Während der sogenannte Islamische Staat weiter in der Defensive ist, wollen sich die USA im Syrien-Krieg mehr engagieren und offenbar stärker mit Russland abstimmen. Profitieren könnte von der neue Gemengelage vor allem das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Ein Experte sagt, Assads Perspektive sei "weitaus besser als vor zwei Jahren".

Mehr aktuelle News

Im Jahr sieben des syrischen Bürgerkriegs bahnt sich ein Strategiewechsel der USA an. Präsident Donald Trump hat seinen Verteidigungsminister James Mattis angewiesen, neue Handlungsoptionen vorzustellen, darunter den Einsatz von Bodentruppen.

Schon vor wenigen Tagen wurde die Stationierung von 400 Angehörigen der Spezialkräfte Marines und Army Rangers bestätigt. Sie sollen die einheimischen Verbündeten im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) unterstützen. Bisher waren nach offiziellen Angaben nur rund 500 US-Militärberater im Einsatz.

Darüber hinaus gibt es erste Anzeichen für eine engere Kooperation Amerikas mit Russland: Am Mittwoch trafen sich die Chefs der Generalstäbe der USA, Russlands und der Türkei in Antalya, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Zudem soll die US-geführte internationale Koalition mehrere Luftangriffe gegen den IS in Palmyra geflogen haben. Davon würden die mit Assad verbündeten Milizen profitieren.

Bisher war auch die indirekte Unterstützung des Diktators, dem Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, keine Option für die USA. Jetzt deutet vieles auf einen Richtungswechsel hin.

Curt Covi vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel bezweifelt, dass die zusätzlich in Syrien stationierten US-Spezialkräfte dem Krieg eine entscheidende Wende geben können. "Es handelt sich nur um homöopathische Mengen an Truppen und Material. Das wird im Bodenkrieg kaum etwas ändern und die Lage eher verkomplizieren", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit unserer Redaktion. Zudem sei auf amerikanischer Seite noch keine echte Strategie erkennbar – im Gegensatz zu Russland und dem Iran.

Komplizierte Konstellationen

Die Lage in Syrien ist ohnehin verworren. Was sind die wichtigsten Akteure und Koalitionen, die im Bürgerkrieg mitmischen?

Das Assad-Regime

• Bereits 2012 stand das Assad-Regime nach Meinung vieler Experten kurz vor dem Zusammenbruch. Inzwischen befinden sich die Regierungstruppen wieder auf dem Vormarsch - durch die Hilfe des Irans, Russlands, verschiedener Milizen und sektiererischer Gruppierungen. "Die Perspektive ist gar nicht so schlecht, jedenfalls weitaus besser als noch vor zwei Jahren, als das Regime kurz vor dem Fall stand", erklärt Covi.

Islamischer Staat

• Die Terrormiliz befindet sich weiter in der Defensive. In der irakischen Millionenstadt Mossul steht sie auf lange Sicht vor einer Niederlage, ihre inoffizielle syrische Hauptstadt Rakka ist von feindlichen Truppen umzingelt.

Sollten die USA ihre Anstrengungen verstärken, könnte der IS seine letzten kontrollierten Gebiete verlieren. Allerdings wäre dies nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Miliz.

Iran

• Ohne den schiitischen Iran und die von ihm finanzierte libanesische Hisbollah-Miliz wäre das Assad-Regime schon längst am Ende. Mit dem sunnitischen Saudi-Arabien, seinem Erzfeind, liefert sich der Iran in Syrien eine Art Stellvertreter-Krieg um die Vorherrschaft in der Region.

Russland

• Russland und Syrien sind traditionell enge Verbündete. Seit Ende 2015 unterstützt Moskau Assad mit Waffen, Bodentruppen und Luftangriffen - offiziell, um den "Islamischen Staat" zu bekämpfen.

Kritiker werfen den Russen vor, auch mit den USA verbündete Rebellengruppen anzugreifen. Durch das Eingreifen konnte die Assad-Regierung erhebliche Landgewinne verzeichnen und die Millionen-Stadt Aleppo zurückerobern.

Türkei

• Die Türkei will das Ende von Assad. Dafür arbeitet sie, wie die Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien, mit sunnitischen Rebellengruppen zusammen. Sogar den IS, der Assad vehement bekämpft, ließen die Türken lange gewähren.

Im Norden Syriens möchte Ankara unbedingt einen zusammenhängendes kurdisches Gebiet verhindern, was zu Konflikten mit dem Nato-Partner USA führt. Zuletzt kam es zu einer Annäherung an Russland.

USA

• Washington führt die Anti-IS-Koalition an, zu der auch Deutschland gehört. Sie unterstützt lokale Bodentruppen durch Waffen, Gerätschaften, Aufklärung und Luftangriffe.

Im Norden des Landes arbeiten die Amerikaner zur Verärgerung der Türkei mit der kurdischen YPG-Miliz, die Ankara als "Terroristen" bezeichnet, sowie dem von den Kurden angeführten multi-ethnischen Bündnis SDF (Demokratische Kräfte Syriens) zusammen. Nun bahnt sich womöglich eine Kooperation mit Russland an.

Wie eng kooperieren die USA und Russland?

Die offene Frage ist, wie eng ein mögliches amerikanisch-russisches Bündnis ausgestaltet werden könnte. Curt Covi bezeichnet die vorsichtige Annäherung derzeit als marginal. Und: Ein möglicher strategischer Deal der beiden Staaten begünstige indirekt auch den Iran, der wie Russland das Assad-Regime unterstützt. "Das ist nicht im Interesse der Amerikaner" ist Covi sicher. "Ich erwarte da keine ausgedehntere Partnerschaft."

Nichtsdestotrotz wird von der neuen US-Regierung ein pragmatischeres und entschiedeneres Vorgehen als in der Vergangenheit erwartet: Der schnelle Sieg gegen den IS könnte vor politischen Erwägungen stehen. Das Treffen in Antalya wird als Anzeichen dafür gedeutet.

Was bedeutet die neue Gemengelage für Assad und seine Verbündeten? Der Präsident scheint aktuell so fest im Sattel zu sitzen wie lange nicht mehr. Von der Forderung nach einem Rückzug hatten sich die USA schon in der Vergangenheit verabschiedet.

"Aber ich wage zu bezweifeln, dass er in der Lage sein wird, ganz Syrien zurückzuerobern", sagt Curt Covi. Syrien, da ist der Politikwissenschaftler sicher, werde auf lange Sicht eine Art Flickenteppich bleiben – auch nach einem künftigen Friedensschluss.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.