Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz warnt davor, mit der AfD im Osten gemeinsame Sache zu machen. Im Interview mit unserer Redaktion sagt er, wie die Brandmauer halten kann – und ob die CDU dafür mit der Linken koalieren muss.

Ein Interview

Ruprecht Polenz ist so etwas wie das liberale Gewissen der CDU. Er saß 19 Jahre im Bundestag, war Angela Merkels erster Generalsekretär. Die Zeit in der aktiven Politik ist zwar vorbei, doch Polenz hat ein neues Betätigungsfeld: den Kurznachrichtendienst Twitter. Hier folgen ihm Zehntausende. Und hier teilt er immer wieder aus. Gegen rechte Tendenzen in der Gesellschaft – und in der eigenen Partei.

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Wir erreichen Polenz zum Interview in Frankreich, wo er gerade Urlaub macht. Die Verbindung per Zoom ist nicht die Beste, doch sie reicht aus, um zu spüren: Polenz ist empört. Vor allem, wenn es um das Thema geht, das zuletzt die Debatte in Deutschland bestimmt hat, den Umgang mit der AfD – befeuert vom eigenen Parteichef.

Herr Polenz, die CDU diskutiert über ihr Verhältnis zur AfD. Wie wohl fühlen Sie sich noch in Ihrer Partei?

Ruprecht Polenz: Ich fühle mich in der CDU wohl. Und ich glaube auch nicht, dass jemand bei uns mit der AfD zusammenarbeiten möchte. Auch nicht Friedrich Merz. Er verachtet diese Partei. Jeder sieht, wie sich die AfD im Bundestag benimmt, welche menschenverachtenden Parolen sie von sich gibt.

Es schien in letzter Zeit so, als hätte die selbst ausgerufene "Brandmauer gegen rechts" Risse bekommen.

Die Diskussion entzündete sich an der kommunalen Praxis, vor allem im Osten. Gerade in kleineren Gemeinden ist es so, dass man sich persönlich kennt, im gleichen Sportverein ist oder die Kinder gemeinsam eine Schulkasse besuchen. Warum also nicht auch zusammen im Parlament abstimmen?

Was ist Ihre Antwort?

Es darf keinerlei Zusammenarbeit geben. Denn auch der AfD-Vertreter, den man persönlich kennt, muss gefragt werden: Warum bist du mit Rechtsextremen wie Björn Höcke in einer Partei, die faschistisches Gedankengut verbreitet? Das wird nicht dadurch besser, dass man vor Ort im gleichen Fußballverein ist.

Ihr Parteichef sieht in der CDU die "Alternative für Deutschland mit Substanz". Geht er damit – nicht nur rhetorisch – schon sehr nah auf die AfD zu?

Das war eine nicht zu Ende gedachte Formulierung. Er wollte wohl zwei Dinge zusammenbringen. Einmal, dass die AfD substanzlos ist – was stimmt! Und dass die Unionsparteien die natürliche Alternative zur Regierung sind, weil sie konstruktive Vorschläge machen, Politik mit Substanz. Friedrich Merz hat zwei Gedanken in einen Satz gepackt und das ist schiefgegangen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Friedrich Merz unglücklich formuliert. In einem Interview hat er für einen pragmatischen Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene plädiert. So sei eben die Realität.

Die Realität kann auch falsch sein, zumindest von einem normativen Standpunkt aus betrachtet. Ein beliebtes Argument ist ja: Was sollen wir machen, wenn – wie im Landkreis Sonneberg – der Landrat von der AfD anruft, wenn der einen Kindergarten bauen will, den wir selbst für richtig halten. Sollen wir, die Demokraten, dann nicht auch zustimmen?

Und: Sollten sie das nicht?

