Ajax Amsterdam verzaubert Fußball-Europa. In der Champions League nahmen es die Niederländer in der laufenden Saison mit jedem noch so großen Gegner auf. Am Mittwoch kann ihnen sogar der Einzug ins Finale gelingen. Hinter dem Erfolg steckt die Spielphilosophie von Trainer Erik ten Hag, der beim FC Bayern seinen Lehrmeister fand.

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Kreativität. Freiheit. Verantwortung. Mit diesen drei Eigenschaften beschreibt Erik ten Hag das Spiel seiner Mannschaft. Gepaart mit Ballbesitz, Pressing und begeisterndem Offensivfußball verzaubert Ajax Amsterdam derzeit Europa.

Erstmals seit 22 Jahren steht der niederländische Klub wieder im Halbfinale der Champions League - und hat nach einem 1:0-Hinspiel-Erfolg bei Tottenham Hotspur sogar beste Chancen auf den Einzug ins Endspiel.

Es wäre für ten Hag der größte Erfolg seiner Karriere. Der 49-Jährige hat als Mittelfeldspieler zwar mehr als 300 Ligaspiele bestritten, allerdings nur für Vereine aus der zweiten Reihe. Er war Trainer in Almelo, Enschede und Utrecht. Bei seinem Wechsel im Dezember 2017 nach Amsterdam, wurde er durchaus kritisch beäugt.

Erik ten Hag: Ajax-Trainer lässt Kritiker verstummen

Doch ten Hag hat seine Kritiker, die besonders im vergangenen Sommer nach einer weiteren Ajax-Saison ohne Meistertitel laut wurden, verstummen lassen.

In der laufenden Saison hat Ajax wettbewerbsübergreifend mehr als 160 (!) Tore geschossen, so viele wie kein niederländisches Team jemals zuvor. Ten Hag hat mit mehr als 2,4 Punkten pro Spiel den besten Punkteschnitt aller Ajax-Trainer. Und: Der 49-Jährige ist erst der fünfte niederländische Trainer, der es mit einem niederländischen Klub unter die besten vier Mannschaften Europas geschafft hat.

Amsterdam feiert ersten Titelgewinn seit 2014

Doch allein von diesen Zahlen kann sich ten Hag nichts kaufen. Das weiß er. Es müssen Titel her. Und die liefert er jetzt.

Am vergangenen Wochenende hat Ajax erstmals seit 2014 wieder eine Trophäe in die Luft stemmen können. Im Pokalfinale gewann Amsterdam deutlich mit 4:0 gegen Willem II Tilburg.

In der laufenden Spielzeit haben Ajax und ten Hag noch zwei weitere Möglichkeiten, Titel zu gewinnen. Nach 32 Spieltagen liegt Amsterdam dank der besseren Tordifferenz knapp vor Titelverteidiger PSV Eindhoven auf Platz eins in der Liga und hat damit gute Chancen auf die Meisterschale.

Und eben die Champions League, in der Ajax Spiel für Spiel für Furore sorgt. Ten Hag ist der Archtitekt dieses Erfolgs. Er hat im Laufe seiner Zeit bei Ajax strategisch sehr wichtige Entscheidungen getroffen, die den Klub dorthin gebracht haben, wo er heute steht.

Matthijs de Ligt: Ajax-Kapitän mit gerade einmal 19 Jahren

Er hat Frenkie de Jong, der im Sommer für kolportierte 75 Millionen Euro zum FC Barcelona wechselt, aus der Abwehr ins Mittelfeld vorgezogen. Er hat Matthijs de Ligt mit gerade einmal 19 Jahren zum Kapitän ernannt. "Ich wusste, dass ihm die Kapitänsbinde in der Persönlichkeitsentwicklung helfen wird. Er steht da jetzt als Mann auf dem Platz."

Und er hat seiner Mannschaft ein 4-3-3-System eingebläut, das derzeit von vermutlich keinem anderen Team Europas so gut beherrscht wird. Wohlgemerkt nur in der Defensive, betont ten Hag.

