Proteste erschüttern die USA. Der Präsident verhält sich kaltherzig. Nach dem miserablen Corona-Krisenmanagement macht er einen zweiten großen Fehler. Die Stimmung kippt, und Trumps Wiederwahl gerät plötzlich in Gefahr. Joe Biden liegt in Umfragen jetzt klar vorne.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist ein Umfrageschock für Donald Trump. In der großen Wahlumfrage von ABC News und Washington Post liegt der Präsident jetzt landesweit um 10 Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer Joe Biden.

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Die Chancen auf eine Wiederwahl im November schwinden, da helfen auch keine Fototermine mit hochgehaltener Bibel mehr. Der gemittelte Wert aller Umfragen zeigt jetzt ebenfalls eine klare Führung von Joe Biden mit 48,6 zu 42,6 Prozent.

Der demokratische Herausforderer führt, obwohl er wegen Corona gar keinen Wahlkampf machen kann und im Wesentlichen eine Medienkampagne vom heimischen Keller heraus führen muss.

Trotzdem führt er nun auch in allen wichtigen "Swing States" (Wechselwahlstaaten). In Wisconsin liegt Biden 2,7 Prozent vorne, in Florida 3,5 Prozent, in Arizona 4 Prozent, in Michigan 5,5 Prozent, in Pennsylvania sogar 6,5 Prozent - und in Minnesota 5 Prozent.

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Donald Trump zeigt kein Mitgefühl nach Tod von George Floyd

Auf Minnesota wird besonders geschaut, denn dort in Minneapolis ist der Afroamerikaner George Floyd durch brutalen Polizeieinsatz gewaltsam zu Tode gekommen. Die darauf folgenden Proteste und Straßenschlachten wühlen Amerika auf.

Nach dem grauenhaften Tod Floyds hätte Amerika einen Präsidenten der Versöhnung gebraucht. Einen Präsidenten, der eine tröstende Fernsehansprache zur Nation hält, Mitgefühl zeigt und Rassismus verurteilt. Zumindest einen, der sich zeigt. Doch Donald Trump tat all das nicht.

Er verbarrikadierte sich im Weißen Haus und musste zwischenzeitlich - so berichtet es die New York Times - wegen der Straßenschlachten in unmittelbarer Nähe von den Sicherheitsagenten des Geheimdienstes in den unterirdischen Bunker gebracht werden.

Normalerweise dient der Bunker als Hochsicherheitstrakt für den Präsidenten im Kriegsfall oder bei schweren Terrorismus-Attacken. Vizepräsident Dick Cheney wurde am 11. September 2001 dorthin gebracht, als eines der von Al-Qaida entführten Flugzeuge auf das Weiße Haus zusteuerte. Präsident George W. Bush brachte sich am gleichen Abend dort in Sicherheit.

Seither wurde der Bunker kaum genutzt. Nun musste sich Trump vor schwarzen Demonstranten dorthin flüchten. Die symbolische Wirkung dieser Nachricht ist enorm, und sie ist negativ für den Präsidenten.

Trumps Krisenmanagement kommt bei den Amerikanern nicht gut an

Trump macht im Floyd-Skandal seinen zweiten großen Fehler in diesem Jahr. Er wirkt kaltherzig, spalterisch und vor allem - nicht als Herr der Lage. Schon mit der Coronakrise hat Trump einiges von seinem Nimbus als souveräner Lenker in der Not eingebüßt.

Nach aktuellen Umfragen sagen 54,1 Prozent der Amerikaner, der Präsident habe in der Coronakrise keinen guten Job gemacht. Nur 43,7 Prozent sehen sein Krisenmanagement positiv. Zum Vergleich: In Deutschland werden beim Corona-Krisenmanagement der Bundeskanzlerin Zustimmungswerte von 70 bis 83 Prozent gemessen.

Trump wirkt sowohl bei der Corona-Pandemie als auch jetzt bei in der Floyd-Krise wankelmütig und selbstsüchtig. Seine Wahlkampfstrategen, die bislang auf eine gefestigte konservative Wählerbasis setzen konnten, werden nervös, weil insbesondere ältere Frauen - mitten in seiner Kernwählerschaft - sein Krisenverhalten missbilligen.

Unter Senioren wird Trumps Coronabekämpfung nach mehr als 100.000 Todesfällen weitgehend kritisiert.

Donald Trump wütet weiter auf Twitter

Trump verunsichert selbst treue Gefolgsleute durch irrlichternde Twitter-Nachrichten aus seinem Bunker. Die Bilder von brennenden Straßenbarrikaden und plündernden Mobs passen schon nicht in Trumps Narrativ vom wieder erstarkten Erfolgs-Amerika.

