Die Flucht Hunderttausender nach Europa wird über Jahre hinaus die politische Debatte mitbestimmen. In Budapest demonstrierten heute Flüchtlinge, deren einziges Ziel es ist, weiter in den Westen reisen zu dürfen - in München kommen täglich Hunderte Menschen an. In der Flüchtlingsdebatte werden Begriffe häufig inflationär gebraucht, nicht selten in Unkenntnis. Wer gilt als Flüchtling? Wer nicht? Und welche Migranten dürfen auf Asyl hoffen? Antworten auf Fragen der aktuellen Diskussion.

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Flüchtling. Kein anderer Begriff polarisiert in Deutschland aktuell mehr. In den politischen Eliten und quer durch alle Bevölkerungsschichten wird eifrig diskutiert. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) spricht von 800.000 Zuwanderern in diesem Jahr, die Ministerpräsidenten von Hessen und Brandenburg, Volker Bouffier (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), meinen, dass bis Jahresende bis zu eine Million Menschen nach Deutschland kommen könnten.

Doch wer hat bis zu den angekündigten Gesetzesänderungen Anspruch auf Asyl? Wer nicht? Wer gilt als sogenannter Wirtschaftsflüchtling - und warum?

Wer hat Recht auf Asyl?

Vereinfacht gesagt sind Asylbewerber Menschen, die Schutz vor politischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung suchen. Im Grundgesetz, der deutschen Verfassung, ist in Artikel 16a festgeschrieben, wann politisch Verfolgte Asyl in der Bundesrepublik erhalten. Und zwar dann, wenn sie nicht aus der EU oder einem als sicher betrachteten Drittstaat kommen und zuvor nicht schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben (Dublin-Verordnung). Im sogenannten Asylantragsverfahren muss ein Zuwanderer nachweisen, dass er tatsächlich verfolgt wird.

Gibt es einen Unterschied zwischen Asylwerber und Flüchtling?

Den gibt es, ja. Menschen, die behaupten, verfolgt zu werden, dürfen einen Asylantrag stellen. In diesem wird geprüft, ob die Person als verfolgt oder als nicht verfolgt eingestuft wird. Erstere gelten als Flüchtlinge - und bekommen in der Regel Asyl. Es gibt Ausnahmen: Wenn ein Asylbewerber zum Beispiel schon mal in Deutschland war und eine oder mehrere Straftaten beging. Vorsicht: Dabei handelt es sich um Einzelfälle. Viele Asylbewerber versuchen, in den Status der sogenannten Duldung zu kommen. Ihre Aufenthaltserlaubnis wird regelmäßig geprüft, nach sieben Jahren haben sie dann das Recht, in einem anspruchsvollen Verfahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen.

Einem Laien erscheint das Ganze als einziges Wirrwarr. Nicht zu Unrecht. Es gibt bisher mehr als 50 verschiedene Aufenthaltstitel. Diese sind auch noch in verschiedenen Gesetzen geregelt. Deshalb plant die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD ein einheitliches Einwanderungsgesetz. Die Positionen liegen teils weit auseinander. Die Sozialdemokraten verweisen etwa auf ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas und fordern, dass hochqualifizierte Einwanderer leichter und schneller an eine Arbeitserlaubnis kommen.

Was sind Wirtschaftsflüchtlinge?

Rassisten, die Pegida-Bewegung, besorgte Bürger, die nicht per se fremdenfeindlich sind, und viele Politiker gebrauchen diesen Begriff. Jemand, der sein Land aus wirtschaftlichen Gründen verlässt und illegal in ein anderes immigriert, wird als Wirtschaftsflüchtling bezeichnet. Die Politik nennt Migranten so, die Asyl beantragen, jedoch keines der dazu erforderlichen Kriterien erfüllen. Sie meinte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), als sie sagte: "Damit wir denen, die in Not sind, helfen können, müssen wir auch denen, die nicht in Not sind, sagen, dass sie bei uns nicht bleiben können." Kritiker argumentieren dagegen, dass auch ökonomische Flucht ein Recht auf Asyl nach sich ziehen müsse.

"Wirtschaftsflüchtlinge" kommen vor allem vom Westbalkan, aus Republiken des ehemaligen Jugoslawien, die bis auf Kroatien nicht in der Europäischen Union (EU) sind. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellten in der ersten Jahreshälfte 78.000 Menschen aus Serbien, Albanien, Mazedonien und dem Kosovo einen Asylantrag. Es sind meist junge Männer und Frauen, die in ihrer Heimat keine Perspektive sehen. Dass sie in der EU teils für drei Monate ein Reisevisum beantragen dürfen, macht ihnen Mut. Doch sie haben ein Problem: Sie kommen aus "sicheren Herkunftsländern".

Was sind sogenannte sichere Herkunftsländer?

Zuallererst für EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, sich gegen zu viel Zuwanderung "abzusichern". Sicherer Herkunftsstaat ist im deutschen und österreichischen Asylrecht sowie dem europäischen Sekundärrecht festgeschrieben. In Deutschland ist Artikel 16a GG Absatz 3 maßgebend. Bundestag und Bundesrat bestimmen demnach Staaten, in denen "gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet". Das deutsche Parlament kam zum Schluss, dass dies auf die Westbalkan-Staaten zutrifft.

Furcht vor Krieg oder Aussicht auf Wohlstand - was ist meistens die Motivation?

Ein Überblick ist schwierig, weil die Behörden kaum mit der Registrierung nachkommen. Ein Blick auf Zahlen hilft, die der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) vorlegte. Demnach flüchten die meisten Menschen weltweit aus Ländern, in denen es kriegerische Auseinandersetzungen und/oder offensichtlich religiöse Verfolgung gibt.

Stand August waren dies geschätzt 3,88 Millionen Menschen aus Syrien, 2,59 Millionen Menschen aus Afghanistan, 1,1 Millionen Menschen aus Somalia, 1,27 Millionen Menschen aus dem Sudan und Südsudan sowie etwas mehr als eine halbe Millionen Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo. Vor allem Syrer zieht es bei der Suche nach einer besseren Zukunft nach Deutschland. Meist sind sie es, die seit Ende August über Ungarn und Österreich am Münchner Hauptbahnhof ankommen.78.000 Asylanträge aus den Westbalkan-Staaten sind vergleichsweise wenig.

Die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, sind offensichtlich deutlich in der Überzahl.

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