• Der Unparteiische sorgt in Mönchengladbach für die Entfernung eines Banners, auf dem der Gegner aus Leipzig übel beleidigt wird.
  • Von Fans wird er dafür kritisiert, während sowohl die Gladbacher selbst als auch der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB das Vorgehen des Referees richtig finden – aus guten Gründen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Vor rund zweieinhalb Jahre kam es bei mehreren Bundesligaspielen zu längeren Unterbrechungen durch die Schiedsrichter, weil in den Fankurven Spruchbänder gezeigt wurden, die sich in herabwürdigender Weise gegen Dietmar Hopp richteten, den Mäzen der TSG 1899 Hoffenheim.

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Die Unparteiischen waren damals angehalten, den sogenannten Dreistufenplan – der bei rassistischen und anderen diskriminierenden Vorfällen umgesetzt werden soll und die Stufen Unterbrechung, Gang in die Kabine und Spielabbruch umfasst – auch in einem solchen Fall anzuwenden. Also zögerten sie die Fortsetzung der betreffenden Begegnungen so lange hinaus, bis die Banner und Transparente entfernt waren.

Das sorgte insbesondere bei organisierten Fans für viel Kritik, und schließlich präzisierte der DFB seine Anweisungen in einer Handreichung: Die Anwendung dieses Plans sei auch bei personifizierten Gewaltandrohungen möglich, aber nicht bei Beleidigungen, Schmähungen, Diffamierungen oder Verunglimpfungen, die keine Diskriminierung darstellen.

Zu den Beispielen für solche nicht diskriminierenden Äußerungen zählt, trotz seines frauenfeindlichen Charakters, auch das Wort "Hurensohn", mit dem Hopp im Frühjahr 2020 mehrfach auf Spruchbändern angegangen wurde.

Als am Samstagabend das Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig (3:0) stattfand, nahmen Teile des Anhangs der Hausherren vor allem die früheren Gladbacher Marco Rose und Max Eberl verbal ins Visier. Rose ist neuerdings Trainer in Leipzig, Eberl wird dort wahrscheinlich neuer Sportdirektor. Beide wurden auf Plakaten und mit Rufen während des Spiels wüst beschimpft und beleidigt.

Als dann nach 40 Minuten in der Nordkurve des Borussia-Parks ein großes Transparent mit der Aufschrift "Ein Hurensohnverein stellt nur Hurensöhne ein" präsentiert wurde, schritt Schiedsrichter Patrick Ittrich ein: Er veranlasste über den Vierten Offiziellen eine Stadiondurchsage, in der die Fans aufgefordert wurden, das Banner zu entfernen. Andernfalls drohe eine Unterbrechung des Spiels.

Christoph Kramer: Ittrichs Vorgehen "komplett richtig"

Die Partie wurde nach der Durchsage fortgesetzt, das Spruchband verschwand kurz darauf. "Nicht okay" war das Banner, dessen Aussage fraglos vor allem Eberl und Rose galt, für den Gladbacher Coach Daniel Farke.

Sogar von einer "absoluten Sauerei" sprach Christoph Kramer, Weltmeister von 2014 und Spieler in Diensten der Borussia. Zwar sei er "als Fußballromantiker auch nicht der größte Fan von RB Leipzig", aber "Hass hat auf dem Sportplatz, in unserem Verein, in der Welt, in der wir leben, nichts verloren", sagte er. Ittrichs Vorgehen hielt Kramer deshalb für "komplett richtig".

Anders sahen es viele Fans, die dem Unparteiischen in den sozialen Netzwerken vorwarfen, die DFB-Richtlinien ignoriert und seine Kompetenzen überschritten zu haben.

Ittrich selbst äußerte gegenüber dem Sender Sky: "Bei Spruchbändern, wo Beleidigungen oder Schmähungen zu sehen sind, da habe ich eine relativ kurze Leine. Ich finde, dieser rechtsfreie Raum, sowohl im Internet als auch im Stadion, muss unterbunden werden, dagegen muss klar vorgegangen werden." Es seien "Kinder im Stadion" und "Menschen, die wollen Fußball sehen".