Noch weniger passt die Szenerie, dass die Präsidentenkirche St. John's Episcopal Church in unmittelbarer Nähe zum Weißen Haus infolge der Straßenschlachten Feuer fängt, die Außenleuchten des Weißen Hauses abgeschaltet werden müssen, und der Präsident aus dem Atom-Bunker heraus wütende Twitter-Nachrichten verbreitet, "LAW & ORDER!" einzufordern.

Sein Stab versuchte - nach Medienberichten von Insidern - vergeblich, Trump vom Twitter fernzuhalten, doch der verschickte eine Tirade nach der anderen und beschimpfte die Demokraten, weil die angeblich nicht hart genug gegen den Aufruhr von radikalen Linken vorgingen.

"Holen Sie sich harte demokratische Bürgermeister und Gouverneure", schrieb er. Unter Bezugnahme auf seinen Herausforderer Joe Biden fügte er hinzu: "Diese Leute sind ANARCHISTEN. Rufen Sie JETZT unsere Nationalgarde herbei. Die Welt schaut Ihnen und Sleepy Joe zu und lacht über Sie und Sleepy Joe. Ist es das, was Amerika will? NEIN!!!" Seinen Herausforderer Joe Biden nennt Trump konsequent nur "Sleepy Joe" (schläfriger Josef).

Der Präsident will nun sogar die "Antifa" als terroristische Organisation einstufen. Er verkennt die Breite der Protestbewegung. In den letzten Tagen sind in mindestens 75 Städten Demonstrationen ausgebrochen, bei denen Gouverneure und Bürgermeister die Nationalgarde einsetzten oder Ausgangssperren in einem Ausmaß verhängten, wie es seit der Ermordung von Martin Luther King im Jahr 1968 nicht mehr vorgekommen ist.

Der Präsident spaltet sein Land

Trump hatte die Coronakrise falsch eingeschätzt, nun passiert ihm ähnliches mit den Protesten. Selbst Parteifreunde gehen auf Distanz: "Das sind keine konstruktiven Tweets, das steht außer Frage", sagte der Senator Tim Scott aus South Carolina, der einzige schwarze Republikaner im Senat, in einem Interview in "Fox News Sunday".

"Was ich gerne vom Präsidenten hören würde, ist Führungsstärke", sagte Bürgermeisterin Keisha Lance Bottoms aus Atlanta in "Meet the Press" auf NBC. "Und ich würde gerne eine aufrichtige Sorge und Sorge um unsere Gemeinden hören und wie weit wir mit den Beziehungen zwischen den Ethnien in Amerika sind."

Doch Trump setzt nicht auf Konzilianz. Er setzt auch im Wahljahr seine spalterische Kommunikation fort. Manche seiner Gefolgsleute sehen darin eine erfolgversprechende Strategie.

Der Ölunternehmer Dan Eberhart, der größte Einzelspender im Wahlkampf von Donald Trump, verteidigt dessen Verhalten damit, dass der Präsident sich darauf konzentriere, seine Hauptbefürworter und nicht die Nation als Ganzes zu bedienen. "Trump ist viel spalterischer als frühere Präsidenten. Seine Stärke liegt darin, seine Basis aufzurütteln, nicht darin, die Wogen zu glätten."

Aus der republikanischen Partei wird verbreitet, die Unruhen könnten Trump und seiner Law-and-Order-Strategie sogar nützen.

Die Stimmung in den USA kippt zu Gunsten Bidens

In Wahrheit wirkt Trump einfach nicht krisenfest. Seine Ankündigung: "Ich werde die Wahl leicht gewinnen!" und: "Die Wirtschaft wird anfangen, gut und dann großartig zu werden, besser als je zuvor!" klingt nach Wunschdenken.

Und als er nach seinem Abend im Bunker kindisch prahlte, dass er keine Sekunde Angst gehabt habe und jeder Eindringling mit "bösartigen Hunden" und "unheilvollen Waffen" zu rechnen habe, strahlte das alles andere als Stärke aus.

Es sieht so aus, als könnte Trump nicht über Skandale, Eitelkeiten, Fehlentscheidungen oder Willkür stürzen, sondern über etwas ganz Altmodisches, was konservative Wähler noch wichtiger nehmen: Standfestigkeit und Führungsstärke in einer Krise. Die sprechen ihm immer mehr Amerikaner nach der Corona- und Floyd-Krise ab.

Seine Werte zu "Job approval" (Akzeptanz seiner Arbeit) sacken ab. Die Stimmung kippt. Und im Kellerstudio seines Wohnhauses in Wilmington (Delaware) kann der fahrige Wahlkämpfer Joe Biden sein Glück kaum fassen. Die Chance zum Wahlsieg ist plötzlich da.

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