Nach dem Paukenschlag bei der Wahl zum Fraktionschef der Union fallen die Bewertungen unterschiedlich aus. Innerhalb von CDU/CSU gibt es Stimmen, die sogar eine Stärkung von Kanzlerin Angela Merkel erkennen wollen. Außerhalb der Union ist das Urteil in Politik und Medien indes ein anderes: Die Kanzlerin kassierte eine Niederlage, von der sie sich möglicherweise nicht mehr erholen wird.

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Nach seiner Wahl zum neuen Unionsfraktionschef bemühte sich Ralph Brinkhaus, den Schaden für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kleinzureden.

Zwischen ihm und seinem Vorgänger Volker Kauder - Merkels Favoriten - gebe es "keinen großen Unterschied", sagte er am Dienstagabend im "heute journal" des ZDF. "Deswegen ist das auch kein großes Drama."

Die Unionsfraktion hatte Kauder nach 13 Jahren im Amt gegen den Willen Merkels gestürzt. Brinkhaus gewann mit 125 zu 112 Stimmen überraschend die Kampfabstimmung, zwei Abgeordnete enthielten sich.

Mit Blick auf die Kanzlerin sagte Brinkhaus: "Ich habe den Willen, sie zu unterstützen, die Regierung stark zu machen." Er sehe Merkel nicht beschädigt: "Nein, überhaupt nicht." Es sei "total anständig, freundschaftlich und loyal", dass Merkel Kauder unterstützt habe.

Zur Forderung, sie solle nun die Vertrauensfrage stellen, sagte Brinkhaus, das sei "Blödsinn". FDP-Chef Christian Lindner hatte Merkel genau diesen Schritt nahegelegt.

Lindner: Merkel muss Vertrauensfrage stellen

"Eine instabile Regierung, die nur mit sich selbst streitet und keine Richtung vorgibt, hat das Land nicht verdient", sagte Lindner am Dienstag. "Deshalb empfehle ich Frau Merkel, die Vertrauensfrage zu stellen. Dadurch kann sie entweder die Stabilität wiederherstellen oder die Führung an andere abgeben. Andere Bundeskanzler vor ihr haben dieses Instrument auch genutzt."

Kritisch äußerte sich auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, der dem Koalitionspartner CDU/CSU die Regierungsfähigkeit abspricht. "Die Union ist nicht mehr regierungsfähig", sagte Özdemir der "Rheinischen Post". "Angela Merkel hat einmal mehr massiv an Autorität eingebüßt."

Ähnlich klingt auch die Einordnung der Wahlniederlage Merkels in den Medien. "Das Ende ihrer Zeit als Parteivorsitzende und Kanzlerin rückt näher", kommentiert etwa die "Märkische Oderzeitung" und die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" spricht von einem "Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin, von dem sie sich nicht mehr erholen dürfte".

Der "Kölner Stadtanzeiger" ist der Meinung, dass sowohl Seehofer als auch Merkel "den gesichtswahrenden Absprung verpasst haben. Die Attacken auf sie werden nicht mehr nachlassen".

Presse: "Kanzlerin wird noch einsamer werden"

Die "Freie Presse" aus Chemnitz warnt: "Die Erosion von Merkels Macht schreitet weiter voran. Merkel ist die zunehmend schwache Chefin einer weiterhin schwächelnden Regierung. Der Herbst ihrer Kanzlerschaft ist gekommen."

Die "Stuttgarter Nachrichten" sehen indessen noch eine politische Überlebenschance für die Kanzlerin: "Kauders Klatsche sollte sie treffen, wenn auch nicht ins Mark. Ist Merkel klug, sendet sie deshalb schnell ein neues Signal in die murrende Fraktion. Und das kann nur heißen: Ich habe verstanden."

Merkel müsse sich nun selbst fragen, wie groß ihr Rückhalt in den eigenen Reihen überhaupt noch ist, meint die "Schwäbische Zeitung" aus Ravensburg. "Die Kanzlerin wird in der nächsten Zeit noch einsamer werden. Die Hürden für eine Vertrauensfrage sind hoch. Doch Merkel kann nicht nur, sie muss daran zweifeln, dass sie noch den Rückhalt ihrer Fraktion hat."

Innerhalb der Union will man hingegen von einer heraufziehenden Kanzlerinnen-Dämmerung nichts wissen, im Gegenteil.

Armin Schuster siegt Merkel gestärkt

CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sieht Merkel durch die Wachablösung an der Spitze der Unionsfraktion eher gestärkt als geschwächt, wie er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte.

Die Kanzlerin habe jetzt die Chance, "diese Zeit der Wachablösung, des Übergangs in die Zukunft" aktiv zu moderieren, zu managen. Die CDU/CSU müsse 2020 eine hervorragende Aufstellung haben für das Wahlkampfjahr 2021.

Der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" sagte Schuster: "Ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie uns beim Parteitag sagt, wie sie den Übergang bis 2020 hin zu einem neuen Kanzlerkandidaten managen will." Der CDU-Bundesparteitag findet im Dezember in Hamburg statt.

Für den Politologen Oskar Niedermayer ist die Abwahl Kauders hingegen ebenfalls ein "Misstrauensvotum" gegen Merkel und ein "weiteres Zeichen der Erosion ihrer Machtbasis", wie er der "Heilbronner Stimme" sagte.

Die Fraktion sende die klare Botschaft, dass sie sich künftig eigenständiger profilieren wolle. Die Regierungsgeschäfte würden nun noch schwieriger werden als ohnehin schon.

Politologe Jürgen Falter wertet die Abwahl Volker Kauders als Ausdruck einer tief sitzenden Unzufriedenheit in der Unionsfraktion.

"Es ist ja auch für eine Regierungsfraktion auf Dauer geradezu frustrierend, immer nur der Vollziehungsgehilfe des Bundeskanzleramtes und einer übermächtigen Parteivorsitzenden zu sein", sagte er der "Heilbronner Stimme". "Das dürfte schon ein wenig Merkel-Dämmerung sein, was wir hier bemerken."

Zusammenhalt der Gesellschaft - aber auch der Union

Wahlsieger und neuer Fraktionschef Ralph Brinkhaus scheint die Diskussionen über Merkels Zukunft mit dem Hinweis auf politische Baustellen ersticken zu wollen: "Wir haben uns im Koalitionsvertrag viel vorgenommen und das wollen wir gerne auch abarbeiten. Wir wollen auch liefern", sagte der im ZDF.

Großes Thema sei der Zusammenhalt der Gesellschaft. "Da ist in den letzten drei Jahren sehr, sehr viel kaputtgegangen und dementsprechend müssen wir wieder in den Dialog kommen mit den Menschen, die wir als Protestwählerinnen und -wähler verloren haben."

Nach der unionsinternen Palastrevolution sieht CDU-Bundesvize Armin Laschet Brinkhaus nun zuallerest in der Pflicht, sich vor allem um den Zusammenhalt von CDU und CSU kümmern. "Wichtig wird sein, CDU und CSU zusammenzuhalten in schwierigen Zeiten."

Diesen wird zweifellos nach dem gestrigen Misstrauensvotum nun auch die Kanzlerin entgegenblicken. (mwo/dpa)

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