Im Zuge der "Graichen-Affäre" wurde Wirtschaftsminister Robert Habeck hart dafür kritisiert, sich vor allem mit Vertrauten zu umgeben. "Die Trauzeugen-Affäre ist hoch problematisch ", sagt Christina Deckwirth von LobbyControl.

Ein Interview

Patrick Graichen verlor im Mai sein Amt als Wirtschaftsstaatssekretär wegen des Vorwurfs der Vetternwirtschaft und wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Der Top-Mitarbeiter von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck war an der Neubesetzung des Spitzenpostens der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) beteiligt. Den Job bekam Graichens Trauzeuge.

Weitere Ungereimtheiten führten schließlich zu seiner Entlassung. Im Zuge dieser "Trauzeugen-Affäre" wurde Habeck hart dafür kritisiert, sich vor allem mit Vertrauten zu umgeben. Wann wird Nähe zum Problem? Und ab wann spricht man von Korruption? Das hat unsere Redaktion Christina Deckwirth von der Transparenzinitiative LobbyControl gefragt.

Frau Deckwirth, war es richtig, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck seinen Staatssekretär Patrick Graichen entlassen hat?

Christina Deckwirth: Absolut. Mit derartigen Interessenkonflikten sollte man sehr vorsichtig umgehen. Die Geschichte mit dem Trauzeugen war bereits höchst problematisch. Auch das hätte bereits ein Grund für einen Rücktritt sein können. Nachdem dann noch eine von Graichen genehmigte Förderung des BUND Berlin herauskam, bei dem seine Schwester im Vorstand sitzt, war die Entlassung das einzig Richtige. Spätestens da war es der eine Fehler zu viel, wie Herr Habeck ganz richtig sagte.

Ab wann spricht man im politischen Betrieb von Korruption?

Lobbyismus ist die legale Form der Einflussnahme und Korruption die illegale. Dazwischen gibt es einen großen Graubereich. Korruption ist der Missbrauch von Macht für eigene Vorteile, beispielsweise durch Geldzahlungen. In der Graichen-Affäre ging es eher um Verstöße gegen Compliance-Regeln (Regeln, wie sich Mitarbeitende zu verhalten haben, Anm. d. Red.), etwa für integres Verhalten. Es war ein Fall, in dem mit Interessenkonflikten nicht gut umgegangen wurde.

Für Korruption hätten sich also zum Beispiel Patrick Graichen und seine Familienmitglieder Geld hin- und herschieben müssen?

Ein klassischer Fall von Korruption war die Masken-Affäre während der Corona-Pandemie, wo Geld in die Taschen von Bundestags- und Landtagsabgeordneten der CDU und CSU geflossen ist. Zwar wurden diese letztendlich freigesprochen. Hier braucht es aber deutlich strengere Regeln, dass so etwas nicht mehr möglich ist. Der Gesetzgeber müsste etwa den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung schärfer fassen, sodass er besser vor Gericht angewandt werden kann.

Wie einflussreich sollten Staatssekretäre sein?

Es gibt einen großen Unterschied zwischen sogenannten verbeamteten und parlamentarischen Staatssekretären. Das wurde in den Diskussionen häufig vermischt: Michael Kellner ist parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Trotzdem wurde er oft als Staatssekretär bezeichnet, wie Patrick Graichen es war – obwohl parlamentarische Staatssekretäre weniger Einfluss haben. Sie müssen Bundestagsabgeordnete sein und sind die Verbindungspersonen vom Ministerium ins Parlament. Verbeamtete Staatssekretäre stehen dagegen direkt unter den Ministern. Sie tragen nach den Ministerinnen und Ministern die Hauptverantwortung im Ministerium.

Christina Deckwirth: "Es gibt wirtschaftliche Interessen seitens der Gasversorger, das Heizungsgesetz zu verwässern"

Stehen Habeck und die Grünen nun zu Recht im Fokus oder ist es in der deutschen Politik gang und gäbe, Freunde und Gleichgesinnte einzustellen?

Die Kritik am Bundesministerium für Wirtschaft und Klima war richtig. Gleichermaßen gibt es solche Verbindungen auch in anderen Ministerien. Kürzlich stand Arbeitsminister Hubertus Heil in der Kritik, weil er seinen Trauzeugen als Leiter der Abteilung Europa und Internationales eingestellt hat. Finanzminister Christian Lindner will einen Freund zum Aufsichtsrat der Commerzbank machen. Und in der CSU gab es große Affären, weil Familienmitglieder in Abgeordnetenbüros angestellt wurden.

