Zum Ende der Sommerpause greift Frank Plasberg in "Hart aber Fair" die durch Mesut Özils Rücktritt aus der Fußball-Nationalmannschaft ausgelöste Rassismus-Debatte auf. Die aktuellen Ereignisse im sächsischen Chemnitz zeigen, dass das Thema brandaktuell ist.

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Wie rassistisch sind die Deutschen? Wie sehr diskriminieren sie? Fragen, die viele Menschen schon als Provokation verstehen. Dabei ist Diskriminierung in der Schule sowie bei der Job- und Wohnungssuche für viele Bürger mit Migrationshintergrund ein bitterer Teil ihrer Biografie.

Vom Alltagsrassismus, zu dem auch gut gemeinte Sätze wie "Sie sprechen aber gut Deutsch" gehören, war da noch gar nicht die Rede. Frank Plasberg diskutierte bei "Hart aber fair" mit seinen Gästen über ein Problem, das vor einigen Jahren schon fast überwunden schien: Rassismus.

Nicht zuletzt die Masseneinwanderung seit 2015 und der damit verbundene Aufstieg der AfD hat wieder zu einem Anstieg der Ressentiments gegen Fremde geführt. Wenn sich sogar ein Fußball-Nationalspieler zum Rücktritt genötigt sieht, weil er nicht genug Rückendeckung des DFB gegen rassistische Anfeindungen spürte, besteht Redebedarf.

Wer sind die Gäste?

Tuba Sarica: Die Bloggerin und Buchautorin ("Ihr Scheinheiligen! Doppelmoral und falsche Toleranz – die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen") fiel durch Zuspitzungen auf. Sie sah ein größeres Rassismus-Problem unter Deutsch-Türken als unter alteingesessenen Deutschen.

Und sie sagte, viele muslimische Männer hätten ein "gestörtes Verhältnis zu Liebe und Sexualität" – ihre Erklärung für sexuelle Übergriffe. Sie fühle sich unter Deutsch-Türken "manchmal wie ein Alien", weil sie noch gar keine schlechten Erfahrungen mit Rassismus gemacht habe, so Sarica.

Shary Reeves: Die Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin beklagte sich über Alltagsrassismus und Sätze wie "Sie sprechen aber perfektes Deutsch!". Shary Reeves ist in Deutschland geboren. Zugleich betonte sie, man dürfte nicht alle Bemerkungen über einen Kamm scheren.

Auch Sätze, die diskriminierend wirken, müssten nicht unbedingt böse gemeint sein. Es komme auf den Klang der Worte an. Zudem plädierte sie dafür, auf den Unterschied zwischen Rassismus und Diskriminierung zu achten. "Das ist ein sehr großer Unterschied."

Borwin Bandelow: Der Angstforscher erklärte mit evolutionsbiologischen Erkenntnissen, woher die Angst vor dem Fremden kommt: aus der Steinzeit, von der Organisation der Menschen in Stämmen. Die Angst half den Urzeitbewohnern beim Überleben.

Den Teil des Hirns, in dem diese archaischen Muster abgespeichert sind, bezeichnete er als "Angstgehirn". Es habe "keinen Hochschulabschluss". Wenn das Angsthirn die Oberhand gewönne, so Bandelow, "dann passieren Dinge wie jetzt in Chemnitz". Sein Tipp: Reisen, um die Angst vor den Fremden zu verlieren. Soll heißen: Unser Gehirn ist lernfähig, es kann umprogrammiert werden.

Mehmet Daimagüler: Der Nebenkläger-Anwalt im NSU-Prozess weiß aus seiner Erfahrung bei Gericht: Ausländische Mandanten oder solche mit ausländischen Wurzeln haben es schwerer. Sie kommen häufiger in Untersuchungs-Haft und werden härter verurteilt, behauptete er.

