Ein Kanzler oder Kanzlerin in Quarantäne. So etwas hat es nie zuvor gegeben. Wer übernimmt, wenn Angela Merkel ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen kann? Eine einfache Fragestellung - mit komplizierter Antwort, denn einen Stellvertreter kennt die Verfassung nicht.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Vorerst gibt es Entwarnung. Zwar befindet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin wegen des Kontakts zu einem Corona-Infizierten in Quarantäne. Doch beim ersten Test ist keine Infektion festgestellt worden, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. "Weitere Tests werden in den nächsten Tagen durchgeführt."

In normalen Zeiten sind Meldungen zum Gesundheitszustand von Politikern ungewöhnlich, genießen sie doch ein vergleichbar hohes Maß an Privatsphäre. Doch in der Corona-Krise ist alles anders.

Angesichts zahlreicher prominenter SARS-CoV-2-Fälle wie Alexander Graf Lambsdorff, Cem Özdemir oder Friedrich Merz und in einer Zeit, in der Gesundheit politisch wie nie zuvor ist, fragen sich viele, ob die Kanzlerin ihren Geschäften wie gewohnt nachgehen kann.

Aufgrund der Quarantäne arbeitet Merkel gezwungenermaßen im Homeoffice. Als etwa das Kabinett am Montag ein beispielloses Corona-Hilfspaket beschloss, schaltete sie sich per Telefon dazu. Aber was würde passieren, wenn die Regierungschefin tatsächlich länger ausfiele?

Trotz historischer Unfälle - die Regierungsspitze reist gemeinsam

Technisch gesehen passiert dies mehrmals im Jahr. Beispielsweise immer dann, wenn Merkel in den Urlaub fährt. Sie bestimmt dann einen Stellvertreter, der sie im Kabinett vertritt, also kommissarisch die Geschäfte der Bundesregierung führt. "Ist der Bundeskanzler an der Wahrnehmung seiner Geschäfte allgemein verhindert, so vertritt ihn der (…) zu seinem Stellvertreter ernannte Bundesminister", steht im achten Paragraphen der Geschäftsordnung der Bundesregierung.

Aktuell hat Merkel ihren Finanzminister Olaf Scholz bestimmt. Der SPD-Politiker wird auch am Mittwoch für sie im Bundestag in der Befragung der Bundesregierung reden. Merkel wird die Debatte sicherlich von zu Hause aus verfolgen.

Aber selbst im Urlaub ist die Kanzlerin nicht ganz außer Dienst. Stets hält sie Kontakt zu ihren engsten Mitarbeitern, um wichtige Entscheidungen auch außerhalb von Berlin fällen zu können - zur Not eben per Telefon. Zudem gilt die Kanzlerin als Fan von SMS.

Kanzlerin und Stellvertreter reisen gemeinsam - trotz des Risikos

Gelegentlich reisen die Kanzlerin und ihr Stellvertreter gemeinsam. Daran hat sich auch nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk wenig geändert. 2010 kamen Polens Staatspräsident Lech Kaczyński und zahlreiche polnische Regierungsmitglieder ums Leben, weil sie bei einem Flugzeugabsturz in derselben Maschine saßen.

Dass eine solche Reiserichtline Gefahren birgt, mussten auch die Kanzlerin und ihr Stellvertreter feststellen. Ein Regierungsairbus, der Merkel und Scholz 2018 gemeinsam nach Buenos Aires bringen sollte, musste wegen eines schweren technischen Defekts zwischenlanden.

Was also, wenn die komplette Regierungsspitze ausfällt? Auch hier gibt die Geschäftsordnung Antwort: Der "Bundesminister, der am längsten ununterbrochen der Bundesregierung angehört" würde die Kabinettsitzungen leiten. Aktuell wäre das Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Niemals aber - selbst wenn das gesamte Kabinett ausfiele - dürfte der Bundespräsident die Regierung leiten. Die Gewaltenteilung, die im Grundgesetz festgeschrieben ist, verhindert das. Selbiges gilt natürlich auch für die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat. Eine wichtige Rolle käme dem Staatsoberhaupt dennoch zu.

Merkel-Ausfall: Der "Vizekanzler" - klingt gut, gibt es aber nicht

Denn einen "Vizekanzler" nach US-Vorbild gibt es in Deutschland nicht - die Bezeichnung ist nicht mehr als ein schöner Titel, ein Trostpreis für den kleineren Koalitionspartner. Wenn der Regierungschef stirbt oder zurücktritt, verlieren auch seine Stellvertreter und alle Bundesminister ihre Aufgaben. Die Verfassung kennt keine kanzlerlose Zeit.

Sollte Merkel also dauerhaft ausfallen, müsste der Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin wählen. Bis zur Wahl könnte der Bundespräsident einen geschäftsführenden Kanzler bestimmen.

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Doppel-Krise sowohl angesichts des Coronavirus als auch der Führungsfrage in der CDU eine alles andere als einfache Aufgabe. (Aktualisiert von mf)

Hinweis: Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Inhalt aus unserem Archiv, den wir aus aktuellem Anlass neu aufbereitet haben.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.