Das Aussetzen des Impfens mit dem Wirkstoff von AstraZeneca hat auch die Redaktion von "Hart aber fair" überrascht. Innerhalb von fünf Stunden mussten Thema und Gäste der jüngsten Ausgabe am Montag getauscht werden. Geschadet hat es der Talkrunde nicht. Im Gegenteil.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Eigentlich wollte Frank Plasberg mit seinen Gästen die Frage "Wahlen in Zeiten von Corona: Wem vertrauen die Bürger?" diskutieren. Doch dann teilte das Bundesgesundheitsministerium am Montag mit, dass man die Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca aufgrund der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts erst einmal aussetzen werde. Dementsprechend änderte die Redaktion noch einmal kurzfristig Gäste und Themen der Sendung. Plasberg fragte nun: "Stopp für AstraZeneca – Impfplan gescheitert?"

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Mit diesen Gästen diskutierte Frank Plasberg:

  • Karl Lauterbach (SPD), Bundestagsabgeordneter und Gesundheitsökonom
  • Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der "Welt"
  • Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist (zugeschaltet)
  • Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (zugeschaltet)

Darüber diskutierte die Runde bei "Hart aber fair"

"Eine fachliche, keine politische Entscheidung" sei die Vorsichtsmaßnahme des Gesundheitsministeriums gewesen, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Dem widerspricht Robin Alexander: Zwar eine "Empfehlung von Wissenschaftlern, aber getroffen von der Bundesregierung". Mit dieser wenig erkenntnisreichen Feststellung beginnt die Runde bei Frank Plasberg. Wenig erkenntnisreich deshalb, weil die Regierung seit Beginn der Pandemie den Empfehlungen von Wissenschaftlern folgt – oder eben manchmal auch nicht.

Handfester ist da die Aussage von Ranga Yogeshwar über die Entscheidung des Gesundheitsministers: "Ich glaube, sie ist zuerst einmal richtig." Die zentrale Botschaft sei hier: "Es ist ein kleines Risiko, aber weil es sich um eine Impfung handelt, muss man da auch nachfassen und das tun die und das finde ich persönlich auch richtig."

Anders sieht es Karl Lauterbach. Es sei zwar eine Entscheidung, bei der man "durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann", er selbst hätte es aber nicht getan: "Es ist richtig, dass die Komplikation, die wir hier sehen (…) das ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf den Impfstoff zurückzuführen." Man müsse es dennoch ins Verhältnis setzten. "Wir sind in einer solchen Notlage, was die Pandemie derzeit angeht, also haben auch mit so drastischen Folgen der Erkrankung zu rechnen bei den Nicht-Geimpften, so dass ich es bevorzugt hätte, zu sagen: Wir lassen dies jetzt untersuchen und wir impfen aber in dieser Zeit weiter." Lauterbach geht davon aus, dass der Impfstoff nach der Untersuchung wieder eingesetzt werde.

Andreas Gassen glaubt, dass die Entscheidung von Jens Spahn "schwierig anders zu treffen gewesen wäre." "Ich denke es ist richtig, wie jetzt verfahren wird. Man prüft das jetzt. Wahrscheinlich wird am Ende des Tages rauskommen: Es ist eine mögliche Komplikation des Impfstoffs. Ob's nun der Impfstoff grundsätzlich ist, ob's tatsächlich 'ne Charge ist, das weiß, glaube ich, im Moment noch niemand so wirklich", erklärt Gassen. Sollte man das Risiko einschätzen können, müsse man die Menschen darüber aufklären und könne den Impfstoff weiter verwenden.

Für alle, die bereits vor ein paar Tagen mit AstraZeneca geimpft wurden, hat Lauterbach noch eine eindeutige Botschaft: "Da muss sich niemand Sorgen machen, die Astra-Geimpften sind sicher geimpft worden."

