Als Günther Jauch an einem 1. April bereits vor Spielanpfiff meinte "Das erste Tor ist schon gefallen", wäre es gut und gerne als mäßiger Aprilscherz durchgegangen. Doch es war kein Aprilscherz, denn das Tor war tatsächlich gefallen. Umgefallen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Petra Tabarelli (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

1998. Es war das Jahr von Otto Rehhagels folgenschwerem Wechselfehler, von Giovanni Trappatonis berühmter "Flasche leer"-Wutrede und den ersten Tests auf der Suche nach einer funktionierenden Torlinientechnik. Es war auch das Jahr mit einem Abend, an dem ich hoffte, dass er nie enden würde. Damals durfte ich immer nur die erste Halbzeit von Champions-League-Spielen schauen, damit ich nicht zu spät ins Bett komme. So auch an diesem Abend, der sich zu meiner großen Freude sehr in die Länge zog. Es war das Halbfinalspiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund. Zwei Minuten vor dem Spiel fiel das Tor um und dann brauchte man fast die Dauer eines ganzen Spiels, um einen Ersatz zu beschaffen.

Was war passiert? Die Tore im Madrider Santiago-Bernabeu-Stadion waren direkt an den Zäunen befestigt, die den Innenraum des Feldes von den Zuschauerrängen trennte. Ein kleiner und doch ausreichend großer Anteil der 85.000 Zuschauer*innen kletterte auf einer Seite an dem Zaun hoch. Das war zu viel Gewicht für das Material des Zauns. Um 20:43 Uhr, zwei Minuten vor dem Anpfiff, bog es sich in Richtung der Zuschauerränge um, riss damit das Tor aus der Verankerung und fiel nach hinten. Das eigentliche Problem war jedoch, dass Real Madrid kein Ersatztor vor Ort hatte. Schiedsrichter Mario van der Ende schickte die beiden Teams, die natürlich bereits auf dem Platz waren, wieder in die Kabine.

"Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gutgetan"

Die meisten von uns erinnern sich noch an den notgedrungenen Dialog der beiden Kommentatoren Günther Jauch und Marcel Reif, die hierfür mit dem Bayerischen Fernsehpreis des Jahres ausgezeichnet wurden. Sie kommentierten, was sie auf dem Platz sahen: Völlige Unbedarftheit, gepaart mit Entsetzen und Aktionismus. Beispielsweise standen für einige Minuten ein paar Männer in ihren schicken schwarzen und dunkelblauen Anzügen an der Stelle einer gebrochenen Torverankerung und versuchten, mit einem Stück Holz die gebrochene Stelle zu arretieren – erfolglos.

Letztendlich konnte das Tor nicht repariert werden, aber nach geschlagenen 55 Minuten wurde ein Ersatztor ins Bernabeu gebracht. Sehr zu meiner Enttäuschung. Das Tor stammte von einem Trainingsplatz in einem anderen Stadtteil Madrids und es dauerte noch mal gut zehn Minuten, bis das neue Tor montiert war. Schließlich konnte das Spiel mit 76 Minuten Verzögerung angepfiffen werden. Borussia Dortmund spielte unter Protest, der aber nicht angenommen wurde. Der Verein verzichtete darauf, im Nachhinein gegen die 0:2-Pleite bei der Uefa eine Beschwerde einzulegen.

Am 3. April 1971 fielen sogar drei Tore vor dem Spielabbruch

Knapp 27 Jahre vorher, es ist der 3. April 1971, spielte Borussia Mönchengladbach daheim ein Meisterschaftsspiel gegen Werder Bremen. Zugegeben, die ersten beiden Tore fielen ganz regulär mit dem Ball im Tornetz. Doch beim Spielstand von 1:1 rauschte der Gladbacher Spieler Herbert Laumen in der 76. Spielminute mit so viel Geschwindigkeit in den Strafraum, dass er ins Tor lief und dort hinfiel. Um schnell wieder auf die Beine zu kommen, zog er sich am Tornetz hoch und das Verhängnisvolle geschah: Der linke Torpfosten – damals mussten sie in der Bundesliga aus Holz sein – brach ab, schlug Laumen fast auf den Kopf und das Tornetz umhüllte die verdutzte Gladbacher Offensivkraft.

Nachdem die Gladbacher Spieler und einige Helfer ein dutzend Minuten erfolglos versucht hatten, den Torpfosten zu reparieren, brach Schiedsrichter Gerhard Meuser das Spiel ab.

Der DFB reagierte: Tore müssen aus Aluminium sein

Das DFB-Sportgericht wertete das Spiel als 2:0-Sieg für Werder Bremen, weil Borussia Mönchengladbach kein Ersatztor bereitstellen konnte und damit die Unbespielbarkeit des Platzes zu verantworten hatte. Zusätzlich musste der Club 1.500 DM Strafe zahlen. Gladbach wurde in dieser Saison trotzdem Deutscher Meister und Pechvogel Herbert Laumen wechselte (unabhängig von diesem Ereignis) in der Sommerpause vom Niederrhein zu Werder.

Die wichtigste Konsequenz aber war: Der DFB entschied, dass künftig Tore aus Aluminium sein sollen und nicht mehr ausschließlich aus Holz. Solch eine Entscheidung war erst seit vier Jahren überhaupt möglich, denn zuvor stand in den internationalen Regeln, dass Torpfosten und Torlatte auf Holz und Metall beschränkt sind.

1967 wurde auf Vorschlag des "Committee of Study" die Einschränkung um "approved material as decided from time to time by the International Board" erweitert. Das erwähnte "International Board" meint das International Football Association Board (IFAB) und das Committee of Study war ein Gremium, das prüfte, welche Regelteile überholt waren und eine Überarbeitung benötigten.

Zu den 1971 erlaubten Tormaterialien gehörte Aluminium, aber auch dieses starke Erdelement nutzte 27 Jahre später nichts, als in Madrid der Zaun nachgab.

Später strich man die Erwähnung von Holz und Metall aus dem Regeltext. Heute steht hier lediglich: "Die Torpfosten und die Querlatte beider Tore müssen aus einem zugelassenen Material […] sein."

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