Den Fußball zu nutzen, um "wirklich beleidigende und schmähende Äußerungen rauszuposaunen – das muss aufhören", so der 43-jährige Hamburger. Zugleich betonte er, der Dreistufenplan müsse eingehalten werden, aber die Mittel müssten auch verhältnismäßig sein.

DFB-Lehrwart Wagner: "Feinfühlig gemacht"

Aber hat Patrick Ittrich überhaupt auf diesen Plan zurückgegriffen? Sein Vorgehen war eher die Vorstufe dazu, wie Lutz Wagner, der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB, im Interview des Deutschlandfunks erklärte: "Er hat zuerst einmal verlangt, dass das Banner entfernt wird, und wenn nicht, dann wird er das Spiel unterbrechen."

Es sei entscheidend, dass die Werkzeuge, die der Unparteiische hat, "mit Augenmaß angewendet werden", so Wagner. Zu diesen Werkzeugen zähle nicht nur der Dreistufenplan. Der Referee habe "den Ordnungskräften Gelegenheit gegeben, das Banner zu entfernen". Das sei auch geschehen. "Damit hat er das Richtige erreicht, und das hat er sehr feinfühlig gemacht."

Relevant seien nicht nur die Buchstaben des Regelwerks und der Anweisungen, sondern "auch ein bisschen der gesunde Menschenverstand", sagte Wagner weiter. Äußerungen wie auf dem Transparent wolle niemand sehen, "so etwas gehört nicht auf den Platz". Man könne nicht immer alles mit Emotionen rechtfertigen.

Zur Frage, wo die Grenzen zu ziehen seien, führte Wagner aus, das hänge auch von den Umständen und der jeweiligen Situation ab sowie vom Ermessen des Schiedsrichters. Das heißt zum Beispiel: In einer ohnehin aufgeheizten Atmosphäre können bestimmte Beleidigungen, Herabwürdigungen und Provokationen andere, gravierendere Folgen haben als in einer Partie, die ruhig verläuft.

Auch das Regelwerk ist auf Ittrichs Seite

Patrick Ittrich hat für seine umsichtige und einfühlsame Spielleitung in dieser heiklen und vorbelasteten Partie zu Recht viel Lob bekommen. Seine Maßnahmen zur Deeskalation auf dem Feld funktionierten sehr gut, durch seine Kommunikation mit den Akteuren nahm er immer wieder die Hektik aus der Begegnung.

Dazu passte es dann eben auch, auf der Entfernung eines Spruchbandes zu bestehen, das über Eskalationspotenzial verfügte. Übrigens hatte Ittrich dazu ganz ungeachtet des Dreistufenplans – der sich nicht in den Fußballregeln findet, sondern eine ergänzende Anweisung ist – die regeltechnische Handhabe.

Konkret: Das Regelwerk gibt dem Schiedsrichter die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn auf unterschiedliche Art von außen das Spiel beeinträchtigt zu werden droht. Diese Beeinträchtigung können Wurfgegenstände und Pyrotechnik sein, aber auch beleidigende Banner.

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In den Präzisierungen des DFB zum Dreistufenplan ist zwar festgehalten, dass "Hurensohn" keine Diskriminierung ist, die eine sofortige Spielunterbrechung als erste Stufe erfordert. Aber das bedeutet nicht, dass diese Beleidigung – wie auch andere Herabwürdigungen von Zuschauerseite – während eines Spiels immer und automatisch ohne Folgen bleibt. Wenn der Referee zu dem Schluss kommt, dass ein Eingreifen erforderlich ist, kann er entsprechend handeln.

Womöglich wäre es darüber hinaus auch eine gute Idee, sich einmal darüber zu unterhalten, ob Beleidigungen, die in jedem anderen Kontext juristische Folgen hätten, in Fußballstadien weiterhin als harmlose Folklore durchgehen sollen. Diese Debatte hat Patrick Ittrich zweifellos angestoßen.

Verwendete Quellen:

Deutschlandfunk: Interview mit Lutz Wagner


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