Wegen des umstrittenen Heizungsgesetzes stehen die Grünen natürlich gerade besonders in der Kritik. Das liegt auch daran, dass es wirtschaftliche Interessen seitens der Gasversorger gibt, dieses Gesetz zu verwässern – und zugleich machtpolitische Interessen innerhalb der Parteien. Deswegen gab es einerseits so viel Aufmerksamkeit für die Graichen-Affäre. Andererseits ist und bleibt es ein hoch problematischer Vorgang.

Wo liegt die rote Linie bei der Postenvergabe an Freunde und Verwandte in Ministerien?

Man sollte sehr vorsichtig damit umgehen und mögliche Interessenskonflikte im Blick haben und klar benennen. Das hat das Klima-Ministerium auch mit entsprechenden Compliance-Regeln versucht. Es war bekannt, dass es familiäre Verbindungen gab. Am Ende hat aber diese "Brandmauer", wie Herr Habeck sie nannte, nicht ausgereicht. Es braucht deshalb für alle Ministerien stärkere Kontrollen und Verhaltensregeln.

Robert Habeck verwies vor Kurzem selbst darauf, dass es im Ausland strengere Compliance-Regeln für Ministerien gebe. Korrekt oder doch nur ein Ablenkungsmanöver?

Zumindest hat er überhaupt gehandelt. Man kann Habeck vorwerfen, dass er dies zu spät getan oder die Compliance-Regeln nicht gut genug umgesetzt hat. Ich hoffe, dass die Bundesregierung sich nun für schärfere Regelungen einsetzt. Da kann sich die Politik etwas von der Wirtschaft und eben von Regeln, wie es sie beispielsweise in Frankreich auch für die Politik gibt, abschauen. Dort gibt es eine eigene Behörde, die Interessenerklärungen hochrangiger Amtsträger zentral prüft und entsprechende Entscheidungen treffen kann. Wir haben selbst gerade ein Eckpunktepapier mit einigen Vorschlägen für die Bundesregierung geschrieben. So sollte das Leitungspersonal in allen Ministerien zukünftig bereits bei Amtsantritt Erklärungen zu finanziellen Interessen machen müssen. Zusätzlich braucht es eine unabhängige Kontrolle dieser Erklärungen.

"Parteizugehörigkeit und Freundschafts- oder Verwandtschaftsverhältnisse sollten nicht im Vordergrund stehen"

Ist es auch ein Problem, wenn zu viele Personen mit dem gleichen Parteibuch in einem Ministerium zusammenarbeiten?

Nicht unbedingt. Bei einem Regierungswechsel wird die Person an der Spitze eines Ministeriums meistens ausgetauscht. Sie gehört je nach Wahlausgang einer anderen Partei an und bringt ein anderes Programm mit, dafür wurde die Person gewählt. Deswegen ist es verständlich und notwendig, wenn die Ministerin oder der Minister Leute einstellt, mit denen sie oder er das eigene politische Programm voranbringen kann und will. Parteizugehörigkeit und vor allem Freundschafts- oder Verwandtschaftsverhältnisse sollten aber nicht im Vordergrund stehen, sondern die fachliche Eignung.

Ist der Vorwurf, dass die Grünen Öko-Thinktanks und die Klimabewegung zu sehr vermischen, gerechtfertigt?

Erst einmal sollte klar sein, was Lobbyakteure sind und was mit der sogenannten "Öko-Lobby" gemeint ist. Umweltverbände und klimapolitische Thinktanks, die sich direkt an die Politik wenden, sind beispielsweise Lobbyakteure und müssen sich ins Lobbyregister eintragen. Sie setzen sich für Klima- und Umweltschutz ein und somit auch für das Gemeinwohl. Lobbyisten aus Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden haben dagegen meistens ihre wirtschaftlichen Interessen im Fokus. Das ist erst einmal nicht verwerflich, aber es sind unterschiedliche Funktionen.

Mit dem Begriff "Öko-Lobby" haben Sie aber Probleme.

Das kommt auf den Kontext an. Der Begriff wird häufig eingesetzt, um bestimmte gesellschaftliche Anliegen abzuwerten. Er soll suggerieren, dass Klima- und Umweltlobbyisten der Gesellschaft schaden und es schwingt mit, dass diese in die eigene Tasche wirtschaften wollen. Darum geht es aber in der Graichen-Affäre nicht und darum geht es auch der Klimabewegung nicht. Hier ist es wichtig, unterschiedliche Zielsetzungen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder auch Lobbyakteure nicht einfach zu verwischen.

"Problematischer ist der Wechsel von der Politik in einen Lobbyjob"

In diesem Zusammenhang fiel mehrmals der Name der grünen Denkfabrik Agora Energiewende, für die Graichen vorher gearbeitet hat. Sie schreibt Studien, berät Regierungen und bringt Experten aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammen. War diese Verbindung nicht problematisch für seinen Posten im Ministerium?

