What a time to be alive. Vergangenen Montag vergoss ich an dieser Stelle Chronistinnen-Krokodilstränen, nachdem die vorhergegangene Woche vollkommen ohne spektakuläres Anekdoten-Potenzial vorbeirauschte. Treue Leser meines Wochenrückblicks werden sich erinnern.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zwischeninfo für alle Gender-Interessierten: Ja, nur die Leser. Leserinnen habe ich nämlich nicht, wie ich kürzlich von einer engagierten Querdenker-Ikone via Fanpost erklärt bekam. Eine Art Bob Woodward des Twitter-Journalismus hat nämlich (ungünstig für mich) mein größtes Geheimnis aufgedeckt: Männer jubeln mich hoch, weil "sie mich bumsen wollen", während mich "alle Frauen hassen", weil ich "eine dumme Drecks*****" bin.

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Die Vokabel ist nicht ganz jugendfrei, hat aber etwas mit Geschlechtsorganen zu tun. Das passt natürlich, denn diese Woche ging es insgesamt viel um Geschlechtsorgane (Stichwort "al dente"), aber dazu später mehr. Der nette Fanpost-Verfasser jedenfalls hat offenbar eine repräsentative Umfrage unter allen Frauen in Deutschland durchführen lassen, was mir etwas aufwändig erscheint, nur um mir dann per anonymem Zweit-Account meine Rolle als, naja, "Drecks*****" erläutern zu können.

Aber gut, ich möchte den krankhaft ich-bezogenen Part hier abbrechen. Es soll ja um wirklich wichtige Menschen, exzellente Journalisten und echte Promis gehen. Und zusätzlich natürlich um das Personal beim Axel-Springer-Verlag.

Traumwoche für Mainstream-Lügenpressevertreterinnen wie mich

Wer hätte ahnen können, dass wir Beobachterinnen des Zeitgeschehens nach einer Woche, gegen die sogar das Selbstbräunungskonzept von Dieter Bohlen mehr Spannung verspricht als die Auftritte aller einschlägigen Schlagzeilen-Provokateure zusammen, mit einer solchen Premium-Woche entschädigt werden?

Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat sich extra meinen Geburtstag am 13. April ausgesucht, um eine umfangreiche (allerdings lange nicht vollständige) Veröffentlichung diverser privater Nachrichten des Axel-Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner an einige wenige enge Vertraute zu veröffentlichen. Unter den Empfängern – das erschließt sich recht zweifelsfrei am Kontext – vor allem ein ehemaliger "Bild"-Chefredakteur, der nach einigen unglücklicherweise missverständlich formulierten nächtlichen Beischlaf-SMS an untergebene junge Mitarbeiterinnen und zum Zwecke der BWO (Beischlaf-Wahrscheinlichkeits-Optimierung) versehentlich gefälschter Scheidungspapiere zu Unrecht vom väterlichen Ex-Freund Döpfner geschasst worden war.

Diese Nachrichten sind interessanterweise orthographisch auf einem Niveau, als hätte ein neunjähriger Franzose einem siebenjährigen Holländer einen Text auf Serbokroatisch verfassten Text vorgelesen, den dieser dann mit Hilfe von Lothar Matthäus ins Englische übersetzt und anschließend von Herbert Grönemeyer hat einsingen lassen. Dieses Soundfile wurde dann per Spracherkennung via Google Translate ins Türkische übersetzt, von dort ins Deutsche und dann per Zufallsgenerator mit Groß- und Kleinschreibung versorgt.

Das aber nur als kleine Beobachtung am Rande. Relevanter ist der Inhalt, den ich hier nicht nochmals im Detail nacherzählen muss. Nach dem größten Medienecho des Jahres kennt inzwischen jeder, der lesen kann, die entscheidenden Teile Döpfners Auslassungen.

Da essayiert Döpfner im Kurznachrichtenstil unter anderem über Faschisten-Ossis, ekelige DDR-Kommunisten, die irre Merkel, "den Sargnagel unserer Demokratie", gegen die er umfangreich recherchieren lässt (ohne Ergebnis), die Ähnlichkeiten des heutigen Deutschlands mit dem des Jahres 1933, seiner großen Sehnsucht nach einer 16-Prozent-FDP, die Ängste von Christian Lindner, der Anweisung, der FDP mehr zur helfen, seinem Groll Kai Diekmann gegenüber, der die "Bild"-Zeitung politisch korrekt gemacht habe (der Schlingel!), intolerante Moslems und "das ganze Gesochs" (Rechtschreibfehler beibehalten, da Zitat), seine Liebe zum Klimawandel, weil man Menschen in warmen Zeiten mehr Schrott verkaufen kann, darüber, dass Corona nur eine Grippe sei, man aus der ehemaligen DDR einen Agrarstaat mit Einheitslohn machen sollte, über einen Friedensnobelpreis für Donald Trump, den Entzug desselbigen von Barack Obama und darüber, dass Markus Söder einen schlechten Charakter hat und früher nicht mal eine Sparkasse hätten führen dürfen – und er, also Döpfner, deswegen auswandere.

Wer die Auslage beim Metzger verprügelt, ist ein Fleischhauer

Nun, ausgewandert ist Döpfner nicht. Leider, so hört man seit einiger Zeit immer wieder, mitunter sogar aus seinem eigenen Haus. Seine Hilfsadjutanten, allesamt wohl Brüder im Geiste, treten sofort nach dem Bekanntwerden dieser skurrilen Meinungen des Chefs des größten Medienhauses unseres Landes zu seiner Verteidigung an.

