Der umstrittene Demonstrationszug in Berlin kann doch stattfinden. Rechte und Rechtsextreme hatten das zwischenzeitlich bestehende Verbot als Aufhänger genutzt, um die Stimmung weiter anzuheizen. Die Mobilisierung nach Berlin lief seit Wochen – mit gefährlichen Plänen.

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Nun hat auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in zweiter Instanz entschieden: Das Verbot der Großdemonstration hat keinen Bestand – sie darf entgegen vorherig lautender Mitteilungen der Senatsverwaltung stattfinden. Jene hatte mit dem Argument einer zu erwartenden Missachtung von Hygieneauflagen versucht, die Demonstration zu verhindern.

Die Polizei rüstet sich nicht nur deshalb mit rund 3.000 Kräften für einen Großeinsatz. Denn die Sorgen vor Ausschreitungen sind groß: Rechte und Rechtsextreme hatten das ursprünglich von Berlins Innensenator Andreas Geisel verkündete Verbot zur Anti-Corona-Maßnahmen-Demo als Aufhänger genutzt, um für einen "Sturm auf Berlin" zu mobilisieren.

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Bilder vom Samstagmorgen lassen vermuten: Das kurzzeitige Verbot dürfte der Szene bei der Mobilisierung nicht geschadet haben. Im Gegenteil bleibt die sorgenvolle Frage: Wiederholt sich an diesem Wochenende ein zweites Chemnitz?

Wiederholt sich ein zweites Chemnitz?

Es ist ein anderer Ort: Berlin. Es ist ein anderer Anlass: Die als zu weitreichend empfundenen Corona-Maßnahmen und die Beschneidung von Freiheitsrechten.

Trotzdem: Die Parallelen sind vorhanden. Die gewalttätigen Ausschreitungen von Chemnitz sind fast auf den Tag genau zwei Jahre her. Ende August 2018 hatten rechte und rechtsextremen Gruppen nach einer tödlichen Messerstecherei am Rande des Chemnitzer Stadtfestes zu Protesten aufgerufen. Damals kam es mehrere Tage lang zu einer Reihe von ausländerfeindlichen und antisemitischen Straftaten, wobei organisierte Rechte und Neonazis ausländisch aussehende Passanten sowie Gegendemonstranten, Polizisten und Pressevertreter attackierten.

Eine ähnliche gewaltaffine Mischung wird nun auch für Berlin erwartet. Denn im Vorfeld haben zahlreiche Vertreter rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien, wie der AfD, der NPD und des "III. Weges", und Gruppierungen, darunter "Ein Prozent" und Reichsbürger, oder das rechte Magazin "Compact" zur Demonstration in der Hauptstadt mobilisiert.

Nahezu die gesamte rechte Szene des Landes wird erwartet

"Wir lassen uns das nicht bieten. Die @AfDBerlin wird daher zu einer Kundgebung gegen das #Demoverbot aufrufen. Wir wollen am Sonnabend um 11 Uhr vor dem Brandenburger Tor für unseren Rechtsstaat und unsere Grundrechte demonstrieren", hatte beispielsweise die Berliner AfD getwittert.

Nun, nachdem feststeht, dass die Großdemonstration stattfinden darf, schreibt die Partei von einem "Sieg der Freiheit" und fordert den Rücktritt von Geisel.

Andere gehen noch weiter, wie der ehemalige AfD-Vorsitzende in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. Er veröffentlichte auf Twitter Plakate mit Aufschriften wie "Eine Revolution beantragt man nicht beim Ordnungsamt".

Und der neurechte, der Identitären Bewegung nahestehende Verein "Ein Prozent" teilte ein Youtube-Video von Publizist Götz Kubitschek, politischer Aktivist der Neuen Rechten. Der kündigte an: "Wenn es zur harten Konfrontation kommt, werde ich mir das spontan doch vor Ort anschauen - aus dem einfachen Grund, weil ich längst nur noch den eigenen Augen traue." Das "Compact"-Magazin sprach vom 29. August gar vom "wichtigster Tag seit 1945".

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Aufrufe zu Gewalt und Umsturz

Die gewählten Worte klingen nicht zufällig nach Revolution und Umsturz: Aufrufe zu Gewalt mehrten sich bereits Tage vor der Demonstration. So schrieb ein anonymer User in der Telegram-Gruppe "demo.stream": "Ab jetzt sind auch Waffen zur Gegenwehr erlaubt." Er rief auf: "Wir stürmen Berlin und beenden die rote Diktatur".

Auch nach Aufhebung des Verbots hieß es auf dem Kanal: "Eine solche Politik darf nicht länger das Ruder halten und muss abgesetzt werden." - "Notfalls auch mit Gewalt?", fragt ein Nutzer zurück. Die Antwort: "Naja, mal ganz ehrlich, mit Singen, Tanzen und Klatschen ist noch nie eine Revolution gelungen."

Noch eindeutiger wird ein anderer Nutzer: "Das Volk" habe "jetzt erst recht die Pflicht dagegen aufzubegehren, den Reichstag zu stürmen und das Politikergesindel dort zu entfernen".

Unterwanderung der Demonstrationen

Die Berliner Polizei ist angesichts solch massiven Drohungen in Alarmbereitschaft versetzt. Sie forderte Unterstützung von Bereitschaftspolizei und Bund an. Berlins Innensenator Andreas Geisel sagte dem "Tagesspiegel", man beobachte "die Mobilisierung im rechtsextremistischen Spektrum sehr genau", die Drohungen bezeugten ein "erhebliches Gewaltpotenzial".

Corona-Proteste würden bewusst unterwandert, um rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig zu machen. Auch der Verfassungsschutz warnte bereits im Mai vor dem Versuch von Rechtsextremisten, die Proteste für sich zu nutzen.

Ursprünglicher Organisator der Demo ist die Initiative "Querdenken711", die auch schon zur Berliner Großdemonstration am 1. August aufgerufen hatte und damit erstmals bundesweit auf sich aufmerksam gemacht hatte. Die Anhänger von "Querdenken711" gelten als "Corona-Rebellen" der ersten Stunde, laut Senatsverwaltung hätten die Versammlungen vom 1. August gezeigt, "dass die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben".

Anknüpfungspunkte für Rechte

Schon damals wurde deutlich: Masken-Gegner und Corona-Leugner marschierten neben Rechten mit Reichsflaggen und hatten auch mit der Teilnahme von Rechtsextremisten keine Probleme. Der Hamburger Ableger "Querdenken 40" schreibt zwar auf seiner Webseite "Wir sind überparteilich und schließen keine Meinung aus" – die "Hamburger Morgenpost" aber stellt fest: "Mit ihren variablen Forderungen wird die Bewegung zum Sammelbecken der Unzufriedenen".

Verschwörungstheorien wie das 5G-Netz verbreite Corona, Impfen mache krank oder Bill Gates reiße die Weltherrschaft an sich, böten Anknüpfungspunkte für die rechte Szene.

Bei Twitter hat sich derweil Gegenwind mobilisiert: Nutzer posten unter dem Hashtag #SturmaufBerlin Fotos von Windbeuteln, Pflaumenkuchen, Mettbrötchen und Friedenstauben.

Verwendete Quellen:

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