Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts trifft die Ampel mit voller Wucht: Jetzt hat das Finanzministerium Haushaltsmittel gesperrt. Die Etatplanung der Koalition steht auf dem Spiel. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die Eilmeldung kam am späten Montagabend. Das Bundesfinanzministerium hat zahlreiche Posten im Bundeshaushalt gesperrt. Betroffen sind alle Ministerien: Es gibt für sie kein neues Geld mehr. Von der Sperre ausgenommen sind bestehende Verbindlichkeiten, diese werden weiter eingehalten; es dürfen nur keine neuen eingegangen werden. Am Dienstag dann der nächste Paukenschlag: Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) wurde durch das Finanzministerium gesperrt.

Hintergrund ist das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus der vergangenen Woche, das die Umwandlung von Corona-Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärte. Die Koalition wollte die Mittel über einen Nebenhaushalt für Klimaschutz und den Umbau der Wirtschaft nutzen, was die Karlsruher Richter als unzulässig einstuften. Nun klafft ein Loch im Etat – und die Ampel steuert auf den nächsten Konflikt zu. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Warum hat das Finanzministerium eine Sperre verhängt?

Vereinfacht gesagt: Es ist unklar, welche Gelder in den kommenden Jahren überhaupt fließen können. Denn: Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil stehen nun alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Es handelt sich also um eine vorsorgliche Entscheidung des Bundesfinanzministeriums (BMF). "Das BMF stoppt die Verpflichtungsermächtigungen in 2023, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden", hieß es am Montagabend aus Kreisen des Ministeriums.

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Handelt es sich um eine Ausgabensperre?

Aktuelle Ausgaben in diesem Jahr sind von dem Schritt nicht betroffen. Nach Angaben des Finanzministeriums handelt es sich daher auch nicht um eine Ausgabensperre. Es sei vielmehr eine Sperre von Verpflichtungen für die kommenden Jahre. Wenn man so will, hält die Politik inne: Fest zugesagte Zahlungen des Bundes in diesem Jahr fließen weiter. Alles, was darüber hinaus geht, steht unter Vorbehalt. Jede neue Ausgabe müsste demnach individuell genehmigt werden.

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Was hat das Bundesverfassungsgericht zuvor entschieden?

Es war ein Urteil mit weitreichenden Folgen: Das Bundesverfassungsgericht hat es der Politik untersagt, Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro – ursprünglich für die Bewältigung der Corona-Krise vorgesehen – einfach umzuwandeln und sie für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft auszugeben. Damit fehlen die Mittel dem dafür bestimmten Klima- und Transformationsfonds (KTF), einem Nebenhaushalt. Der hat den großen Vorteil, dass er – anders als der Bundeshaushalt – nicht den strengen Regeln der Schuldenbremse unterliegt und damit Spielraum für Investitionen lässt.

Nachdem die Union geklagt hatte, hat das Bundesverfassungsgericht dem einen Riegel vorgeschoben, der Bund dürfe die Ausnahmeregelungen der Schuldenbremse nicht ausnutzen, um Kredite auf Vorrat anzuhäufen, heißt es unter anderem in der Begründung der Richter. Heißt also: Ausgaben müssen dann verbucht werden, wenn sie anfallen.

Die Ampel hatte die 60 Milliarden bei der Berechnung der Staatsschulden im Jahr 2021 verbucht. Das ist wichtig, denn: Wegen der Pandemie war die Schuldenbremse ohnehin ausgesetzt, es konnten also mehr Kredite aufgenommen werden. Das Geld aber sollte erst in den nächsten Jahren ausgegeben werden. Der buchhalterische Kniff hatte den Vorteil, dass FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner in den Jahren 2023 und 2024 wieder die Einhaltung der Schuldenbremse verkünden konnte – obwohl das Geld auf Pump erst jetzt ausgegeben werden sollte.

Was war mit den 60 Milliarden Euro geplant?

Die Kredite sollten, über mehrere Jahre gestreckt, in Klimaschutzprojekte und Wirtschaftsförderung fließen. Dazu gehören Maßnahmen für eine bessere Energieeffizienz von Gebäuden, das Abfedern der steigenden Kosten für Sprit und Heizen durch die CO2-Bepreisung ebenso wie industriepolitische Projekte wie etwa die Förderung der Intel-Fabrik in Magdeburg. Zudem waren Mittel für den Ausbau der Bahn, die Infrastruktur für E-Autos und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien vorgesehen. Ein Großteil davon fällt in den Verantwortungsbereich von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Nun ist unklar, wie die Koalition die Projekte finanzieren kann.

