Marcel Koller steht beim ÖFB angeblich vor dem Aus. Aber wäre das trotz der enttäuschend verlaufenen WM-Qualifikation auch der richtige Schritt?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Drei Fragen sind es, die Fußball-Österreich in den vergangenen Tagen geradezu aufgewühlt haben - und die Teamchef Marcel Koller seitdem förmlich um die Ohren fliegen.

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Wieso nur ist diese Mannschaft nicht in der Lage, sich in einer Gruppe mit Gegner auf Augenhöhe erneut nicht für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren? Warum muss einer der besten Linksverteidiger der Welt im offensiven Mittelfeld spielen? Und dafür ein eher behäbiger Innenverteidiger auf der linken Seite der Viererkette?

WM-Aus so gut wie besiegelt - das von Koller auch?

Es waren Kollers taktische Überlegungen bei der Niederlage gegen Wales, die die Volksseele zum Kochen bringen. Und natürlich das so gut wie besiegelte Aus in der WM-Qualifikation.

Bestätigt fühlen sich die Nörgler, die allein schon wegen Kollers Schweizer Nationalität wieder auf einen österreichischen Teamchef brennen.

Österreich hat die Partie in Wales verloren, das macht Koller automatisch angreifbar. Sollte bei fünf Punkten Rückstand auf Playoff-Platz zwei in den letzten drei Spielen nicht noch ein mittelschweres Wunder geschehen, war es das für Österreich mit dem Traum von der ersten WM-Teilnahme nach 20 Jahren.

Und vielleicht auch für Koller als Teamchef. Das heutige Heimspiel gegen Georgien könnte schon das letzte für den Schweizer sein.

Knapp sechs Jahre im Amt

Fast sechs Jahre ist Koller im Amt und damit länger als seine Vorgänger Pepi Hickersberger, Karel Brückner, Didi Constantini und Willi Ruttensteiner zusammen.

Im Sommer 2016, in den Tagen vor der Europameisterschaft in Frankreich, war Koller so etwas wie ein Volksheld. Selbst die größten Kritiker maulten nur noch hinter vorgehaltener Hand.

Dann kam das Turnier - und die große Enttäuschung sollte sich festsetzen bis heute.

Seit dem 0:2 gegen Ungarn im Eröffnungsspiel der EURO hat Österreich nur noch zwei Spiele gewonnen: gegen Georgien und Moldawien. Dafür gab es fünf Remis und vier Niederlagen.

Die Europameisterschaft hat eine erfolgversprechende Liaison quasi komplett zerstört. Und wer Irland, Wales und Serbien nicht besiegen kann, hat bei einer Weltmeisterschaft vielleicht auch gar nichts verloren.

So ist der Status quo. Nach dem Warum fragen die Wenigsten. Koller ist als Teamchef verantwortlich für das große Ganze und für die Ergebnisse. Aber so schlecht wie beispielsweise sein Coaching gegen Wales debattiert wurde, war es gar nicht.

Österreich hatte gute Ideen und Momente im Spiel, der Leistungseinbruch einiger wichtiger Spieler in der zweiten Halbzeit war aber durch das Kollektiv nicht mehr aufzufangen.

Es liegt auch an den Spielern

Daran krankt es in der Auswahl eben auch: Österreich hat einige gute Spieler, einige Talente und sogar einen Spieler von Weltformat. Wenn er einen guten Tag erwischt.

Marco Arnautovic mag der teuerste österreichische Fußballer aller Zeiten sein. In wichtigen Spielen oder gegen echte Weltklasseteams reicht sein Einfluss aber oft nicht aus.

Vielleicht überschätzt die Mannschaft auch schlicht ihre Fähigkeiten. Mit einem ordentlichen Plan, der nötigen Frische und einer Menge Selbstbewusstsein lief die Qualifikation für die EM vor zwei Jahren fast von alleine.

Jetzt ist Österreichs Plan dekodiert, das muss sich Koller auf alle Fälle unter die Nase reiben lassen. Und die Spieler sind entweder zu selbstgefällig oder dem gestiegenen internationalen Niveau in der Landesauswahl nicht in dem Maße gewachsen, dass Gegner aus der Mittelklasse geschlagen werden können.

Jetzt hängen alle Parteien zwischen den Stühlen. Koller will im September eine Entscheidung (fällen), ob und wie es mit ihm weitergehen könnte.

Der Verband spielt auf Zeit, lässt sich auch auf Nachfragen nicht locken. Teile der Mannschaft würden gerne mit dem Trainer weitermachen, haben aber kein Vetorecht.

Kaum echte Alternativen

"Ich möchte mir meine Gedanken machen, und wenn die klar sind, wird es die Gespräche mit dem ÖFB geben", sagt Koller. "Ich bin lange genug Profi. Ich weiß, was ich bringen muss oder sollte, um das Team wieder richtig einzustellen. Da haue ich mich voll rein und alles andere hat hintanzustehen und interessiert mich eigentlich nicht."

Unter den Fans tobt derweil längst die Diskussion über mögliche Nachfolger für Koller. Die üblichen Namen werden da genannt: Andreas Herzog, die Klubtrainer Ralph Hasenhüttl, Peter Stöger oder Adi Hütter. Auch Damen-Teamchef Dominik Thalhammer.

Aber ein Portfolio und die Erfahrung, die Koller mitbringt, haben alle vermeintlichen Kandidaten nicht. Oder sie sind als Vereinstrainer bei ihren Klubs unabkömmlich.

Wer für eine Ablösung Kollers plädiert, sollte auch eine Alternative für einen möglichen Nachfolger im Auge haben. Einfach nur den Trainer zu schassen, ist zu wenig.

Und wer weiß, vielleicht kommt Marcel Koller ja doch noch zu mehr als seinem 52. Spiel als Teamchef gegen Georgien.

Vor ihm gab es übrigens nur einen einzigen Trainer in der ÖFB-Geschichte, der in einer Amtszeit mehr Spiele bestreiten durfte: der legendäre Hugo Meisl. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal. Und es spricht nicht gegen Marcel Koller.

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