Feingeist und Presse-Ethik-Professor Jan Fleischhauer etwa befürchtet: "Gnade uns Gott, wenn es ab jetzt als akzeptabel gilt, private SMS an die Öffentlichkeit zu zerren. Das übergeordnete Interesse lässt sich bei jeder bekannteren Person finden. Das ist das Ende der Privatsphäre - von den Leuten gebilligt, denen Datenschutz sonst über alles geht."

Für Fleischhauer ist es offenbar problematisch, dienstliche Anweisungen und Beleidigungen über die im Fokus der Berichterstattung stehenden Personen eines Chefs an seine Redaktionen zu veröffentlichen. Als die "Bild"-Zeitung (unter Döpfners Führung) die WhatsApp eines Elfjährigen veröffentlicht, der gerade erfahren hatte, dass seine fünf Geschwister - vermutlich von der eigenen Mutter - ermordet wurden, blieb Fleischhauer still.

Diese Art, etwas "an die Öffentlichkeit zu zerren", ist für Fleischhauer anscheinend nicht das Ende der Privatsphäre, sondern journalistisch einwandfrei. Gut, da geht es auch nur um einen Elfjährigen, der seine Familie verloren hat. Da kann man schon mal ein Auge zudrücken. Beim milliardenschweren Medienmogul mit eigenem Zeitungsimperium, da geht das natürlich zu weit.

Rosen sind Rot, schön ist's in Rente, Döpfners Nudeln sind immer al dente

Es geht aber noch kurioser. Mit einer befremdlich schrägen Analogie plädiert auch Spreekapitän Gabor Steingart bei Weggefährte Döpfner (der zufällig mit knapp 36 Prozent an seinem Unternehmen beteiligt ist) auf unschuldig. Döpfners Beleidigungs-Orgien seien "würziger und kantiger, als viele Leitartikel" (falsches Komma beibehalten, da Zitat).

Das sei der Grund, warum Kritiker nun so empört reagierten: "Sie hassen sich und ihn für genau diesen Unterschied: Seine Nudel ist al dente. Ihre hängt schlapp und schläfrig über der Gabel." Alte weiße Männer, die sich gegenseitig zu den Hartweizengries-Molekularzuständen ihrer Phallussymbole gratulieren, wenn sie Angela Merkel, Ossis und Moslems beleidigt haben, sieht man ja auch nicht alle Tage. Zumindest ist jetzt aber sicher, was die Abkürzung DDR tatsächlich bedeutet: "Döpfners Dicke Rigatoni".

Apropos Phallussymbol: Norddeutschlands fittester Bundestagsabgeordneter, FDP-Shootingstar und Comedy-Preis-Anwärter Max Mordhorst, hat diese Woche mal wieder für sein größtes Hobby geworben: Jedes Jahr erneut seinen Lieblings-Tweet darüber zu veröffentlichen, wie er zwischen 24 und 37 Minuten benötigt, in Kiel einen Parkplatz zu finden – und dafür natürlich die Grünen verantwortlich sind.

Gut, es gibt im Stadtbereich von Kiel unzählige Parkhäuser, aber die Häme gegenüber der personifizierten intellektuellen Zukunft der Freien Demokraten ist dennoch unbegründet. Niemand kann wissen, ob Mordhorst mit einem Smart oder aber eventuell mit einem Spezial-Transporter für Windräder unterwegs war. Und fahren Sie mal mit so einem monströsen Tieflader in ein Parkhaus. Für mich skandalös, dass die Grünen da nicht schon längst eingelenkt und die letzten verbliebenen Bürgersteige, Bäume und Bushaltestellen aus den Innenstädten verbannt haben.

Immerhin, ein Grund zur Hoffnung bleibt: Zwischen 2020 (37 Minuten), 2021 (35 Minuten) und 2023 (24 Minuten) hat sich der Zeitaufwand, den Mobilitätsgenie Mordhorst zur Parkplatzgenerierung in Kiel benötigt, kontinuierlich auf annähernd 65 Prozent verringert. Wenn er diese Lernkurve beibehalten kann, findet er in Kiel spätestens im Jahr 2042 einen Parkplatz, noch bevor er überhaupt losgefahren ist.

In der gesparten Zeit kann er dann mit dem Gewinner des Goldenen Scheinheiligkeitsordens am Doppelmoralband, Markus Söder, darüber philosophieren, wie man nach der Katastrophe von Fukushima mit Koalitionsbruch drohen kann, wenn nicht sofort das Ende der Kernenergie beschlossen würde, um dann genau in dem Moment, in dem das Ende vollzogen wird, vom größten Fehler der Regierung zu sprechen. Und anzukündigen, Bayern würde seine AKW in Eigenregie weiter betreiben.

Ich bin schon gespannt, wo er in seinem durchaus schönen Bayern die Endlager für den anfallenden radioaktiven Atommüll ansiedeln möchte. Bei Uli Hoeneß im Vorgarten wäre Platz, halte ich aber für unwahrscheinlich. Von Söder könnte Max Mordhorst parteiübergreifend jedenfalls noch viel lernen. Vor allem auch, wie er sein Kieler Parkplatztrauma in den Griff bekommt. Denn in Söders Bayern kennt man sich aus. Zum Beispiel mit dem ÖPNV. München ist nicht zufällig die Welthauptstadt der Transrapid-Flughafenverbindungen und der Flugtaxen. Ich bleibe also dran! Bis nächste Woche! Und please stärke FDP!

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