Weniger Plastik im Supermarkt, weniger Zucker in Lebensmitteln: Die Bundesregierung setzt bei diesen Themen auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie. Doch ob sie wirklich zum Ziel führen, ist umstritten.

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Tomaten in Folienhülle, Kaffee im Einwegbecher, Brot in der Kunststofftüte: Die Plastikflut in Supermärkten sei nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern nerve auch die Verbraucher, findet Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Die SPD-Politikerin will das Problem nun gemeinsam mit Herstellern und Märkten angehen – und greift damit zu einem beliebten Instrument der Politik: zur freiwilligen Selbstverpflichtung.

Zu verstehen ist darunter eine Vereinbarung zwischen Staat und Unternehmen. Die Akteure einigen sich auf bestimmte Ziele, ohne dass der Staat ein Gesetz erlassen oder Steuern erheben muss. "Die Erfahrung zeigt, dass wir durch Freiwilligkeit manchmal ehrgeizigere Ziele setzen und diese viel schneller erreichen können als durch Zwang", teilte die Ministerin mit.

Schnelles Handeln möglich

Ein Fan dieses Vorgehens ist auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Sie hat sich mit Herstellern darauf geeinigt, bis 2025 Zucker, Salz und Fette in Fertigprodukten zu verringern – ebenfalls auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung.

Für Politiker seien diese Vereinbarungen ein attraktives Instrument, erklärt Fritz Söllner, Professor für Volkswirtschaft an der Technischen Universität Illmenau, im Gespräch mit unserer Redaktion: "Kooperation hört sich immer gut an, auch bei den Wählern. Zudem lässt sich ein Problem relativ schnell angehen – schneller als das häufig im Gesetzgebungsprozess möglich ist."

Hinzu komme: "Wenn es nicht klappt, gibt es immer noch jemanden, auf den man die Schuld schieben kann: nämlich die Unternehmen, die die Selbstverpflichtung umsetzen sollten."

Zahl der Plastiktüten reduziert

2016 hat das Umweltministerium mit dem Einzelhandel bereits eine Selbstverpflichtung zur Reduzierung von Plastiktüten ausgehandelt. 2017 war die Zahl der herausgegeben Plastiktüten im Vergleich zu 2015 bereits von 5,6 auf 2,4 Milliarden pro Jahr gesunken - für die Befürworter ein Zeichen, dass dieser Weg funktioniert.

Die Deutsche Umwelthilfe dagegen kritisiert das Vorgehen. Die Zahl der Tüten sei immer noch zu hoch, die freiwillige Selbstverpflichtung "das schwächste umweltpolitische Instrument". Erstens würden nicht alle Unternehmen mitziehen.

Zweitens würden Sanktionen fehlen, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Auch in der aktuellen Diskussion kritisiert die Umwelthilfe das Umweltministerium: "Wirklich notwendig sind ambitionierte gesetzliche Regelungen, die viel wirksamer sind, als es freiwillige Selbstverpflichtungen je sein könnten", heißt es in einer Pressemitteilung.

Großbritannien setzt auf Zuckersteuer

Umstritten sind auch die Pläne der Landwirtschaftsministerin. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hält Selbstverpflichtungen für ein zu schwaches Mittel – und verweist auf Erfahrungen im Ausland. Als wirkungsvoller gelten Lebensmittelampeln oder ähnliche Darstellungen, auf denen Verbraucher leicht den Gehalt von Stoffen wie Zucker, Salz und Fett ablesen können.

Diese Ampeln ergeben aus Sicht von Foodwatch aber nur Sinn, wenn sie nicht von den Unternehmen selbst, sondern von unabhängigen Experten entwickelt werden. Großbritannien geht das Thema zudem mit einem finanziellen Instrument an: Dort hat eine Zuckersteuer dazu geführt, dass Getränkehersteller den Zuckergehalt in süßen Limonaden reduzierten.

Ihr Ansatz sei breiter, sagte Landwirtschaftsministerin Klöckner in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Auf die Frage, was passiere, wenn Unternehmen sich nicht an die Vorgaben hielten, wich sie allerdings aus. Die Umsetzung werde sehr genau untersucht, versprach Klöckner: 2020 soll es einen ersten Zwischenbericht geben.

Unterschiedliche Erfahrungen

Wie wirksam Selbstverpflichtungen sind, hängt vom Einzelfall ab. Ein positives Beispiel war in den 90er Jahren die Reduzierung der FCKW-Gase, die für den Abbau der Ozonschicht verantwortlich sind. Dazu war Deutschland zwar ohnehin durch internationale Verträge verpflichtet. Innerhalb des Landes entstand aber eine freiwillige Selbstverpflichtung, die über diese Ziele hinausging. Heute gilt die Reduzierung von FCKW als umweltpolitische Erfolgsgeschichte. Allerdings seien die Bedingungen besonders günstig gewesen, erklärt Volkswirt Fritz Söllner: "Es gab wenig Hersteller und gute Alternativen zu FCKW."

Ein ganz anderes Beispiel lieferten die Arbeitgeberverbände der Fleischwirtschaft. Sie sicherten 2015 zu, die Wohn- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Fleischindustrie zu verbessern. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ist der Meinung, dass diese Selbstverpflichtung gescheitert ist: Weil nur 23 Unternehmen den Kodex anerkennen, würde knapp die Hälfte der Beschäftigten der Branche gar nicht davon profitieren.

Aktuelle Diskussion um Menschenrechte

Fritz Söllner nennt Bedingungen für eine möglichst wirksame freiwillige Selbstverpflichtung: "Sie muss konkrete Ziele definieren. Danach müssen regelmäßige Überprüfungen stattfinden. Und schließlich muss es auch eine Alternative geben."

Das kann zum Beispiel die Drohung mit schärferen Maßnahmen sein. Aktuell diskutieren Union und SPD etwa darüber, ob die Bundesregierung deutsche Unternehmen per Gesetz verpflichten soll, bei Auslandsgeschäften die Menschenrechte zu achten. Firmen sollen dafür sorgen, dass auch Zulieferer aus anderen Staaten keine Kinder- oder Zwangsarbeit akzeptieren. Das zu garantieren, sei ein Ding der Unmöglichkeit, kritisieren Wirtschaftsvertreter. Deshalb gibt es bislang lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung, die aber nicht alle Unternehmen umsetzen.

Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil haben nun gedroht: Wenn sich im kommenden Jahr herausstellen sollte, dass sich weniger als 50 Prozent der größeren deutschen Unternehmen an Standards der nachhaltigen Lieferketten halten, soll ein Gesetz die Freiwilligkeit ablösen.

Verwendete Quellen:

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