Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seitdem deutsche Hooligans marodierend durch den damaligen WM-Spielort Lens zogen. Sie schlugen den Polizisten Daniel Nivel beinahe tot.

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Daniel Nivel ist auf einem Auge blind, kann weder riechen noch schmecken und kaum hören. Das Schwierigste für den heute 68-Jährigen ist aber, dass er 25 Jahre nach der feigen Attacke deutscher Hooligans auf ihn auch nicht mehr sprechen kann.

"Die Fähigkeit, sich ausdrücken zu können, fehlt im sehr", sagte Ehefrau Lorette der "Sport Bild" anlässlich des Jahrestages und machte klar: "Der 21. Juni 1998 bleibt unvergessen. Man hat meinem Mann seine Freiheit genommen. Es ist viel Trauer und Leid entstanden, die Bitterkeit ist unermesslich." Alles in Nivels Leben sei "unter diesen Umständen schwer zu bewältigen."

Der DFB erinnert an Daniel Nivel

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat 25 Jahre nach den Gewalttaten von Lens an den damals lebensgefährlich verletzten französischen Gendarmen erinnert.

Jener verhängnisvolle Sonntag bei der WM in Frankreich ging als "Schande von Lens" in die deutsche Fußball-Geschichte ein. Von "einem der dunkelsten Kapitel im deutschen Fußball" spricht DFB-Präsident Bernd Neuendorf in einer neuen ZDF-Dokumentation über den Angriff, der auch nach einem Vierteljahrhundert noch fassungslos macht. Die Täter hätten sich "verhalten wie Monster", heißt es später im Urteil.

David Nivel empfängt am 22. März 1999 ein Geschenk des DFB-Präsidenten Egidius Braun
Der französische Gendarm David Nivel (r.) empfängt am 22. März 1999 im Beisein seiner Frau Lorette (M.) aus den Händen des DFB-Präsidenten Egidius Braun (l.) ein Geschenk. Nivel war am 21. Juni 1998 in Lens im Vorfeld der WM-Vorrundenpartie Deutschlands gegen Jugoslawien von Randalierern lebensgefählich verletzt worden. (Archivbild) © REUTERS/JES/AA

Neuendorf habe sich in einem persönlichen Schreiben an die Familie Nivel gewandt und sie zum Länderspiel der Männer am 12. September gegen Frankreich nach Dortmund eingeladen. "Ich freue mich sehr, dass sie diese Einladung angenommen haben", sagte Neuendorf.

Zwei Kollegen Daniel Nivels können fliehen

Eine dreistellige Zahl deutscher Krawallmacher zog an jenem 21. Juni 1998 durch die Straßen der nordfranzösischen Kleinstadt, in der Deutschland am Abend am zweiten Spieltag der Vorrunde auf Jugoslawien (2:2) traf. Nivel sperrte zusammen mit zwei anderen französischen Gendarmen die enge Rue Romuald Pruvost ab, als er und seine Kollegen von einer kleinen Gruppe Hooligans attackiert wurden. Die beiden Kollegen Nivels konnten fliehen.

Nivel, damals 43 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, wurde von einem bis heute unbekannten Mann zu Boden gestoßen und verlor seinen Helm. Mehrere Männer traten und schlugen auf den wehrlosen Polizisten ein, teilweise mit einer Werbetafel aus Holz und dem Aufsatz seines Tränengasgewehres. Nivel blieb in einer Blutlache liegen, erwachte erst nach sechs Wochen aus dem Koma. An den Überfall hat er keine Erinnerungen. Nivel trug irreparable Hirnschäden davon.

Deutsche Hooligans liefern sich am 21. Juni 1998 eine Straßenschlacht mit der Polizei in Lens
Deutsche Hooligans liefern sich am 21. Juni 1998 in Lens nach dem WM-Vorrundenspiel Deutschlands gegen Jugoslawien eine Straßenschlacht mit der Polizei. (Archivbild) © AFP/Philippe Huguen

Deutschland und Frankreich standen nach der brutalen Attacke unter Schock. Bundeskanzler Helmut Kohl nannte die Täter eine "Schande für unser Land". Der damalige DFB-Präsident Egidius Braun erwägte sogar, die deutsche Mannschaft von der WM abzuziehen. Kohl und Uefa-Präsident Lennart Johansson aber überzeugten "mich", so Braun, "dass das nicht der richtige Weg gewesen wäre - die Gewalttäter hätten über den Sport obsiegt".

Die Tat wirkt bis heute nach. Der DFB gründete im Jahr 2000 die Daniel-Nivel-Stiftung, die sich unter anderem um Gewaltprävention kümmert. Nivel kam mehrmals auf Einladung des DFB zu Fußballspielen, auch bei der WM 2006 in Deutschland oder der EM 2016 in Frankreich. Vor dem Spiel der Nations League am 16. Oktober 2018 in Paris verlieh ihm Bundesaußenminister Heiko Maas das Bundesverdienstkreuz.

Der französische Polizist Daniel Nivel am 16. Oktober 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz
Der von deutschen Hooligans am 21. Juni 1998 in Lens attackierte und lebensgefährlich verletzte französische Polizist Daniel Nivel erhält am 16. Oktober 2018 das Bundesverdienstkreuz. (Archivbild) © dpa / Xander Heinl / photothek.net

Die Strafen gegen sechs Angreifer trösten die Familie Nivel nicht

Sechs Hooligans wurden in mehreren Prozessen zwischen 1999 und 2003 zu Haftstraßen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren verurteilt. Für die Familie Nivel ein schwacher Trost. "Sie kamen", sagte Ehefrau Lorette, "ja wieder aus dem Gefängnis, sie bekamen ihr Leben zurück."

Das Haus mit der Nummer 74 in der Rue Romuald Pruvost, vor dem Nivels Leben beinahe ausgelöscht wurde, ist längst abgerissen. Inzwischen ist dort eine Grünfläche entstanden. (dpa/sid/hau)

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