• War der Ball vor dem Siegtreffer für Japan im Spiel gegen Spanien im Toraus?
  • Wahrscheinlich hat er noch zu einem winzigen Teil auf die Torlinie geragt, aber Gewissheit liefern die bislang vorliegenden Bilder nicht.
  • Hätte der Video-Assistent dann überhaupt eingreifen dürfen?
Eine Analyse
Alex Feuerherdt lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Außerdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach.

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51 Minuten waren in der WM-Partie zwischen Japan und Spanien (2:1) im Stadion von Al-Rajjan gespielt, als sich jenes Ereignis zutrug, das letztlich das Aus der deutschen Nationalmannschaft bei dieser Weltmeisterschaft besiegeln sollte: Ao Tanaka traf für das japanische Team zum 2:1, bei diesem Ergebnis blieb es schließlich auch.

Dabei schien der Treffer zunächst nicht zu zählen. Der Schiedsrichter-Assistent blieb an der Eckfahne stehen, statt in Richtung Mittellinie zu laufen, und Referee Victor Gomes deutete nicht zum Anstoßpunkt, wie es üblich wäre, um anzuzeigen, dass ein Tor gültig ist. Vielmehr pfiff er einige Sekunden, nachdem der Ball im Tor lag, und die japanischen Spieler stellten ihren Jubel ein.

Erst nachdem die Überprüfung durch den mexikanischen Video-Assistenten Fernando Guerrero abgeschlossen war, stand fest: Das Tor wird doch gegeben. Der Grund für die Verzögerung bestand darin, dass der Ball vor der Torerzielung womöglich im Toraus war, bevor ihn Kaoru Mitoma in die Mitte beförderte, wo Tanaka traf. Es war eine extrem knappe Angelegenheit, wie die Bilder zeigten.

Was das Regelwerk sagt

Wesentlich ist dabei zunächst einmal die regeltechnische Einordnung. Der Ball ist nur dann außerhalb des Spielfeldes, wenn er die Seiten- oder die Torlinie am Boden oder in der Luft vollständig überschritten hat. "Vollständig" heißt: Es ragt kein noch so kleiner Teil des Balles mehr auf einen noch so kleinen Teil der jeweiligen Linie, also ins Spielfeld, das diese Linien begrenzen und zu dem sie somit gehören.

Im Regelwerk ist darüber hinaus festgelegt, dass der Video-Assistent grundsätzlich nur eingreifen soll, wenn er einen klaren Beleg dafür hat, dass die auf dem Feld getroffene Entscheidung falsch ist oder der Unparteiische etwas Gravierendes übersehen hat.

Das bedeutet hier: Gibt der Unparteiische das Tor, dann wird es nur annulliert, wenn der VAR beweisen kann, dass der Ball zuvor vollständig die Linie überquert hat. Gibt er es nicht, dann verhält es sich entsprechend: Der Treffer wird nur anerkannt, wenn der VAR über den Beleg verfügt, dass zumindest ein Teil des Balles einen Teil der Linie berührt hat und der Ball damit noch im Spiel war.

Die Körpersprache von Referee Gomes nach der Torerzielung war nicht eindeutig. Doch sein Pfiff, der abgebrochene Torjubel der Japaner und die Tatsache, dass der Unparteiische nach der VAR-Überprüfung die Umrisse des Monitors in die Luft malte und damit anzeigte, dass die Entscheidung geändert wird, lassen darauf schließen, dass er ursprünglich auf "kein Tor" erkannt hatte.

Eine Frage der Perspektive

Bald kursierten im Netz allerlei Screenshots von jenem Moment, in dem der Ball am weitesten über der Torlinie war, bevor ihn Mitoma vor das Gehäuse der Spanier spielte. Doch durch die perspektivische Verzerrung können viele dieser Bilder keinen Aufschluss liefern, ob der Ball die Linie wirklich vollständig überschritten hat oder nicht.

Einzig die senkrechte Draufsicht von oben aus dem Blickwinkel der Torlinienkamera ist hier eine brauchbare Perspektive. Und in dieser sieht es so aus, dass der äußere Rand des Balles auf den äußeren Rand der Torlinie ragt, der Ball also nicht vollständig die Linie überquert hat. Doch genügt das als Beleg dafür, dass die ursprüngliche Entscheidung, das Tor nicht zu geben, falsch war?

Oder lagen dem VAR noch andere Bilder vor, die in der Fernsehübertragung nicht gezeigt wurden? Konnte er womöglich den Chip im Ball nutzen, der fortlaufend die Position des Balles und Impulse gegen ihn erfasst, damit der Moment des Abspiels beim Abseits präzise bestimmt werden kann? Das ist bislang nicht bekannt geworden, die Fifa hat sich dazu noch nicht geäußert, und ob sie es tun wird, ist fraglich.

Die Bilder liefern keine absolute Gewissheit

Man wird anhand des bislang vorliegenden Bildmaterials konstatieren können, dass der Ball mit hoher Wahrscheinlichkeit noch im Spiel war, als ihn Mitoma zu Tanaka passte. Mit genauso hoher Wahrscheinlichkeit war es somit richtig, das Tor zum 2:1 für Japan zu geben. Doch absolute Gewissheit liefern diese Bilder nicht.

Es mag spitzfindig klingen, aber es ist ein Unterschied, ob die ursprüngliche Entscheidung nun "Tor" oder "kein Tor" lautete. Wäre das Tor auf dem Feld gegeben worden, dann ließe sich feststellen: Die Bilder widerlegen diese Entscheidung zumindest nicht eindeutig, sie ist also nicht klar und offensichtlich falsch.

Da der Treffer aber zunächst nicht anerkannt wurde, muss man genauso fragen: Beweisen die Bilder eindeutig, dass diese Entscheidung ein Fehler war? Oder könnte es bei dieser Millimeterangelegenheit nicht doch sein, dass der Ball die Torlinie bereits in Gänze überschritten hatte?

Für den Video-Assistenten stand jedenfalls fest: Der Ball war nicht im Aus und das Tor damit gültig. So unentschlossen und passiv, wie sich der Schiedsrichter und sein Assistent nach der Torerzielung verhielten, ist es nicht einmal auszuschließen, dass sie – auch wenn das laut VAR-Protokoll möglichst nicht geschehen soll – vor allem erst einmal abwarten wollten, was der VAR sagt. Die Fifa wäre gut beraten, hier für Aufklärung zu sorgen.

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