Der FC Bayern München setzt mit dem 4:0-Sieg in Wolfsburg ein klares Statement. Zu hoch, sagt der VfL. Doch in drei entscheidenden Bereichen ist der FCB schlichtweg überlegen. Eine Analyse des Spitzenspiels.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Selbst nach dem 4:0-Sieg beim VfL Wolfsburg wollte man beim FC Bayern keine großen Töne verlauten lassen. Sieben Punkte beträgt der Vorsprung auf den großen Kontrahenten in der Liga nun. Aber es wären ja noch "fünf ganz verschiedene Spiele" zu absolvieren, befand beispielsweise Klara Bühl bei "DAZN".

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Freude über den Statementsieg: Ja. Ansagen in Richtung Wolfsburg: Fehlanzeige. In München übt man sich in Bescheidenheit. Dabei hat der Sieg gegen den VfL Wolfsburg einen großen qualitativen Unterschied zwischen beiden Teams offenbart. Ein Unterschied, der sich in drei Bereichen besonders bemerkbar gemacht hat.

VfL Wolfsburg: Drohender Zusammenbruch

Beim VfL Wolfsburg ist die Abhängigkeit von Schlüsselspielerinnen wie Alexandra Popp, Marina Hegering oder Svenja Huth riesig. Das Trio verfügt über einzigartige Qualitäten, hat dem Team in dieser Saison schon zahlreiche Spiele gewinnen können. Nicht immer allein mit fußballerischer Qualität, sondern auch über ihre Ausstrahlung und Führungsqualitäten.

Popp fiel gegen den FC Bayern aus, Hegering musste früh verletzt vom Platz. Zwei Rückschläge, die der VfL nicht kompensieren konnte. Offensiv fehlte die Durchschlagskraft und Effizienz der Top-Stürmerin, defensiv die Abgeklärtheit der Innenverteidigerin. Wirklich problematisch wäre all das nicht, wenn es ein kurzfristiges Thema wäre.

Wolfsburg aber hat hier ein mittel-, gar langfristiges Problem. Denn Popp, Huth und Hegering sind jeweils über 30 Jahre alt, werden ihre Karriere eher früher als später beenden und auch an Leistungsfähigkeit einbüßen. Hinzu kommt, dass Säulen wie Dominique Janssen (wechselt nach England) und Lena Oberdorf (wechselt zum FC Bayern) wegbrechen.

Beim VfL muss man die komplette Achse neu ausrichten. Im direkten Duell wurde deutlich, wie viel besser die Kaderstruktur der Bayern ist. Hinzu kommt, dass die Bayern in der Lage sind, ihren Schlüsselspielerinnen eine lukrative Perspektive aufzuzeigen – im Komplettpaket aus Standort, sportlicher Entwicklung und Finanzen. Wolfsburg gelingt das offenkundig nicht. Zumindest im Moment.

Bayern hat eine klare Identität – Wolfsburg eher nicht

Tommy Stroot, Svenja Huth, Merle Frohms – sie alle waren hinterher darum bemüht, die Deutlichkeit der Niederlage einzuordnen. Dabei hatten sie durchaus gute Argumente. In der ersten Halbzeit war das Duell sehr offen, Wolfsburg hätte mehrfach in Führung gehen können. Die Bayern ebenso.

Ein 1:0 des Heimteams hätte den Spielverlauf verändert. Bayern konnte auch deshalb so hoch gewinnen, weil die Wolfsburgerinnen komplett geöffnet haben und ins Risiko gingen, um den Sieben-Punkte-Rückstand zu vermeiden. Gegen diese Erklärung ist wenig einzuwenden. Und doch kam die Selbstkritik in den Gesprächen nach dem Spiel zu kurz.

Denn gerade nach dem 0:1 wurde deutlich, was beim VfL Wolfsburg bereits seit Monaten nicht wirklich funktioniert: Das Spiel nach vorn ist viel zu eindimensional. Im Prinzip bestanden die meisten Angriffe aus eigenen Ballbesitzphasen durch lange Schläge in die Strafraumnähe. Flanken über Flanken – vor allem ohne Popp fehlte es an Gefahr. Das ist für ein Top-Team zu wenig.