Was passiert mit anderen Sondervermögen – etwa dem für die Bundeswehr?

Die 100 Milliarden Euro für die Modernisierung der Truppe sollten abgesichert sein. Der Bundestag hat den Krediten, auch mit den Stimmen der Union, zugestimmt. In der Verfassung wurde explizit festgeschrieben, wofür das Geld genutzt wird und dass hier die Schuldenbremse nicht greift. Darauf hatte vor allem die FDP gepocht, um die Mittel abzusichern.

Anders sieht es beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aus. Auch der wurde mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. So bewilligte der Bund im Jahr 2022 Mittel in Höhe von 200 Milliarden Euro, um die hohen Strom-, Gas- und Fernwärmepreise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine abzufedern. Das ging auch hier, weil die Schuldenbremse nach Corona und Krieg noch ausgesetzt war. Und auch hier sollte das Geld nicht sofort, sondern erst 2023 und 2024 genutzt werden. Eine offenkundige Parallele zu den Mitteln aus dem Klimafonds.

Wirtschaftsminister Habeck fürchtet nun, dass auch der WSF wackelt. Und so kam es am Dienstag auch. Das Bundesfinanzministerium hat auch des WSF gesperrt.

Wie geht es weiter?

Am 21. November findet im Bundestag eine Expertenanhörung statt. Sie soll Parlament und Regierung helfen, die Folgen des Karlsruher Haushaltsurteils richtig zu interpretieren. Und die Frage zu beantworten: Kann der (reguläre) Haushalt fürs Jahr 2024 überhaupt beschlossen werden? Die Zeit drängt, denn am Donnerstag soll der Etat stehen und in der nächsten Woche der Bundeshaushalt 2024 verabschiedet werden. Aber noch ist unklar, welche Gelder womöglich wegfallen, wie sie kompensiert werden und was mit bereits ausgezahlten Mitteln – etwas in Form der Energiepreisbremsen – passiert. Die Union fordert daher, alle Beratungen für den Bundeshaushalt zu stoppen. "Die Ampel hat ihre Finanzen nicht im Griff", sagte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn der "Bild"-Zeitung.

Wackelt nun die Schuldenbremse?

Die Koalition steuert auf ihren nächsten Konflikt zu: Wie umgehen mit dem 60-Milliarden-Loch? Finanzminister Christian Lindner, der den Bundeshaushalt zu verantworten hat, kommentierte das Urteil aus Karlsruhe so: Es sei auch eine Chance, die Wirtschaft ohne Subventionen umzubauen. Bei SPD und Grünen sieht man das anders. Das sehr unterschiedliche Verständnis in der Finanzpolitik ist einer der Grundkonflikte der Ampel. Für die Liberalen ist die Schuldenbremse unantastbar.

Sie ist in der Verfassung verankert und besagt: Grundsätzlich müssen die Haushalte von Bund und Ländern ohne neue Schulden ausgeglichen werden. Die Nettokreditaufnahme darf lediglich bei 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts liegen. Es gibt zwar Ausnahmen im konjunkturellen Abschwung und in Krisen wie Corona. Grundsätzlich aber ist das Regelwerk recht starr. Für die FDP ist es ein Kernanliegen in der Ampel, dass es kein Aufweichen gibt.

Mit dieser Position steht sie aber zunehmend alleine da. Auch angesehene Ökonomen schütteln über den deutschen Sonderweg beim Schuldenmachen den Kopf.

Der Druck auf die FDP dürfte zunehmen: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirbt dafür, die Schuldenbremse erneut auszusetzen. "Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregelung zu ziehen – womöglich auch länger", sagte er dem Stern. Ähnlich hatte sich zuvor auch SPD-Chefin Saskia Esken geäußert.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in den ARD-Tagesthemen klargemacht, dass er die Schuldenbremse – so, wie sie ist – für nicht mehr zeitgemäß hält. Aber: Es gebe aktuell keine Mehrheit für eine Reform. Daher werde die Regierung das Geld für die Gegenwart "anders finden müssen", sagte er.

Das "Wie" wird die Berliner Politik in den nächsten Tagen intensiv beschäftigen. (Mit Material der dpa)

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