Die USA und die EU bestrafen Russland für sein Verhalten im Ukraine-Konflikt. Doch sie spielen damit auch Wladimir Putin in die Hände: Der Kremlchef weiß die Unterstützung der russischen Bevölkerung hinter sich. Experten warnen deswegen vor einer völligen Isolation Russlands und seines Präsidenten.

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Das war deutlich: Beim Gruppenfoto des G20-Gipfels in Brisbane wurde Russlands Präsident Wladimir Putin auf eine Außenseiterposition ganz an den Rand verbannt. Die Botschaft: Du und dein Verhalten sind hier nicht erwünscht. Auch beim Mittagessen musste der Kreml-Chef alleine sitzen.

Die Bilder, die Putin als Buhmann darstellen, rufen aber auch immer mehr Widerspruch hervor. Der SPD-Politiker Matthias Platzeck, der auch Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums ist, kritisiert in einem Interview mit dem Deutschlandfunk die von der USA und der EU verhängten Wirtschaftssanktionen und die Isolationspolitik der internationalen Gemeinschaft gegen Moskau. "Wir haben Russland nicht ernst genommen in seiner Einkreisungsangst", meint er.

Diese Ansicht teilt auch Nato-Experte Ulrich Kühn vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. "Man darf nicht vergessen: Russland wurde in der jüngeren Vergangenheit von äußeren Mächten mehrfach überfallen", erinnert er. Die Nato hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges bis in den postsowjetischen Raum ausgedehnt, ohne Russland mit einzubeziehen.

"Wir machen es Putin leicht"

Für Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist eine tatsächliche militärische Bedrohung der Nato für Russland "absurd". Dennoch bietet es dem Kreml eine willkommene Plattform: "Das Bedrohungsgefühl wird von der russischen Führung übertrieben und instrumentalisiert, um Unterstützung in der Bevölkerung zu erhalten", führt Meister aus.

Die Ausgrenzung des Kremlchefs fördert zudem die Popularität des Präsidenten in Russland. "Wir machen es Putin leicht. Er kann sich zu Hause präsentieren als ein von der internationalen Gemeinschaft Ausgestoßener", sagt Sicherheitsexperte Kühn. "Je mehr man Putin ausschließt, desto mehr kann er sich innenpolitisch präsentieren als derjenige, der das russische Volk beschützt."

Die Sanktionen würden seiner Meinung nach auch langfristig nicht zu einem Umdenken in der Bevölkerung führen: "Das russische Volk ist auch durch die sowjetische Planwirtschaft gewohnt, mit Notsituationen umzugehen. Es ist sehr leidensfähig und kann Sanktionen sehr lange aushalten."

Für Osteuropa-Experte Meister dienen die Sanktionen allein der Glaubwürdigkeit des Westens: "Da wir kaum andere Instrumente in der Europäischen Union haben, um auf die russische Aggression in der Ukraine zu reagieren, benutzen wir eben die Wirtschaftssanktionen." Eine positive Strategie für die einfache Bevölkerung, zum Beispiel Visaerleichterungen, bei gleichzeitigen Sanktionen gegen die korrupte Elite könnte nach seiner Einschätzung mehr bringen.

"Der Westen muss Putin eine Brücke bauen"

Wie könnte ein Ausweg aus diesem Dilemma aussehen? "Der Westen hat die Aufgabe, Putin eine Brücke zu bauen. Gerade weil wir auf der Seite des Völkerrechts stehen und eine positive Agenda haben", glaubt Nato-Experte Kühn. Er schlägt eine große Konferenz zum Thema Europäische Sicherheit vor, bei der sich die Nato, Russland und die Länder wie die Ukraine oder Georgien, die nicht in einem Bündnis sind, an einen Tisch setzen.

Auch Meister hält eine weitere Ausgrenzung des russischen Präsidenten nicht für sinnvoll, auch wenn dieser bisher noch keine Kompromissbereitschaft gezeigt hat. "Am Ende muss man mit ihm reden, man kann ihn nicht komplett isolieren", sagt der Osteuropa-Experte. "Die Ukraine-Krise ist ja nur ein Symptom. Russland will zwar seinen Einfluss über den postsowjetischen Raum behalten, aber auch eine Anerkennung auf Augenhöhe. Wir müssen einen Schritt zurückgehen und einen Blick auf die größeren Dinge wagen."

Dr. Stefan Meister ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik tätig sowie Programmleiter für Osteuropa und Zentralasien am Robert-Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien. Der Politikwissenschaftler war mehrfach als Wahlbeobachter für die OSZE im Einsatz.
Ulrich Kühn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Die NATO-Russland-Kooperation ist eine seiner Forschungsschwerpunkte.
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