorin deutet die Zerstörung des Kachowka-Staudamms als "Zeichen der Zerstrittenheit" innerhalb des russischen Militärs. Womöglich habe eine Gruppe ein Zeichen der Entschlossenheit setzen wollen, vermutet sie.

Adler warnte vor einem Bürgerkrieg im Russland. Viele Oligarchen schaffen sich derzeit Privatarmeen an. "Es wird neue Verteilungskämpfe geben. Da kann man ganz sicher sein". Beim Einmarsch in Belgorod, an dem vor allem russische Nationalisten und Rechtsextreme beteiligt sind, sah Adler anders als Kleber die rote Linie weniger bei der politischen Einstellung der Kämpfer, wodurch ein russisches Narrativ über die "Nazis" in der Ukraine bedient wird.

Die rote Linie sei vielmehr, welche Waffen dort eingesetzt werden und aus welchen Ländern sie stammen. Öffentlich hatten unter anderem die USA die Nutzung von US-Militärtechnik bei dem Einmarsch kritisiert.

Das war der Moment des Abends

Die Gretchenfrage im Ukraine-Krieg: Deutschland, wie hältst du es mit den Waffenlieferungen? Würde Berlin, nachdem es bei den Panzerlieferungen einen großen Schritt über den eigenen Schatten gemacht hatte, noch weiter gehen und die eigenen Kurzstreckenraketen Marke Taurus liefern?

Dazu äußerte sich Omid Nouripour. Deutschland wolle weiter seinen Beitrag leisten, "aber im Verbund". Alles andere stelle sich derzeit nicht. Deutschland sei da auch nicht "im Fahrersitz".

Bei einer anderen Frage war der Grüne klarer: Deutschland dürfe, indem deutsche Waffen auf russischem Boden eingesetzt werden, nicht zur Kriegspartei werden. "Das werden wir auch nicht zulassen." Das habe auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ausgeschlossen.

Das war das Rededuell des Abends

Claus Kleber warnte im Hinblick auf die Staudammzerstörung davor, vorschnell dem gängigen Narrativ zu glauben: "Die Russen machen nur Schlimmes und alles Gute, was passiert, machen die Ukrainer. Da macht man sich nicht glaubwürdig, wenn man erkennbar, nach wenigen Stunden, etwas aus der Hüfte geschossen sagt."

Anders sah es Russlandexpertin Fix: Es gebe bisher zwar noch keinen eindeutigen Beweis, aber US-Geheimdienstinformationen, die auf Russland hindeuten. Wobei an US-Medien durchgestochene Geheimdienstinformationen nicht unbedingt die zuverlässigste Quelle sein müssen. Genauso gut könnten die vermeintlichen Informationen gestreut worden sein, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Es war ein engagierter Auftritt der Gastgeberin in einer Sendung ohne die ganz großen Kontroversen, bei der eindeutig der Pfeffer fehlte.

Punkten konnte sie mit dem Hinweis, dass die angedachte Nato-Aufnahme der Ukraine, den Krieg verlängern könnte, weil Russland dann einfach immer weiter machen, kämpfen würde, um den Beitritt zu verhindern. Nach Nato-Statuten dürfen Länder, die sich in einem Krieg befinden, nicht aufgenommen werden.

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