Nein, natürlich nicht. Ich habe 20 Jahre Kommunalpolitik gemacht und kenne das Spiel zwischen Mehrheit und Minderheit im kommunalen Rat. Es gibt eine Praxis, die kann man gut finden oder nicht, aber sie lautet: Anträge der Opposition finden in der Regel keine Zustimmung. Und wenn man etwas daraus sinnvoll findet, kann man es später selbst als Antrag der Mehrheitsfraktionen einbringen. Das wäre auch für den Umgang mit der AfD eine Möglichkeit. Und was den so gern zitierten Bau eines Kindergartens angeht: Wenn der so wichtig ist, warum ist man selbst nicht auf die Idee gekommen, einen entsprechenden Antrag einzubringen? Da muss man sich auch mal an die eigene Nase fassen.

Etwas anders ist die Lage, wenn der Bürgermeister oder der Landrat von der AfD ist. Dann ist ignorieren schwer möglich.

Wenn ein Landrat zur Kreistagssitzung einlädt, geht man natürlich hin. Aber wenn er die Tagesordnung vorschlägt, kann man sie abändern. Vergessen wir bitte nicht: Der Kreistag ist praktisch der Vorgesetzte des Landrats. Genauso verhält es sich beim Bürgermeister mit dem Stadtparlament. Die Parlamentarier vergeben Aufträge an die Verwaltung, nicht andersherum.

Und wenn der Bürgermeister anruft: Im Zweifel nicht ans Telefon gehen?

Das verlangt doch keiner. Aber man muss sich klarmachen, dass die AfD eine faschistische Partei ist. Die meide ich, wo es geht! Und mit denen macht man nichts gemeinsam. Man darf auch nicht vergessen: In der Strategie der AfD ist die Kommunalpolitik zentral. Sie weiß, dass sie Partner braucht und hier bereitet sie den Boden für Bündnisse, die später auch auf Landes- oder Bundesebene erfolgen sollen. Ich kann nur sagen: Wehret den Anfängen!

In Ostdeutschland stehen im kommenden Jahr drei Landtagswahlen an. In zwei Landtagen könnte die AfD stärkste Kraft werden. Wie sollte die CDU darauf reagieren?

Keine Zusammenarbeit heißt: Keine Koalition mit der AfD und keine Minderheitsregierung, die von der AfD abhängt. Es heißt auch, keine Anträge mit der AfD zu stellen und keine einzubringen, die nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen.

Was ist, wenn ein Landesverband Ihrer Partei das anders sieht?

Es gibt den Beschluss des Bundesparteitags der CDU, der klar ist: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Wenn ein Landesverband dagegen verstößt, muss der Bundesvorstand handeln. Entweder, in dem er den Landesverband davon abbringt oder, wenn alles nichts hilft, darf es kein Tabu sein, die Mitgliedsrechte des Landesverbandes zu suspendieren. Nicht für immer, aber so lange, bis der Landesverband seinen Kurs geändert hat.

"Die größte Gefahr für unsere Demokratie geht vom organisierten Rechtsextremismus und der faschistischen AfD aus."

Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Generalsekretär

Keine Zusammenarbeit mit der AfD heißt dann aber: Im Zweifel mit der Linkspartei gemeinsame Sache machen?

Wir haben in Thüringen schon heute die Situation, dass AfD und Linkspartei mehr als die Hälfte der Parlamentssitze haben. Das ist besonders schwierig. In der Praxis ist es so, dass meine Partei die linke Minderheitsregierung arbeiten lässt, aber auch eigene Vorstellungen einbringt, sodass man Gesetzesvorlagen zustimmen kann. Man muss sich vor Ort strategisch überlegen, was man aus so einer Situation am besten macht. Manchmal hat man nur zwei Übel und wählt dann gefälligst das Kleinere.

Und das könnte auch eine Koalition mit der Linken sein?

Das muss es nicht heißen. Es hängt von den Mehrheitsverhältnissen ab. Eine nüchterne Analyse aber zeigt: Die größte Gefahr für unsere Demokratie geht vom organisierten Rechtsextremismus und der faschistischen AfD aus.

Zur Person: Ruprecht Polenz saß von 1994 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Dort war er zuletzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Der 77-jährige Polenz gilt als liberaler Vertreter seiner Partei. Polenz lebt in Münster, wo er bereits studiert hat und auch kommunalpolitisch aktiv war.
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