• Die "37°"-Reportage "In der Abseitsfalle – Kein Coming-out im Fußball?", die am Dienstagabend im ZDF ausgestrahlt wird, geht der Frage nach, wie homophob der Männerfußball ist.
  • Mit Thomas Hitzlsperger, Marcus Urban und Benjamin Näßler berichten drei homosexuelle Fußballer mit sehr unterschiedlichen Karrieren von ihren Erfahrungen.
  • Die spannende und sehenswerte Reportage zeigt verschiedenste Aspekte der Thematik. Die Frage, warum es kein Coming-out im Profifußball gibt, bleibt aber unbeantwortet.

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Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass Klaus Wowereit mit seinem berühmten Satz "Ich bin schwul und das ist auch gut so" als erster deutscher Spitzenpolitiker seine Homosexualität öffentlich machte. Seitdem ist viel passiert, schwule Politiker sind längst Normalität. Homosexualität findet in fast allen gesellschaftlichen Bereichen breite Akzeptanz, lediglich im Männerfußball scheint es nach wie vor anders zu sein.

Weltweit gibt es nur etwa ein Dutzend Profifußballer und ehemalige Spieler, die sich zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Von den rund 900 Profispielern, die in Deutschland in der Bundesliga oder in der 2. Bundesliga spielen, ist kein einziger schwul.

Zumindest nicht offiziell, denn tatsächlich erscheint es schon rein statistisch gesehen sehr unwahrscheinlich, dass keiner dieser Spieler homosexuell ist. Schwulsein ist im Profifußball nach wie vor ein Tabuthema und gerade deshalb für die Öffentlichkeit so interessant. Auf Partys ist es jedenfalls ein äußert beliebtes Gesprächsthema, welcher Fußballstar denn heimlich schwul sein könnte.

Thomas Hitzlsperger wundert sich, dass niemand seinem Beispiel folgt

Der Frage, wie homophob der Männerfußball tatsächlich ist, geht die "37°"-Reportage "In der Abseitsfalle - Kein Coming-out im Fußball?" nach, die am Dienstagabend im ZDF lief und in der Mediathek abrufbar ist. Filmemacherin Annette Heinrich beleuchtet das Thema aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und hat dafür viele interessante Gesprächspartner gefunden.

Einer davon ist Thomas Hitzlsperger. Wenige Monate nach dem Ende seiner Karriere erklärte der heutige Sportvorstand des VfB Stuttgart im Januar 2014 in einem Interview, homosexuell zu sein. Die Reaktionen darauf waren enorm und fast ausschließlich positiv, trotzdem ist bis heute niemand dem Beispiel des 52-fachen Nationalspielers gefolgt. Darüber wundert sich Hitzlsperger, der gewohnt eloquent über seine Erfahrungen spricht.

Der Mittelfeldspieler, der 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister wurde, erzählt auch, dass er ein Coming-out bereits während seiner aktiven Zeit in Erwägung gezogen hatte, ihm davon aber von verschiedenen Seiten abgeraten wurde. Interessant: Hitzlsperger glaubt, dass weniger die Fans im Stadion als die eigenen Mitspieler für einen homosexuellen Profifußballer zum Problem werden könnten.

Kampf gegen Homophobie und Vorurteile

Hitzlsperger spricht auch über die immer wieder auftauchenden Vorurteile, dass schwule Männer keine guten Fußballer sein könnten, oder nicht hart genug wären, um im Profifußball zu bestehen. "Das stimmt so nicht, weil ich es bewiesen habe", erklärt er kurz und knapp. Auch Marcus Urban spielte als Jugendlicher teilweise überhart, um erst gar nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass er schwul sein könnte. Der heute 49-Jährige war Junioren-Nationalspieler der DDR und eines der größten Talente bei Rot-Weiß Erfurt.

Es ist eindrucksvoll, wie Urban seine Zerrissenheit und Verzweiflung schildert. Erst mit 23 Jahren steht er schließlich zu seiner Homosexualität und entscheidet sich gegen eine Karriere im Profifußball. "Ich wollte lieber frei sein, als meine Sexualität und mein Wesen der Karriere wegen weiter zu verleugnen", sagt er heute.

Dass die Tabuisierung von Homosexualität nicht nur den Profibereich betrifft, zeigt das Beispiel von Benjamin Näßler. Der 32-Jährige kickte in der Kreisklasse in der schwäbischen Provinz, verheimlichte seine Homosexualität ebenfalls. Fußball und Homosexualität seien wie zwei "gegenseitige Pole, die sich abgestoßen haben" gewesen, erzählt er.

Mittlerweile ist Näßler "Mr. Gay Germany" und setzt sich wie Hitzlsperger und Urban für mehr Diversität im Fußball ein. Es ist einer der Höhepunkte der Reportage, wie Näßler seine alte Mannschaft besucht und seine früheren Mitspieler völlig unverstellt über die damalige Situation, ihre Vorurteile und Homosexualität im Fußball sprechen.

Die Zeit scheint reif für schwule Profifußballer

Gerade einmal knapp 30 Minuten dauert die Reportage, die Zeit vergeht wie im Flug. Mit dem Ex-Profi und Trainer Ewald Lienen, den beiden Bundesliga-Spielern Christopher Trimmel und Christian Gentner, dem DFB-Teampsychologen Prof. Hans-Dieter Hermann und Marcus Wiebusch, Sänger der Band Kettcar und St. Pauli-Fan, hat Annette Heinrich weitere interessante Gesprächspartner gefunden und man würde sich fast ein wenig mehr Sendezeit für das spannende Thema wünschen.

Die entscheidende Frage, warum es im Profibereich des Männerfußball keine Coming-outs gibt, kann die Reportage aber natürlich nicht beantworten. Das könnte tatsächlich nur ein betroffener Spieler selbst.

Die Sendung zeigt einerseits, dass es nach vor Homophobie im Männerfußball gibt, sich andererseits aber auch schon viel getan hat. In Zeiten, in denen sich ein großer Teil der Fußballfans in den Kurven der Bundesliga gegen Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung starkmacht, scheint die Zeit eigentlich reif für schwule Profifußballer zu sein.

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"In dem Moment, in dem es offen homosexuelle Spieler gäbe, würden alle sehen, dass es überhaupt kein Problem ist", glaubt Marcus Urban: "Aber solange es ein Tabu ist und verheimlicht wird, bleibt es anrüchig." Es müsste vermutlich nur ein Spieler den Mut aufbringen und vorangehen. So wie es damals Klaus Wowereit getan hat.

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