Karl Lauterbach

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Der Schlagabtausch des Abends

Es ist eine engagierte, aber keine hitzige Diskussion an diesem Abend, die durchaus verschiedene Meinungen offenlegt. Dementsprechend ist "Ich sehe das anders" ein Satz, den man häufiger und in Varianten hört. Eine dieser Varianten ist: "Ich würde ein paar Sachen ganz gerne mal ein bisschen sortieren." Der Satz kommt von Andreas Gassen. Zuvor hatte Karl Lauterbach ein düsteres Bild für die nächsten Wochen gemalt.

Demnächst werde man in die zweite Impfrunde gehen müssen und gegen die südafrikanische und die brasilianische Mutation würden die aktuellen Impfstoffe "nur sehr eingeschränkt" wirken. Am Ende sei man "vor dem gleichen Logistikproblem", zumal der nächste Impfstoff von Johnson & Johnson einen Monat später als erwartet kommen werde, erklärt Lauterbach.

Hier versucht Gassen zu beruhigen. Das Problem mit AstraZeneca sei ärgerlich, aber man müsse sich die avisierten Lieferungen im zweiten Quartal ansehen und da bilde dieser Impfstoff eben nur einen Teil der Gesamtmenge. "Der Großteil kommt tatsächlich von Biontec aus dem zweiten Werk in Marburg." Bei diesem Impfstoff werde in den Zentren und Praxen "die Musik spielen." In der zweiten Jahreshälfte werde man deutlich mehr Impfstoffe haben, die dann auch an die Mutationen angepasst werden könnten.

Trotzdem will auch Gassen nicht mit Kritik sparen: "Wir hängen einfach in der Zeit hintendran." Man hätte sich schon vor Wochen Parallelstrategien neben der Impfung überlegen sollen. "Man sieht, wie anfällig wir sind. Das ist wie ein Hocker, der nur auf zwei Beinen steht. Und dann fällt eines weg und dann wird’s ganz schön kippelig."

Die Behauptung des Abends

Niemand, da ist man sich trotz der Meinungsverschiedenheiten einig, wolle der Untersuchung des Impfstoffs vorgreifen. Das ist selbstverständlich richtig so, schließlich beugt das Spekulationen und Unsicherheiten vor. Erstaunlich ist dann aber, dass sich nahezu alle Gäste in Spekulationen über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Impfstopps ergehen. "Das große Misstrauen in diesen Impfstoff wird sich wahrscheinlich noch potenzieren", repräsentierte Robin Alexander den Grund-Tenor der Runde, dass das Vertrauen in das Vakzin des schwedisch-britischen Herstellers weiter erschüttert werde.

Natürlich liegt diese Vermutung nahe, eine Studie oder repräsentative Umfrage hat dazu aber keiner der Beteiligten parat. Offenbar gilt der Maßstab einer ordentlichen Untersuchung nur für die Natur-, nicht aber für die Sozialwissenschaften. Ein Phänomen, das man auch bei vielen Diskussionen zu anderen Themen beobachten kann. Hätte man als Beweis für das erschütterte Vertrauen nur die Meinungen der Gäste herangezogen, hätte sich interessanterweise ein ganz anderes Bild ergeben.

Als Frank Plasberg nämlich die Runde fragt, wer sich immer noch mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen würde, bejahen das alle Gäste. Auch bei den Zuschauermeinungen, kann man keinen eindeutigen Vertrauensverlust heraushören. "Ich bin bereit, das Impfrisiko zu tragen – es gibt keine 100-prozentige Sicherheit im Leben", schreibt da beispielsweise ein Mann in den sozialen Netzwerken.

Das Fazit

Gegen 16 Uhr sei die Entscheidung gefallen, Thema und Gäste für diesen Abend noch einmal zu tauschen, erzählt Frank Plasberg. Trotz dieser Kurzfristigkeit war es insgesamt eine gute Diskussion, die weder Panik geschürt noch Gefahren kleingeredet hat und deren Botschaft Rangar Yogeshwar in Bezug auf Risiken und Nutzen für sich so zusammenfasst: "Wir reden über minimale Risiken. Das muss man sich klarmachen. Auch wenn sie klein sind, muss man genauer drauf schauen. Aber die Risiken sind natürlich klein im Vergleich zum Rest."

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