Es ist ruhig vor dem angeblichen Spiel der Spiele, der Klassiker zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München dämmert geradezu seinem Anpfiff entgegen. Früher war das alles ein wenig anders. Aber früher gab es auch noch Typen, die gerne mal provozierten.

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Oliver Kahn war schon geschlagen, in gebückter Haltung konnte er dem Freistoß von Tomas Rosicky nur noch hinterherschauen. Der Ball prallte ans linke Lattenkreuz, von dort auf die Linie und an Kahns Knie. Der Keeper beseitigte die Bedrohung, ging in die Knie und reckte triumphierend die Faust nach oben. Und hinter Kahn, im Block der Bayern, flackerten die Bengalos dazu.

Die Bayern retteten in dieser letzten Aktion auf Bayern-Art ein 1:1 in Dortmund, es war das wildeste Spiel der Nullerjahre. Eine Schlacht, 80.000 entfesselte Fans auf den Rängen, zwölf Gelbe Karten und drei Platzverweise, Handküsschen von Effe für die Haupttribüne.

Davor und danach war die Stimmung rund um das Spiel aufgeheizt, im Westfalenstadion ging es wie so oft zwischen Dortmund und den Bayern um mehr als nur Fußball.

Die Folklore ist fast tot

Wenn sich beide Mannschaften am Samstag im Signal Iduna Park treffen, wird es unter Umständen auch etwas hitziger hergehen als in einem handelsüblichen Bundesligaspiel. Aber die ganz große Schärfe, die Biestigkeit ist raus. Das Spiel wird jetzt ja "der deutsche Clasico" genannt und ebenso platt und belanglos ging es in den letzten Tagen zwischen beiden Klubs auch zu.

Hans-Joachim Watzke und Karl-Heinz Rummenigge verabredeten sich in der "Sport Bild" zum netten Plausch und offenbarten, warum beide seit geraumer Zeit per Du sind und sich über das Geschäftliche hinaus auch ganz gut verstehen. Fast gewinnt man den Eindruck, dass sich da bei DEM Spiel der Hinrunde tatsächlich die Betriebssportmannschaften zweier Aktiengesellschaften gegenüberstehen, so aalglatt und gepflegt ist der Umgangston - und nicht zwei pulsierende Fußball-Klubs.

Die Folklore um dieses Spitzenspiel ist fast tot und es will sich partout nicht die notwendige Stimmung einstellen, um sich auch mental auf ein großes, vielleicht sogar mal wieder archaisches Spiel einzustellen. Der deutsche Clasico, er dämmert seinem Anpfiff entgegen.

Es fehlen Typen wie Großkreutz und Hoeneß

Natürlich gibt es immer noch eine Menge Reibungspunkte. Die Geschichte dieses Duells. Die Abtrünnigen auf beiden Seiten, Mats Hummels, Mario Götze und Robert Lewandowski. Reizfiguren wie Manuel Neuer oder Franck Ribery, auch Arjen Robben haben die BVB-Fans besonders tief in ihr Herz geschlossen. Und natürlich die Tabellenkonstellation, die Borussia kann mit einem Sieg bis auf drei Punkte an die Bayern heranrücken und für so etwas wie einen echten Titelkampf sorgen.

Aber sonst? "Das wird ein heißer Tanz", sagt Thomas Müller. Und das ist dann auch schon das Härteste, das man im Vorfeld zu hören bekommt. Der Rest ist das ganz große Kuscheln. Es wirkt alles eine Spur zu weichgespült und verständnisvoll. Natürlich kann man auf die ganzen Maulhelden gerne verzichten. Aber ein bisschen mehr Zunder wäre der Veranstaltung sicherlich ganz zuträglich.

Man sehnt sich förmlich nach einem beherzten Facebook-Post von Kevin Großkreutz zur Lage der Nation oder einem von jenen wilden Ritten, für die Uli Hoeneß berüchtigt war. Und, seien wir mal ehrlich, auf seltsame Weise doch auch von Nicht-Bayern-Fans zumindest respektiert wurde.

Großkreutz ist zwar immer noch der Dortmunder Junge, spielt aber halt mittlerweile für den VfB Stuttgart und hat zum Thema deshalb kaum etwas beizutragen. Und Hoeneß wird erst seine Wiederwahl zum Präsidenten abwarten, ehe er sich langsam wieder an sein altes Niveau herantastet.

Die Ruhe vor dem Sturm?

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich der BVB durchaus seiner Rolle als gehemmter "Bayern-Jäger" bewusst ist. Die letzten drei Jahre haben Spuren hinterlassen, die Dominanz der Bayern war so frappierend und erdrückend, dass einfach nicht die rechte Zeit ist für markige Sprüche - um dann danach wieder den Hintern versohlt zu bekommen, so wie vor rund einem Jahr beim 1:5 in München.

Die Länderspielpause war natürlich auch etwas ungünstig gesetzt, so wenige Tage vor dem Spiel der Spiele. Fünf Bayern- und Dortmund-Spiel waren alleine mit dem DFB gemeinsam unterwegs, einige auch noch für andere Landesverbände. Da packt man nicht die verbale Keule aus und giftet ein bisschen und provoziert. Da besinnt man sich auf seine Aufgaben in der WM-Qualifikation oder einem Testspiel, macht seinen Job und kehrt wieder zurück. Und dann steigt ja auch schon das Spiel.

Wollen wir hoffen, dass die Ruhe der letzten Tage so etwas wie die viel zitierte Ruhe vor dem Sturm war. Dass sich beide Mannschaften alle Kraft für ein hinreißendes Spiel aufbewahrt haben, mit allem, was beim Fußball eben dazu gehört.

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