Ausgerechnet Sébastien Haller. Bei seinem Heimatklub, Borussia Dortmund - pfui. In der Nationalmannschaft der Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire) - hui.

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Der 29-Jährige durchlebt eine eher mittelmäßige Saison bei der Borussia aus Dortmund. Kein einziger Treffer gelang dem Stürmer in seinen bislang elf Bundesliga-Einsätzen. Youssoufa Moukoko und vor allem Niclas Füllkrug haben ihn aus der Stammelf der Borussia verdrängt. Haller ist gefrustet, sitzt in Dortmund oft nur auf der Bank. Für einen Stürmer seiner Qualität und Erfahrung natürlich viel zu wenig.

Beim Afrika-Cup, die kontinentalen Fußball-Meisterschaften Afrikas, zeigt sich indes ein ganz anderer Sébastien Haller. Der alte Top-Stürmer. Den, den sich alle BVB-Fans wünschen. Erst erzielt Haller für die Elfenbeinküste den entscheidenden Treffer im Halbfinale gegen die Demokratische Republik (DR) Kongo und bringt sein Team ins Finale des 34. Afrika-Cups.

Elfenbeinküste: Die "Könige von Afrika"

Dann schießt er im Finale gegen Nigeria die Elfenbeinküste zum Titel – vor heimischem Publikum in der Wirtschaftsmetropole Abidjan. Die fußballverrückten Westafrikaner sind durch das hochverdiente 2:1 gegen Nigeria somit nach 1992 und 2015 zum dritten Mal Afrikameister und somit die "Könige von Afrika". Ganz Afrika schaut nun auf die Elfenbeinküste und ihre "Elefanten", so wird die Nationalelf genannt.

Das ganze Land, knapp 30 Millionen Einwohner groß und wirtschaftlich solide dastehend dank Kaffee- und Kakaoexporten, steht Kopf am Tag nach dem Triumph, der überraschend kam. Und dem jede Menge Turbulenzen, ein Beinahe-Ausscheiden nach der Gruppenphase, Last-Minute-Tore sowie eine Trainerentlassung vorausgingen.

Die Geschichte der Elfenbeinküste beim 34. Africa Cup of Nations (CAN), so heißt der Afrika-Cup offiziell, ist eng mit dem Gemütszustand und der Leidenszeit Sébastien Hallers verknüpft.

Haller, der sich nach seiner Hodenkrebserkrankung 2022 zurück ins Leben sowie letztlich zurück ins Profifußballgeschäft kämpfte, verlor im Vorfeld des Afrika-Cups seinen Stammplatz als Mittelstürmer und wurde in der Gruppenphase kaum berücksichtigt. Der Bundesliga-Profi, der neben dem ivorischen auch den französischen Pass besitzt, saß auch hier nur auf der Bank. Was für eine Frustration.

Die Elfenbeinküste startete gut ins Turnier; siegte 2:0 gegen Underdog Guinea-Bissau. Doch dann begannen die Turbulenzen und das Drama. Man verlor im zweiten Spiel gegen die stärkste Defensive des Turniers, Nigeria, knapp mit 0:1.

Elfenbeinküste stand vor dem Turnier-Aus

Erste Zweifel kamen auf. Die Stimmung war getrübt, denn die Qualifikation fürs Achtelfinale stand auf der Kippe. Aber es sollte noch schlimmer, dramatischer, werden. Als man im letzten und entscheidenden Gruppenspiel mit 0:4 gegen Äquatorialguinea unterging, war der Tiefpunkt erreicht. Die Elfenbeinküste stand praktisch vor dem Turnier-Aus – und das als Gastgeber. Schlechter hätte es nicht laufen können.

Die Elfenbeinküste hatte sich doch so viel vorgenommen: Man wollte sich als perfekter Gastgeber inszenieren. Hatte dafür fünf neue Stadien erbaut und sonst auch viel Geld, das vornehmlich aus China kommt, in die Infrastruktur investiert. Für das mit Abstand bedeutendste Turnier auf dem afrikanischen Kontinent sollte alles stimmen. Nur stimmte bis dato die sportliche Leistung nicht. Dem Afrika-Cup und der Stimmung im Lande tut es natürlich nie gut, wenn der Gastgeber ausscheidet.

Auf die schlechten Resultate seiner Mannschaft in der Gruppenphase hat der ivorische Fußballverband (FIF) nach der Blamage gegen Äquatorial-Guinea sofort reagiert und entließ kurzerhand seinen französischen Nationaltrainer Jean-Louis Gasset. Nach seinem Aus wurde Emerse Fae, ein weiterer Assistent des Franzosen, als Interimstrainer bestimmt.

