• Der Milan kriecht aus dem Nichts so langsam wieder zurück an die Spitze der Serie A.
  • Mit schlauen Entscheidungen, einem emphatischen Trainer und einer guten Prise Ibrahimovic mischt Milan derzeit die Liga auf.
Eine Analyse

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Es ist schon eine ganze Weile her, dass das Derby della Madonnina auch das heißeste Spiel des italienischen Fußballs war. Zu furchteinflößend war die Dominanz von Juventus in der letzten Dekade, Italiens vermeintliche Fußball-Kapitale konnte sich im direkten Duell seiner größten Klubs allenfalls um die Krümel streiten.

Zlatan Ibrahimovic gegen Romelu Lukaku

Nun ist die Partie von Inter gegen Milan aber nicht mehr bloß eine regionale Angelegenheit, sondern das Gipfeltreffen in der Serie A. Rot-Schwarz gegen Schwarz-Blau, Zweiter gegen Erster, Zlatan Ibrahimovic gegen Romelu Lukaku. Vor drei Wochen krachten die beiden Torjäger im Pokalspiel aufeinander, neben ein bisschen Handgemenge und einer Kopfnuss ging es auch verbal derart zur Sache, dass beide vom Verband für ein Spiel gesperrt wurden.

Im Raum standen rassistische Beleidigungen Ibrahimovic‘, der kurz danach aber via Twitter um die richtige Einordnung des Streits bemüht war. "In Zlatans Welt ist kein Platz für Rassismus", schrieb Ibrahimovic da. "Es ist nicht schön, was da passiert ist", sagte Milans Coach Stefano Pioli. "Ich verurteile ihn nicht, solche Dinge können passieren. Ibra ist sicherlich kein Rassist. Beim Kampf gegen Diskriminierung war er immer in vorderster Front."

Ibrahimovic als Blitzableiter

Im Getöse um das Wiedersehen der beiden Superstars geht in diesen Tagen komplett unter, dass beide Klubs in dieser Saison dabei sind, die alten Herrschaftsstrukturen im italienischen Fußball endlich wieder etwas auszubrechen. Während Internazionale spätestens seit dem Amtsantritt von Antonio Conte ein ernstzunehmender Wettbewerber wurde, krabbelt Milan in den letzten Monaten aus der Versenkung hervor und überrascht dabei Experten wie Fans gleichermaßen.

Entscheidenden Anteil an der Renaissance der Rossoneri haben Ibrahimovic und Trainer Stefano Pioli. Ibrahimovic kam vor rund einem Jahr zurück zu Milan und krempelte die Mentalität einer verunsicherten und darbenden Mannschaft komplett um. Der Schwede zog die komplette öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, wirkt seitdem wie ein Blitzableiter für die jungen Hüpfer um ihn herum. Ibrahimovic‘ großes Mundwerk, seine Sprüche und sein übergroßes Ego entpuppten sich aber nicht nur als heiße Luft, sondern färben so langsam - im besten Sinne - auf eine ganze Reihe von Spielern ab.

Coach Pioli als Menschenfänger

Ibra grub das längst verschütt‘ gegangene Milan-Gen wieder aus, diese Mischung aus Grandezza, Souveränität und absolutem Siegeswillen, die den Klub einst zum erfolgreichsten Klub der Welt gemacht hatten. Als Ibrahimovic kam, dümpelte die Mannschaft wie in den Jahren zuvor irgendwo im Mittelfeld herum.

Dann kam die Coronapause und seitdem läuft der Motor auf vollen Touren. Ibrahimovic war der Gamechanger, und das nicht nur auf dem Platz mit seinen Toren und Vorlagen. Der mittlerweile 39-Jährige ist die Galionsfigur, an dem sich die anderen aufrichten können und die dieser Mannschaft so lange gefehlt hatte.

Dazu kommt mit dem international wenig beachteten Pioli ein ganz besonderer Trainer, der in seiner Herangehensweise an einen der ganz Großen bei Milan erinnert: Ähnlich wie einst Carlo Ancelotti gilt Pioli auch als großer Spielerversteher, der mit seiner Menschenführung bei der Mannschaft punktet.