"Wenn sie einen türkischen Namen haben, haben sie vor Gericht Probleme", sagte der frühere FDP-Bundesvorstand. Darüber hinaus betonte er, dass Rassismus nicht von anderen Formen von Diskriminierung wie Antisemitismus oder Sexismus getrennt werden könne. "Die Mechanismen sind dieselben."

Karlheinz Endruschat: Der SPD-Ratsherr aus Essen legte Wert darauf, dass auch alteingesessene Deutsche Opfer von rassistischen Beleidigungen werden. Er selbst sei von Migranten als "Hund" beschimpft worden. Über Rassismus werde häufig nur einseitig berichtet – wenn er von Deutschen ausgehe.

Carim Soliman: Der Journalist und Amateur-Fußballer war anderer Meinung als der SPD-Politiker. Entscheidend für die Wirkmacht von Rassismus sei die Frage, wer "in der Mehrheitsgesellschaft am Lenker" sitzt, so Soliman.

Was war der Moment des Abends?

Eine Entgleisung von Tuba Sarica. Sie bezeichnete Mesut Özil, den zurückgetretenen deutschen Nationalspieler, als "Mitläufer einer faschistischen Regierung", weil er sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan fotografieren ließ und sich davon nicht distanzierte.

Ein Vergleich, den man so vielleicht nur von einem AfD-Vertreter erwartet hätte und der der Debatte nicht sonderlich zuträglich war.

Was war das Rededuell des Abends?

Wirklich harte Rededuelle blieben in dieser sachlich geführten Debatte aus. Als SPD-Mann Endruschat von seinen Erfahrungen mit Rassismus gegen Deutsche berichtete, zeigte Mehmet Daimagüler, dass es in Wahrheit um die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft geht, um Macht und Ohnmacht.

Letzteres spüren Menschen mit dunkler Hautfarbe gemäß seiner Erfahrung am heftigsten. Der Anwalt, selbst Opfer von rassistischen Beleidigungen, zeigte große Empathie gegenüber jenen, die es noch schwerer haben.

"Mein Leben in Deutschland ist kein Leidensweg, aber trotzdem schmerzen die Momente, in denen ich Rassismus zu spüren bekomme", sagte Daimagüler. "Und ich frage mich dann, wie es Menschen ergeht, die eine dunklere Hautfarbe haben als ich oder die Sprache nicht so gut sprechen."

Wie hat sich Frank Plasberg geschlagen?

Plasberg gab sich als ehrlicher Mittler und führte mit ruhiger Stimme durch eine schwierige Debatte. Er ging sehr empathisch auf seine Gäste ein – vorbildlich.

Was ist das Ergebnis?

Es gibt noch viel zu tun. Das hat auch die "#metwo"-Debatte nach dem Rücktritt von Mesut Özil gezeigt, in dem Migranten in Deutschland massenhaft ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus geschildert haben.

Selbst ein aufgeklärter Weltenbürger wie Daimagüler, der unter anderem auf der US-Elite-Uni Yale Jura studiert hat, gesteht, auf der Autobahn auch mal "Verdammter Pole!" zu denken, wenn er von einem polnischen Autofahrer geschnitten werde. Niemand ist in Einzelsituationen davor gefeit. Sein Fazit: Mit Ausnahme von Kindern seien wir wohl alle Rassisten.

Die Özil-Debatte hat auch gezeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund oft mehr leisten müssen, um anerkannt zu werden. Daimagüler bestätigte das. "Solange wir funktionieren und nicht aufmucken ist alles in Ordnung, aber sobald das nicht mehr der Fall ist, wird man sehr schnell verbal ausgebürgert."

Shary Reeves brachte die Gefühle vieler Menschen mit Migrationshintergrund schließlich auf den Punkt: "Ich möchte in einem Land leben, in dem ich sagen kann: Dein Deutschland ist auch mein Deutschland."

Dafür gab es viel Applaus des Publikums. Ein Moment, der zeigte: Es braucht Empathie, Verständnis und ein Miteinander – nur so kann Rassismus begegnet werden.

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