2015 gewann die Elfenbeinküste ihren bisher letzten großen Titel und das auch mit einem französischen Trainer. Folglich wurde Hervé Renard wieder ins Spiel gebracht. Der signalisierte seinerseits Interesse, obwohl er derzeit unter Vertrag steht – als Nationaltrainer der französischen Frauenmannschaft. Das kam in Frankreich nicht gut an.

Dank der Schützenhilfe vom WM-Vierten von 2022, Marokko, sollten sich die "Elefanten" zwei Tage nach der Blamage gegen Äquatorial-Guinea aber doch noch als einer von vier besten Gruppendritten für das Achtelfinale qualifizieren - dank des Modus beim Afrika-Cup. Statt Sambia und Ghana standen nun die Elfenbeinküste und Sébastien Haller im Achtelfinale. Eine Last-Minute-Qualifikation.

Große Erleichterung sowohl bei den Topstars um Max Gradel, Serge Aurier oder Franck Kessié als auch bei einer ganzen Nation, die immer noch an den Wunden des Militärputsches von 2002 leidet und mit den politischen Unruhen von 2010/2011 zu kämpfen hat. Im Achtelfinale kam es knüppeldick für die "Elefanten". Denn mit Senegal um Sadio Mané stand nicht nur der Titelverteidiger, sondern auch der Top-Favorit auf dem Plan.

Erst vier Minuten vor Schluss schaffte die Elfenbeinküste den Ausgleich in der regulären Spielzeit und rettete sich ins Elfmeterschießen. Senegal patzte einmal, die Ivorer verwandelten alle Elfmeter, darunter auch Haller, der eingewechselt worden war; somit war der große Favorit Senegal ausgeschieden und die Elfenbeinküste zog etwas glücklich ins Viertelfinale ein. Ebenfalls im Achtelfinale schieden die anderen Favoriten Marokko und Ägypten um Mohamed Salah aus.

Gegen Mali, ein ähnlicher Spielverlauf. Erst in der Nachspielzeit glichen die "Elefanten" aus und retten sich in die Verlängerung. Ein Distanzschuss von Oumar Diakité wurde entscheidend und unhaltbar abgelenkt und landete in der 122. Minuten im Tor der Malier. Mali raus, Elfenbeinküste weiter.

Sébastien Haller als Matchwinner im Halbfinale

Im Halbfinale gegen die DR Kongo schlug dann endlich die Stunde von Sébastien Haller. Er avancierte zum Matchwinner, in dem er in der 65. Minute seine Mannschaft sehenswert und akrobatisch ins Finale schoss. Balsam für seine arg gescholtene Fußballer-Seele. Zusammen mit Teamkollege Odilon Kossounou von Bayer Leverkusen stand Haller erstmals in der Startelf. Die Elfenbeinküste hatte mehr Ballbesitz als die DR Kongo und war überlegen. Zum ersten Mal brauchten die Ivorer nicht die Dienste der Fortuna. Der Sieg war knapp, aber verdient.

Wie Haller es schaffte, den Hodenkrebs zu besiegen, so gelang es auch den wackeren Ivorern beim Afrika-Cup, sich immer wieder zurückzukämpfen. Das Finale gegen Nigeria am Sonntagabend spiegelte den Turnierverlauf abermals wider. Man geriet wieder in Rückstand gegen den dreimaligen Afrika-Meister Nigeria. Haller, von Beginn an dabei, und seine Mitspieler konnten eine Vielzahl an guten Chancen nicht nutzen in der ersten Hälfte.

In der zweiten Hälfte waren die Ivorer dann drückend überlegen und erzielten – völlig verdient – den Ausgleich durch Franck Kessié (62.). Zehn Minuten vor Schluss traf Sébastien Haller in bester Didier-Drogba-Manier mit der Fußspitze zum 2:1-Sieg. Hallers Vorbild, Didier Drogba, der berühmteste Sportler des Landes, oben auf der Tribüne sitzend, war außer sich und lief wild umher.

Die Fans im Alassane-Ouattara-Stadion, auch bekannt als das Nationalstadion des Landes, in Abidjan feierte bis tief in die Nacht, die Nationalfarbe Orange war omnipräsent, die Straßen waren bis spät in die Nacht voller Menschen und die vielen Ivorer außerhalb des Landes waren stolz auf ihre "Elefanten".

Sébastien Haller war nach dem Schlusspfiff zu Tränen gerührt. Verständlich, nach dem, was Haller in den vergangenen zwei Jahren durchgemacht hatte. Es bleibt für alle Borussia-Fans zu hoffen, dass der Stürmer, der 2018 mit Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal gewann und seit Juli 2022 bei Borussia Dortmund unter Vertrag steht, nun seine gute Form mit nach Dortmund nimmt.

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