Da hilft es auch nicht, dass das Pressing mitunter sehr gut strukturiert war. Gerade im ersten Durchgang gelangen den Wolfsburgerinnen zwei, drei vielversprechende Ballgewinne, die nicht gut genug ausgespielt wurden.

Der FC Bayern ist taktisch variabler und hat in dieser Saison mehrfach bewiesen, dass er dahingehend breiter aufgestellt ist. Seit Alexander Straus da ist, hat sich vor allem das Ballbesitzspiel weiterentwickelt. Kommen die Münchnerinnen wie im zweiten Durchgang gegen Wolfsburg ins Kombinieren, sind sie kaum zu stoppen.

Auch das ist ein Aspekt, der dazu führt, dass Topspielerinnen mittlerweile gern zum FC Bayern wechseln. Während die fehlende Identität beim VfL eher dazu führt, dass wichtige Spielerinnen den Klub verlassen.

FC Bayern ist mittlerweile abgezockter als Wolfsburg

Schon in den letzten Jahren hat sich das Potenzial mehrfach angedeutet, dass die Bayern Wolfsburg überholen könnten. So richtig Abstand aufbauen konnten die Münchnerinnen häufig aber nicht. In dieser Saison ist das anders. Das liegt an den angesprochenen gegenläufigen Entwicklungen.

Es liegt aber auch daran, dass die Bayern mittlerweile abgezockter agieren als der VfL. Eine Qualität, auf die Wolfsburg sonst immer das Monopol hatte. Gerade in der entscheidenden Phase der Rückrunde sind die Bayern aber brutal effizient. Viele Chancen haben sie auch in Wolfsburg wieder nicht gebraucht, um Tore zu schießen.

Der VfL hingegen ließ die Momente aus, in denen er den Spielverlauf hätte anders prägen können. Ein weiterer Grund dafür, dass Wolfsburg erneut nicht Meister wird.

VfL Wolfsburg vs. FC Bayern: Die Meisterschaft ist durch – die Vormachtstellung auch?

Denn bei sieben Punkten, da müsse man sich nichts vormachen, befand auch Stroot, ist die Bundesliga entschieden. Natürlich nicht mathematisch bei fünf verbleibenden Spielen. Schaut man allerdings auf das Restprogramm der Bayern, gibt es kaum noch große Stolpersteine. Man könnte es sich gar erlauben, die beiden Auswärtsspiele in Leverkusen und Hoffenheim zu verlieren und würde bei Siegen in Duisburg, gegen Bremen und gegen Nürnberg trotzdem Meister werden.

Die Bayern wirken viel zu gefestigt, als dass sie den Titelkampf nochmal entfachen würden. Doch die viel größere Frage ist ja die nach der Vormachtstellung. Schaut man auf das Gesamtbild, das die feststehenden Transfers beider Klubs, die aktuelle Gefühlslage und eben das klare 4:0 in der Bundesliga zeichnen, kommt man nicht drum herum, von einem Wechsel an der Spitze Deutschlands auszugehen.

Auch wenn man in München weiterhin darum bemüht sein wird, das Thema auszublenden. Bescheidenheit, die den großen Respekt vor dem Rivalen ausdrückt. Die Realität aber war eindeutig. Eindeutiger, als man es beim VfL direkt nach Schlusspfiff wahrhaben wollte. Der Sieben-Punkte-Abstand spiegelt auch einen Qualitätsunterschied.

Immerhin: Im DFB-Pokal hat Wolfsburg noch die Chance, dem Verlust der Spitzenposition im deutschen Fußball der Frauen noch etwas entgegenzuwirken. Mit Blick in die Zukunft fällt es aktuell aber schwer, nicht davon auszugehen, dass die Bayern über die Bundesliga-Tabelle hinaus die neue Nummer eins in Deutschland sind.


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