Zu einem Krieg mit Kiew wird es nicht kommen, sagt Russlands Präsident Wladimir Putin. Eine Eskalation scheint derzeit schlicht nicht mehr nötig: Die Krim ist russisch, der Osten der Ukraine wohl bald auch. Putin hat sich durchgesetzt – aber er muss dafür einen zu hohen Preis zahlen, meint Russland-Experte Gerhard Mangott. Andere rechnen damit, dass Putin noch mehr will.

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Was Wladimir Putin sagt, klingt wie ein Versprechen auf Frieden in der Ost-Ukraine: "Wenn das Minsker Abkommen erfüllt wird, dann bin ich überzeugt, dass die Situation sich schrittweise normalisiert", sagte der russische Präsident in einem Fernseh-Interview.

Ein "apokalyptisches Szenario", also ein Krieg mit der Ukraine, sei kaum möglich. Er hoffe, dass es dazu nicht kommt. Das muss es auch nicht – schließlich ist Putin schon jetzt der Sieger im Ukraine-Konflikt. Doch ein genauer Blick auf die Ziele und die Erfolge Putins zeigen: Die Kosten sind hoch. Vielleicht zu hoch.


Innenpolitik

Putins angebliche Schwäche ist seine neue Stärke: Der Ölpreis fällt, die Sanktionen treffen die russische Wirtschaft hart, die Industrie ist im Januar so stark geschrumpft wie seit 2009 nicht mehr – Moskau schlittert gerade in eine handfeste Rezession. Die Bürger merken das im Supermarkt: Die Preissteigerung hat im Januar den höchsten Stand seit 1999 erreicht.

Was in anderen Ländern für Unmut mit der Regierung sorgen würde, scheint Präsident Wladimir Putin nichts anzuhaben. Seine Beliebtheitswerte steigen – und zwar seit dem Ausbruch der Krim-Krise vor rund einem Jahr.

Wie eine Grafik des Forschungsinstituts Lewada zeigt, stimmten damals 65 Prozent der Befragten der Politik Putins zu. Heute sind es 85 Prozent. Für Russland-Experte Gerhard Mangott ist das allerdings nur ein "willkommener Nebeneffekt" der Außenpolitik. Der Politik-Professor von der Universität Innsbruck verwahrt sich gegen die These, Putin wolle sich mit seiner Außenpolitik im Volk beliebt machen. Stattdessen gehe es um handfeste Interessen Russlands.

Außenpolitik

Die Sicherung der Ukraine: Einen wichtigen Sieg hat Putin in der Ukraine schon jetzt davongetragen, meint Russland-Experte Mangott: "Die Westbindung der Ukraine in institutionalisierter Form steht in absehbarer Zeit nicht auf der Tagesordnung." Eine Mitgliedschaft des Nachbarlandes in der Europäischen Union oder in der Nato ist undenkbar. Genau das wollte Russland erreichen. Allerdings kostet das eine mögliche Partnerschaft mit Kiew: "Wegen der Politik Russlands wird es immer eine westorientierte Mehrheit im Parlament geben", sagt Politik-Professor Mangott.

Permanenter Druck auf Kiew: Nähert sich die Ukraine zu sehr der EU oder der Nato an, kann Putin immer einen Trumpf zücken, meint Mangott. "Der Konflikt in der Ost-Ukraine wird schwelend gehalten, je nach Bedarf kann er wieder erhitzt werden." Dazu dürfen aus Moskauer Sicht allerdings zwei Bestandteile des Minsker Friedensabkommens nicht greifen. Weder dürfte Kiew die Grenzkontrollen nach Russland regeln, noch dürften die prorussischen Separatisten entwaffnet werden.

Eine neue Rolle in der Weltpolitik: In den USA wird wieder zur Rhetorik des Kalten Krieges gegriffen, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reist auf Friedensmission ins russische Einflussgebiet, um in Minsk einen Frieden zu verhandeln. Ersteht unter Putin die Supermacht Russland wieder auf? Mächtiger jedenfalls ist Russland nicht geworden, meint Mangott. Die aggressive Außenpolitik habe Moskau allerdings wieder in den Mittelpunkt der geopolitischen Überlegungen des Westens gerückt. Nur hat diese neue Relevanz eine gewaltige Schattenseite: "Russland wird geächtet und isoliert."

Dazu kommen die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen, die zusammen mit dem fallenden Ölpreis die russische Wirtschaft zumindest mittelfristig in arge Schwierigkeiten bringen könnten. Schon jetzt liegt die Inflation bei 17 Prozent, die Wirtschaftsleistung wird um drei bis vier Punkte schrumpfen. Wie lange kann Putin seinen Sieg um so einen hohen Preis halten? "Russland kann das aushalten, aber nicht länger als zwei bis drei Jahre", vermutet Politik-Professor Mangott. "Ich persönlich finde, dass die Kosten von Putins Außenpolitik den Nutzen übersteigen", sagt er. Und zieht ein nachdenkliches Fazit: "Man sollte über die Rationalität der russischen Außenpolitik neu nachdenken."

Wann der Konflikt um die Ost-Ukraine tatsächlich endet, ist auch nach Minsk 2 noch fraglich. Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hat jüngst einen Aufsatz mit dem Titel "Warum Minsk 2 nicht funktionieren wird" veröffentlicht. Seine These: Putin will noch mehr, als er bislang erreicht hat – eine Anerkennung der neuen Demarkationslinie, einen einseitigen Waffenstillstand sowie eine Dezentralisierung des ukrainischen Staates mit weitgehender Autonomie der Separatistengebiete. Die Ukraine als eine Art Pufferstaat also, auf den Moskau nach Belieben Einfluss nehmen kann. Hat Meister Recht, könnte das bedeuten: Putin hat gewonnen – aber noch nicht genug.

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