Borussia Dortmund muss sich nichts mehr vormachen. Trainer Lucien Favre hat allen Kredit verspielt. Die "Favre raus!"-Rufe aus dem Publikum waren zur Halbzeit, als die Mannschaft mit 0:3 gegen den Bundesliga-Letzten SC Paderborn hinten lag, nicht zu überhören.

Eine Kolumne
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Die Aufholjagd mit dem späten Ausgleich zum 3:3 ändert so wenig an seiner Situation wie die Nibelungentreue von Kapitän Marco Reus: Der Trainer hat fast fertig.

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Seit elf Monaten schon hangelt sich Borussia Dortmund von einer Ausrede zur nächsten, klammert sich jedesmal an die dünne Hoffnung auf Besserung, wenn zwischendurch ein überzeugender Sieg gelingt, und will mit vereinten Kräften die Wahrheit ignorieren.

Diese Mannschaft braucht einen Trainer, der die Spieler entfesselt und nicht bändigt, einen, der die eigene Stärke propagiert und nicht die des Gegners. Einen Hasenfuß braucht der BVB nicht.

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Kapitän Reus sagt, der Trainer stelle die Mannschaft "super" ein. Das kann nicht sein. Sonst würde diese Mannschaft keinen Nichtangriffspakt vorm Bayern-Spiel schmieden und nicht tölpelhaft in die Konterfallen des SC Paderborn tapsen.

Von diesem Aufsteiger weiß man: Seine beste Waffe ist das Umschaltspiel. Dagegen muss man schnelle Leute stellen. Also nicht Mats Hummels und Julian Weigl. Was tut Favre? Er nimmt Hummels und Weigl.

Favre jubelt ohne BVB-Fans

Diese taktischen Unstimmigkeiten sind bei Favre seit längerem zu beobachten und kratzen unweigerlich an seinem letzten Argument, das er für sich zu reklamieren glaubt, an seinem Ruf als Taktik-Fuchs.

Ein Trainer, der ein Patentrecht auf ausgetüftelte Matchpläne erhebt, verzichtet in einer Schlacht wie vor zwei Wochen in München nicht auf ein Kämpferherz wie Thomas Delaney. Und vor allem: Er verliert dann nicht 0:4. Fußball ist keine Mathematik.

Lucien Favre war gestern Abend der einzige bei Borussia Dortmund, der beim Schlusspfiff jubelnd die Arme hochriss, was durchaus Rückschlüsse zulässt, dass der Trainer die Lage verkennt.

Matthias Sammer, der auf der Tribüne neben BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke saß, kann er nicht täuschen. Der Meistertrainer von 2002 und Chefberater in der Führungsriege kennt die Wechselwirkung von Taktik und Körpersprache besser.

Beim BVB hat Sammer sein Profileben lang die Dominanz auf dem Spielfeld gepredigt, die Attacke als beste Verteidigungsstrategie. Diese Wucht, das eigene Spiel komplett in die Hälfte des Gegners zu verlagern, natürlich abgesichert, war beim 3:3 gegen Paderborn allein in den zweiten 45 Minuten zu sehen.

Warum nicht von Anfang an? Weil Favre die schnellen Achraf Hakimi, Thorgan Hazard und Julian Brandt erst zur Pause brachte.

Man kann nur spekulieren, wann die BVB-Bosse die Reißleine ziehen. Bis Weihnachten gibt’s keinen günstigen Moment für einen Trainerwechsel mehr. Die Vorrunde der Champions League geht in die entscheidende Phase.

Auf dem Trainermarkt drängt sich auch kein geeigneter Kandidat auf. Bayern München hatte den Mumm zu einer Interimslösung. Manchmal hilft die harte Tour.

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