In Italien war Pioli schon zuvor bei prominenten Klubs, coachte Bologna, die Fiorentina, Lazio und sogar den nächsten Gegner Inter. In Florenz sorgte sein damals sehr offener und zugleich empathischer Umgang mit einer traumatisierten Mannschaft nach dem tragischen Tod von Kapitän Davide Astori für positive Schlagzeilen in einer düsteren Zeit. In Mailand spürt man nun, wie sehr Trainer und Mannschaft auch hier zusammengerückt sind und wie das Team seinem Vorgesetzten vertraut.

Maldini bringt Aura und Struktur zurück

Das wiederum hat unmittelbare Auswirkungen auf den Spielstil der Mannschaft und einige einzelne Spieler. Hakan Calhanoglu etwa verfolgte in Italien der Ruf des schlampigen Genies, das nach einem Wundertag wieder vier Wochen lang kein Bein mehr auf den Boden bekommt. Unter Pioli explodierte der ehemalige Hamburger förmlich, ist im Mittelfeld der Anführer und bester Vorlagengeber seiner Mannschaft.

Milan steht als Mannschaft für einen lebendigen, spritzigen und jederzeit kraftvollen Tempo-Fußball, die Mannschaft marschiert 90 Minuten oder wenn es sein muss, auch ein wenig mehr. Die Bräsigkeit vergangener Tage ist einer neuen Frische gewichen und hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass auch Rückschläge dem Team kaum etwas anhaben können.

Geschäftsfrüher Gazidis hat freie Hand

Auch den Ausfall wichtiger Spieler verkraftete Milan bisher ganz hervorragend und ohne großen Qualitätsverlust in seinem Spiel.

Und was auf dem Platz funktioniert, funktioniert auch hinter den Kulissen. Der US-amerikanische Investor Elliott hält sich so gut es geht aus den sportlichen Belangen raus und überlässt Geschäftsführer Ivan Gazidis mehr oder weniger freie Hand.

Gazidis war vorher beim FC Arsenal, nun bastelt er zusammen mit der Ikone schlechthin am Milan der Zukunft: Paolo Maldini ist nach Jahren des Zögerns bei seinem Klub eingestiegen, als eine Art Sportlicher Leiter gibt er im Organigramm nicht nur einen großen Teil der "alten" Milan-Struktur wieder, sondern sorgt auch mit schlauen Transfers für Aufsehen.

Der Trend zeigt steil nach oben

Maldini war es, der Theo Hernandez von Real Madrid holte, den jüngeren Bruder von Bayerns Rekordeinkauf Lucas Hernandez. Damals war der heute 23-Jährige allenfalls eine Randerscheinung, galt bei den Königlichen als teure Fehlinvestition. Bei Milan dreht Theo aber seit Monaten voll auf und dürfte im europäischen Spitzenfußball längst mehr als ein Geheimtipp auf seiner Position links in der Viererkette sein.

Und so greift bei den Rossoneri derzeit ein Rädchen ins andere. Derzeit hat Milan sogar den anderen ewigen Rivalen Juventus abgehängt, der Vorsprung auf den Abonnement-Meister beträgt bei einem absolvierten Spiel mehr sieben Punkte. Zum selben Zeitpunkt der letzten Saison hatte Milan noch sage und schreibe 22 Punkte Rückstand auf Juventus.

Vielleicht wird es in dieser Saison noch nichts mit dem ersten Scudetto seit 2011, dafür wirkt Inter mit seinem deutlich hochwertigeren Kader einfach zu stabil. Aber die Tendenz zeigt wie bei keinem anderen Klub der Serie A steil nach oben. Und eine Wiedergeburt ist für einen Klub wie Milan auch nur dann erfolgreich, wenn wieder Silberware eingespielt wird.

Verwendete Quellen:

  • Twitter-Account: "Zlatan Ibrahimovic"
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