Wenn jemand aus so einer Organisation in die Politik wechselt, ist immer wichtig, dass diese Person auf Ausgewogenheit achtet. Neben Agora gibt es eine Reihe weiterer Akteure mit umwelt- oder klimapolitischer Expertise. Deshalb sollte man nicht nur mit dem einen zusammenarbeiten – gerade, wenn man vorher für diesen gearbeitet hat. Der Wechsel von Lobbyisten in die Politik ist durchaus üblich. Das beobachten wir durchaus kritisch, es kann aber auch hilfreich sein, wenn bestimmte Fachkenntnisse mitgebracht werden. Noch problematischer ist es aber umgekehrt, also der Wechsel von der Politik in einen Lobbyjob. Hierbei können frühere Politiker das Wissen aus dem Amt mitnehmen oder zugunsten eines späteren Arbeitgebers entscheiden. Für solche Seitenwechsel gibt es schon klare Karenzregeln, die aber noch ausgebaut werden müssen. Spitzenpolitikerinnen und -politiker müssen ein bis eineinhalb Jahre warten, bevor sie Lobbyjobs annehmen. Diese Wartezeit ist zu kurz – auch die Personengruppe, für die diese Regelung gilt, müsste ausgeweitet werden, zum Beispiel auf beamtete Staatssekretäre.

Der Agora Energiewende wird vorgeworfen, dass sie sehr viel Geld von US-Millionär Hal Harvey erhält. Ist so etwas ein Problem?

Bei der Gründung und Finanzierung der Denkfabrik hatte tatsächlich eine Einzelperson mit sehr viel Geld einen gewissen Einfluss. Das ist generell immer problematisch. Gleichzeitig muss man das auch ins Verhältnis setzen. So riesig und einflussreich ist die Klimaszene nicht, wie gerade manchmal suggeriert wird. Die Gegenspieler, etwa aus der fossilen Lobby, sind um Längen stärker. Laut Lobbyregister gibt die Gasindustrie 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit pro Jahr aus. Anderthalb Millionen Euro geben dagegen die drei größten Umweltverbände, die auch zum Thema Gas arbeiten, aus.

Wie sehr sollten Lobbyorganisationen Einfluss auf Politiker und Gesetze haben?

In einer Demokratie ist es absolut notwendig, dass sich Politikerinnen und Politiker mit verschiedenen Interessengruppen austauschen. Der Begriff Lobbyismus ist aber zu Recht eher negativ besetzt, weil Interessenvertretung in Deutschland zum einen häufig intransparent und nicht nachvollziehbar ist, wer da eigentlich wie Einfluss nimmt – beispielsweise auf Gesetzestexte. Zum anderen gibt es ein massives Machtungleichgewicht bei den unterschiedlichen Lobbyakteuren.

Ungleichgewicht: Große Konzerne haben viel Geld für Lobbyarbeit

Inwiefern?

Vor allem die großen Konzerne haben sehr viel Geld für Lobbyarbeit, um auf die Politik zuzugehen, lange und oft komplizierte Gesetzestexte bis ins letzte Detail auszuarbeiten oder für Hochglanz-Broschüren und schicke Einladungen. Oder um Seitenwechsler aus der Politik mit hohen Gehältern einzustellen. Andere Gruppen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, haben nicht so viel Geld und deshalb weniger Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen – wie beispielsweise Wohlfahrts- oder Umweltverbände. Das verzerrt die Einflussnahme auf die Politik. Deswegen sollten Politikerinnen und Politiker auf finanzschwächere Interessengruppen aktiv zugehen – und generell auf Ausgewogenheit achten.

Nun gibt es seit Beginn vergangenen Jahres ein Lobbyregister. Verbessert das die Schieflage?

Wir haben uns Jahre dafür eingesetzt und freuen uns, dass es das Register nun gibt. So soll sichtbar werden, wer mit wie viel Geld zu welchen Themen lobbyiert. Und in welchem Auftrag das geschieht. Das Lobbyregister ist aber noch nicht perfekt, es gibt noch einige Lücken. Zum Beispiel sind noch Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kirchen davon ausgenommen. Das ist ein Manko. Ebenso fehlt noch eine Lobby-Fußspur, über die sichtbar werden soll, wer im Gesetzgebungsprozess in den Ministerien wie Einfluss genommen hat. Aktuell kann man nur sehen, wer in Berlin Lobbyarbeit betreibt, aber nicht genau, wie und wofür. Das muss sich noch ändern.

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Zur Person: Christina Deckwirth ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Campaignerin im Berliner Büro der Transparenzinitiative LobbyControl. Sie beschäftigt sich mit den Themen Autolobby, Lobbyismus und Klima sowie Wissenschaftslobbyismus.
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