Während die irakische Armee eine Offensive gegen den sogenannten Islamischen Staat startet, hat die Terrormiliz intern mit Problemen zu kämpfen. Welche das sind und ob IS-Terror bald der Vergangenheit angehört erklärt ein Nahost-Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.

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"Die Juden dachten, dass wir Palästina vergessen haben und sie uns ablenken konnten. Das ist nicht der Fall." Verbal hat der sogenannte Islamische Staat nichts von seiner Schlagkraft eingebüßt. Die Worte stammen von Abu Bakr al-Baghdadi, er gilt als die Nummer eins des IS, seine Anhänger nennen ihn einen Kalifen.

Ende letzten Jahres drohte er Israel mit Terror, Palästina werde "ein Grab" für Israelis, sagte er. "Unsere Bataillone kommen mit jedem Tag näher."

Drohgebärden als Zeichen der Schwäche

In der Vergangenheit waren derlei Drohgebärden aber vor allem ein Zeichen zunehmender Schwäche der Terrormiliz, die in Syrien und im Irak immer mehr Territorium einbüßt und mit weiteren, für sie gravierenden Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

So startete die irakische Armee am vergangenen Wochenende eine Offensive auf Mossul, eine der letzten Hochburgen des IS.

Holt die internationale Allianz nun zum entscheidenden Schlag aus? Oder ist der IS stärker - und damit gefährlicher - als gedacht?

"Entscheidende Etappe für Niedergang"

"Das wird eine entscheidende Etappe für den militärischen Niedergang des sogenannten Islamischen Staates", erklärt Dr. Udo Steinbach im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das syrische Kobane und weitere Städte im Irak sind gefallen, in Syrien haben wir den Vormarsch der türkischen Armee auf der einen und den der Kurden-Milizen auf der anderen Seite." Der Islamwissenschaftler verfolgte die Entwicklung des IS genau.

Für Steinbach ist der "IS auf der Verliererstraße", Mossul sei eine entscheidende Etappe. Die Frage sei, "wann das Ende des IS kommt", sagt der 73-Jährige. "Aber das hängt nicht vom IS ab, sondern von der Koalition, die gegen ihn antritt."

In dieser spielt neuerdings auch der neue US-Präsident Donald Trump eine Rolle, im Kampf gegen den IS sei der Republikaner aber eine Randfigur.

Die Amerikaner seien ein relativ überschaubares Engagement in Syrien eingegangen, schildert Steinbach. "Deswegen ist es für Trump auch nicht eine Entscheidung, die er irgendwie revidieren möchte."

Die Koalition sei viel zu vielschichtig, erklärt er: "Die Franzosen sind präsent, die Amerikaner sind präsent, wir Deutschen helfen bei der Ausbildung der Peschmerga. Auch die Briten sind präsent. Aber sie sind nicht kriegsentscheidend."

Wissenschaftler: Vermögen des IS schrumpft

Die Schlacht müsse dagegen am Ende von einer lokalen Koalition geschlagen werden. Und da kämen mehrere zusammen: "Die Türkei, die irakischen Truppen, die schiitischen Milizen und so weiter", nennt Steinbach Beispiele. Die entscheidende Frage sei, ob sich diese Allianz im Kampf gegen den IS halte oder sie wieder zerbröckeln werde.

Die Terrormiliz ist indes deutlich schwächer, als al-Baghdadi mit seinen Verbalattacken glauben machen will. Die finanziellen Ressourcen des IS seien laut Steinbach erheblich geschwächt.

Wissenschaftler des International Center for the Study of Radicalization (ICSR) und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young schätzen laut einer gemeinsamen Untersuchung, dass die Einnahmen seit 2014 um mehr als die Hälfte zurückgegangen seien.

IS rekrutiert weniger Kämpfer

Die Wissenschaftler erklären diesen Einbruch dem Bericht zufolge mit den großen Gebietsverlusten im Irak und in Syrien. 2014 nahm der IS demnach geschätzt noch umgerechnet bis zu 1,8 Milliarden Euro ein. 2016 waren es nur noch höchstens umgerechnet 815 Millionen Euro.

Die Terrormiliz erhebt in den eroberten Gebieten Gebühren und Steuern. Die Rechnung ist einfach: weniger Gebiete gleich geringere Einnahmen.

Auch das Rekrutierungspotenzial habe nachgelassen, erklärt Steinbach. "Der große Run in Richtung Rakka findet nicht mehr statt."

Mossul sei in diesem Kontext eine letzte Hochburg, in der sich der IS jedoch ebenfalls in der Defensive befinde. "Er setzt nicht mehr die Spielregeln. Im syrischen Rakka ist zwar noch die Zentrale, doch von der hört man nicht mehr viel", erzählt Steinbach. "Auch das Umland von Rakka ist weitgehend in der Hand der Gegner."

Und Israel? Sind die Drohungen gegen die Juden etwa leere Worthülsen? "Mit Israel als Angriffsziel will der IS seine Popularität steigern, denn bisher fehlt ihm die Unterstützung der Massen", sagte Aviv Oreg, Gründer der investigativen israelischen Beratungsfirma "Ceifit", die sich mit dem globalen Dschihad befasst, laut "Tagesspiegel".

Israels Präsident Reuven Rivlin warnte jüngst bei einer Konferenz des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, Analysen, Zeugenaussagen und Studien belegten, dass die Zustimmung zum IS unter arabischen Israelis steige. Einige Fanatiker aus Israel seien der Terrormiliz bereits beigetreten.

Mit dem Ende des IS wäre es nicht vorbei

Darüber hinaus sei die Frage, so Steinbach, was die Kämpfer des IS nach einer zu erwartenden Niederlage täten. "Die gehen ja nicht einfach in den Kaukasus, nach Jemen oder nach Berlin zurück, wo sie herkamen. Die organisieren sich anderweitig in der islamistischen Bewegung", schildert er. Wirtschaftlicher Fortschritt und politische Stabilität seien für die Region deswegen unerlässlich.

Der Islamwissenschaftler warnt: "Politische Stabilität ist aktuell weder in Damaskus noch in Bagdad vorhanden", sagt er. "Den radikalen Islamismus auszutrocknen wird ein langer Weg."

Der Islamwissenschaftler Dr. Udo Steinbach, Jahrgang 1943, leitete zwischen 1976 und 2007 das Deutsche Orient-Institut. Von 1971 bis 1975 war er zuvor Leiter des Nahostreferats bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). 2007 war er schließlich Gründungsdirektor des GIGA Instituts für Nahoststudien. Seither tritt Steinbach als Berater öffentlicher Einrichtungen und Experte verschiedener Medien in Erscheinung.
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