Anders als online behauptet wird, gibt es keine Belege, dass ukrainische Fußballfans bei der WM in Katar verhaftet wurden, weil sie angeblich Nazi-Schmierereien hinterließen. Ein Video von Al Jazeera, das die Behauptung belegen soll, ist "komplett erfunden", so ein Pressesprecher gegenüber CORRECTIV.Faktencheck.

"Drei ukrainische Fußballfans wurden in Katar verhaftet, weil sie Nazi-Schmierereien auf einer Werbewand hinterlassen haben. Auf das Maskottchen der WM malten sie ein Hitler-Bärtchen und schrieben daneben ‚Sieg Heil', das behaupten Nutzerinnen und Nutzer seit dem 22. November auf Twitter und Facebook. Als Beleg dient ein angeblicher Video-Bericht des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera mit Sitz in Doha, Katar.

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CORRECTIV.Faktencheck fragte bei dem Sender an, ob das Video authentisch ist. Die Antwort ist eindeutig: "Das Video ist komplett gefälscht und wurde nie von Al Jazeera veröffentlicht. Wir haben auch kein Material veröffentlicht, das damit in Zusammenhang steht", schrieb uns ein Pressesprecher.

Auch dafür, dass sich ein solcher Vorfall überhaupt ereignet hat, gibt es keine Belege. Dafür könnte es einen einfachen Grund geben: Die Ukraine nimmt gar nicht an der Fußball-WM teil und Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine aufgrund des Krieges nicht verlassen. Ausnahmen gibt es nur teilweise, zum Beispiel für Väter. Weder der Fußball-Verband Fifa noch die katarische Polizei antworteten auf unsere Presseanfrage, ob Plakate des WM-Maskottchens mit Nazi-Schmierereien versehen wurden oder es Festnahmen gab.

Online verbreitet sich ein gefälschtes Video des arabischen Senders Al Jazeera. Es soll angebliche Nazi-Schmierereien durch ukrainische Fans bei der Fußball-WM in Katar belegen. © Quelle: Twitter; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck

Video kombiniert Symbolbilder mit Aufnahmen unklarer Herkunft

In dem 45-sekündigen Video sind das Logo von Al Jazeera und verschiedene Aufnahmen zu sehen: Menschen vor einem mit Gittern abgesperrten Gebäude, auf dem die Worte "Besuchereingang" zu lesen sind, ein Symbolbild ukrainischer Fußballfans, die Aufnahme des WM-Maskottchens mit dem Schriftzug "Sieg Heil" und dem aufgemalten Hitlerbärtchen.

Außerdem: Der Eingang eines Stadions und Aufnahmen von Werbebannern sowie eine Szene, die drei Männer in Uniform zeigt und eine Person, die in einem Auto sitzt und deren Gesicht so stark verpixelt ist, dass man sie nicht erkennen kann.

Abgesehen von der Einblendung des Al Jazeera-Logos am Ende des gefälschten Videos sind insgesamt sechs verschiedene Aufnahmen zu sehen. © Quelle: Twitter: Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck

Bei dem zweiten Bild handelt es sich um ein Symbolfoto, das ukrainische Futsalfans (Variante des Hallenfußballs) zeigt, wie die ukrainische Faktencheck-Seite StopFake berichtet. Es wurde bereits Anfang dieses Jahres in verschiedenen russischsprachigen Medienberichten verwendet. Am 4. Februar begegneten sich die Nationalmannschaften Russlands und der Ukraine im Halbfinale der Futsal-Europameisterschaft. Mit der Fußball-WM in Katar hat das Foto also nichts zu tun.

"Sieg Heil"-Schriftzug mutmaßlich nachträglich in Bild eingefügt

Für die Aufnahme des verunstalteten WM-Maskottchens gibt es weder einen Ort noch ein Aufnahmedatum. Eine Bilderrückwärtssuche danach führt lediglich zu Beiträgen in sozialen Netzwerken, die das gefälschte Al Jazeera-Video verbreiten. Die belgische Faktencheck-Organisation Knack führte eine forensische Analyse des Bildes durch und fand Hinweise darauf, dass es an den Stellen, wo Hitlerbart und Schriftzug zu sehen sind, bearbeitet sein könnte. Laut Knack handelt es sich bei der Aufnahme des Plakats zudem nicht um ein Video, sondern um ein animiertes Foto – Fotos sind leichter zu manipulieren als Videos.

Weiter fand Knack einen Beitrag des Senders Sky, der belegt, dass es sich bei der vierten Aufnahme mit den pinken und violetten Schildern tatsächlich um ein Fußballstadion in Katar (Al-Bayt-Stadion) handelt. In einem Faktencheck wies Al Jazeera selbst aber darauf hin, dass der Name des Stadions in dem gefälschten Nachrichtenbeitrag falsch geschrieben ist. In dem Video steht "Al Beit"-Stadion, nicht "Al-Bayt"-Stadion.

Auch die Aufnahme der angeblichen Verhaftung passt nicht zu der Behauptung, dass es sich um eine aktuelle Verhaftung in Katar handele. Im September 2020 berichtete die englischsprachige Zeitung Qatar Tribune über neue Uniformen der katarischen Polizei und Sicherheitskräfte (hier und hier). Diese unterscheiden sich jedoch deutlich von den Uniformen, die in dem gefälschten Video zu sehen sind. Abzeichen, Mützen und Schulterriemen passen nicht zusammen. Darauf wies auch Knack hin. Was die Aufnahme eigentlich zeigt und ob sie in Katar entstanden ist, ist unklar.

Quelle: Qatar Tribune; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck
Die neuen Uniformen der Polizei in Katar.


Die Polizeiuniformen in dem gefälschten Al Jazeera-Video passen nicht zu denen, die aktuell in Katar eingesetzt werden. © Twitter; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck

Video verbreitete sich in Telegram-Kanal von kremltreuem Propagandisten

Bei der Suche nach dem Ursprung des Videos stießen wir zudem auf einen Artikel der Webseite Serbia Posts English vom 23. November. Darin heißt es, das gefälschte Video sei zunächst in den Telegram-Kanälen russischer Journalisten verbreitet worden.

Einer dieser Journalisten ist Vladimir Soloviev, der seit dem 23. März durch die EU sanktioniert wird. Der Fernsehmoderator gilt laut Medienberichten (hier und hier) als kremltreuer Propagandist. Auf Telegram folgen ihm rund 1,4 Millionen Accounts, seinen Beitrag vom 22. November über den angeblichen Vorfall in Katar sahen rund 300.000 Accounts.

Soloviev teilte das Video von dem Telegram-Kanal "YUG Live". Dabei handelt es sich um sein eigenes Sendeformat. Ob er das gefälschte Al Jazeera-Video zuerst verbreitete oder woher es ursprünglich stammt, konnten wir nicht herausfinden. Jedoch fanden wir keine Hinweise darauf, dass das Video bereits vor dem 22. November kursierte. Sowohl die englisch- als auch russischsprachigen Tweets sind vom 22. November. Auch russische Medien wie Riafan verbreiteten die Behauptung alle am selben Tag.

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