Ten Hag: "Gegen den Ball gibt es kein Wenn und Aber"

Ten Hag sagt, es gehe immer um Struktur, um Freiheiten, Kreativität und Verantwortlichkeiten, die seine Spieler auf dem Feld haben. Aber letztlich, betont er, "geht es um die Defensive. Die defensiven Aufgaben sind immer die Basis eines Ergebnisses."

Und weiter: "Dann [in der Rückwärtsbewegung; Anm. d. Red.] muss jeder diszipliniert seine Position halten. Gegen den Ball gibt es kein Wenn und Aber."

Mit dem Ball sieht es wiederum ganz anders aus. Da kann dann aus dem 4-3-3 auch mal ein 4-2-3-1 werden. "Mit dem Ball will ich Dynamik, Freiheit, Kreativität sehen, da interessiert mich die Grundaufstellung nicht so sehr. Da will ich begeistert werden", sagt ten Hag, der sich selbst als "nüchternen Typen" bezeichnet und Entscheidungen auch auf Grundlage von Datenanalysen trifft.

Ten Hag der Schüler, Guardiola der Meister

Inspiriert von seiner Idee Fußball spielen zu lassen, wurde ten Hag auch in Deutschland. Zwei Jahre lang trainierte er die Reserve des FC Bayern München. Zur gleichen Zeit war Pep Guardiola Trainer des deutschen Rekordmeisters, der seine Mannschaften ebenfalls immer in einem 4-3-3-System spielen lässt.

München war die vielleicht wichtigste Trainer-Station für ten Hag. Während seiner Zeit bei den Bayern stand er im ständigen Austausch mit Guardiola und schaute sich bei ihm die Grundlagen seines Spielstils ab. "Ich habe damals fast jedes Training angeschaut, da habe ich methodisch viel mitgenommen", sagte ten Hag einmal der "Süddeutschen Zeitung".

Wie der Spanier setzt auch der Niederländer auf Ballbesitzfußball, auf Überzahlspiel, auf aggressives Pressing. Er sagt Sachen wie: "Natürlich will ich Ballbesitz - aber in der gegnerischen Hälfte. Ich will Ballbesitz, um dem Gegener wehzutun" oder "Haben wir den Ball, kann der Gegner kein Tor machen".

Ten Hag setzt auf größtmögliche Spielkontrolle. Und egal wie der Gegner heißt, der Niederländer beharrt auf seiner Spielphilosophie.

Ajax gewinnt alle Auswärtsspiele in der K.o.-Runde der Champions League

In der K.o.-Runde der Champions League gewann Ajax im Achtelfinale bei Titelverteidiger Real Madrid, im Viertelfinale bei Cristiano Ronaldos Juventus Turin und zuletzt im Halbfinale in England bei den Tottenham Hotspur.

Sowohl gegen die Spanier als auch gegen die Italiener war Ajax als klarer Außenseiter in die Partie gegangen. Sollten die Niederländer tatsächlich ins Champions-League-Finale einziehen, wären sie im Duell mit dem FC Liverpool einmal mehr der Underdog.

Doch das dürfte ten Hag nicht kümmern. Seine Mannschaft bewies in den vergangenen Monaten, dass sie es mit jedem Spitzenteam in Europa aufnehmen kann. Das Team sei "furchtlos", sagt Mittelfeldspieler Hakim Ziyech und betont: "Wir ziehen unseren Stil durch und zeigen, dass es möglich ist, gegen große Mannschaften gut zu spielen und sie sogar zu schlagen."

Doch Ziyech, der zuletzt mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht wurde, weiß auch: "Einen Fehler sollten wir nicht machen: jetzt schon ans Finale zu denken." Denn auf Ajax und ten Hag wartet am Mittwoch vorerst noch das Halbfinal-Rückspiel gegen Tottenham Hotspur (21:00 Uhr, LIVE bei uns im Ticker).

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